Serien als Liebesbeziehung

Warum Serien einer Liebesbeziehung gleichen

Es ist aus. Die letzten sechs Jahre waren eine wunderbare Zeit. Man ist einander näher gekommen. Am Anfang ganz langsam. Ganz behutsam, vielleicht auch mit ein wenig Skepsis. Man weiß ja nie, was einen erwartet. Doch dann ist aus Vorsicht wahre Liebe geworden. Es waren wunderbare Sommerabende, draußen auf der Terrasse. Und kuschelige Wintermonate auf der Couch. Du warst für mich da, wenn ich Ablenkung brauchte. Wenn ich krank war. Wenn es mir nicht gut ging. Wenn ich Action wollte. Große Gefühle. Kleine Lacher. Sex. Alles war dabei.

Aber nun ist es aus. Es ist aus mit dir. Es ist aus mit uns beiden. Und wie stehe ich jetzt da? Einsam. Mit einem großen Kater. Ich will keine andere. Ich will keine neue. Ich will, dass es mit uns beiden ewig so weitergeht, wie es einmal war. Dass du mir immer wieder etwas Neues zeigst. Mich wieder überraschst. Dass ich mich zuhause fühle. Alles weg. Liebeskummer.

Okay, vielleicht ist das ein wenig übertrieben, aber irgendwie ist es doch so: Wenn man eine Serie gefunden hat, verliebt man sich auf eine gewisse Weise in sie. Man lässt sich fallen, wie in eine Beziehung. Man kommt an, fühlt sich heimisch und geborgen, kennt sich aus, als würde man mit den Personen leben. Und wenn sie vorbei ist, kommt die große Leere. Wieso eine neue anfangen, wenn die alte, die gewohnte Serie doch so toll war? Wieso das gewohnte Umfeld verlassen, wenn man das alte doch so geliebt hat? Die Protagonisten, die Story, die Dramatik.

 

Ihr meint, ich übertreibe?

 

Gut, dann erklärt mir mal Folgendes: Wieso ist das Netz voll von Blogs und Videos, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Tony Soprano am Ende der Sopranos wohl erschossen wurde, oder ob einfach alles so weitergeht, wie bisher? Weil die Menschen nicht loslassen wollen. Weil sie nicht akzeptieren können, dass es aus ist. Und, weil sie so in der Story drin waren, dass es für sie eine echte Relevanz entwickelt hat, ob Tony lebt oder tot ist. Obwohl er ein Arschloch ist, haben sie ihn geliebt. Und irgendwie wollen sie nicht, dass er tot ist, obwohl er es, nach allem, was er getan hat, verdient hätte.

Kein gutes Beispiel? Dann dieses: Wie kann es sein, dass Menschen wie besessen in einen Film rennen, der eine gute Story bis ins Unkenntliche auswalzt und inhaltlich flach ist? Die Rede ist von Sex And The City 2. Weil sie sich nicht von ihren Protagonisten trennen wollen. Und weil sie wissen wollen, wie es weitergeht mit ihnen. Weil sie nach Hause wollen. Weil ihnen die Geliebte einen Finger hinstreckt und sie ihn zu viel zu kurzem Sex noch einmal ergreifen, um dann wieder von ihr fallen gelassen zu werden. Die aktuelle Aufregung um die Rückkehr von Gilmore Girls geht in eine ähnliche Richtung.

Immer noch nicht überzeugt? Selbst bei Mad Men, einer Serie, die im Gegensatz zu vielen anderen gut und friedlich endet, waren die Diskussionen groß. Geht Don Draper wieder in die Werbung zurück und dreht den Coke-Spot, der am Ende läuft? Und sagt uns das, dass er weiterhin besessen ist – von sich, seiner Vergangenheit und seinem Geheimnis? Oder hat er sich jetzt endlich gefunden? Denn irgendwie lieben wir ihn und wollen, dass es ihm endlich besser geht. Und am liebsten würden wir bei ihm bleiben, damit er uns all diese offenen Fragen selbst beantwortet.

 

Wie in der Liebe: alles von vorn

 

Diese Fragen sind wie Liebeskummer. Sie sind Ausdruck des Abschiedsschmerzes. Natürlich ist der nicht so schlimm, wie am Ende einer echten Beziehung. Man sitzt ja nicht weinend in der Ecke oder denkt, das Leben sei zu Ende. So etwas passiert höchstens bei der Auflösung von 90er-Jahre-Boy-Bands. Nein. Aber die Analogie trägt bis zum Schluss. Denn auch wenn man gerade nicht glaubt, jemals wieder „lieben“ zu können – an irgendeinem Punkt kommt eine neue Schöne um die Ecke und verdreht einem den Kopf.

Man kommt einander näher. Am Anfang ganz langsam. Ganz behutsam, vielleicht auch mit ein wenig Skepsis. Man weiß ja nie, was einen erwartet. Nach den Erfahrungen aus der letzten Beziehung? Man vergleicht schließlich. Doch dann wird aus Vorsicht wieder wahre Liebe. Es warten wunderbare Sommerabende, draußen auf der Terrasse. Und kuschelige Wintermonate auf der Couch. Sie da, wenn ich Ablenkung brauche. Wenn ich krank bin. Wenn es mir nicht gut geht. Wenn ich Action will. Große Gefühle. Kleine Lacher. Sex. Alles ist wieder dabei.

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Bildquelle: Caden Crawford unter CC by 2.0