Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #3

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 26 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Heute: Teil 3 – Diagnose Krebs. Teil 1 und 2 findet ihr hier.

Dienstag, 5. April 2016. Ich habe frei, wie schon die drei Tage zuvor. Heute ist meine Grenze erreicht, von der ich mir wünschte, sie existierte nicht. Aber irgendetwas muss passieren. Ich hatte sie mir am Wochenende gesetzt. Ruh Dich aus, bleibe im Bett, trinke Tee, sagte ich mir. Und sollte es wirklich nicht endlich besser werden, dann geh verdammt nochmal zu einem anderen Arzt! Seit fast zwei Monaten hänge ich in den Seilen. Meinen Körper erkenne ich kaum wieder: der Weg zum Einkaufen, die Treppen hoch zu meiner Wohnung, ein bisschen Haushalt; das Herz meldet sich bei jeder kleinen Anstrengung. Die Augenringe sind schwarz und blau, der kirschgroße Lymphknoten an meinem linken Schlüsselbein nicht kleinzukriegen.

Ich kann mir nicht einmal Vorwürfe machen: Zweimal war ich bei meiner Hausärztin, zweimal schaffte sie es, mich zu beruhigen, wenigstens für den Moment; ein bakterieller Infekt, womöglich vermischt mit Viren, Symptome und Blutbild sprächen dafür, auch der trockene Husten. Doch nichts half. Nicht das verschriebene Antibiotikum, nicht die Ruhe. Und dann noch der Zeitplan. Höchstens sechs Wochen, länger sollte das alles nicht dauern, rechnete sie mir vor. Ich war schon drüber. Aber jetzt? Nochmal zu meiner Hausärztin? Hat sie etwas übersehen oder falsch diagnostiziert? Ich habe Angst. Vielleicht sollte ich einfach warten, bis alles wieder besser wird. Mein Kopf ist gefangen in einer Endlosschleife.

Ich raffe mich auf, suche im Internet nach weiteren Allgemeinmedizinern in der Umgebung. Ein anderer, ein neuer Blick auf mich ist wohl das Beste. Emily Rohde, Allgemeinmedizinerin mit internistischem Schwerpunkt, die Webseite sieht ansprechend aus.

 

Neuer Blick auf altes Problem

 

Ich gehe los, bis zur Praxis sind es nur ein paar Schritte. Ein älterer Herr sitzt alleine im Warteraum, sonst ist niemand da, nicht mal die Anmeldung ist besetzt. Nach fünf Minuten kommt eine Schwester vor zum Tresen. Ich sei seit sechs Wochen krank, erkläre ich ihr, eigentlich bei einem anderen Arzt, „aber ich hätte gerne eine zweite Meinung.“ Ich will ihr noch von meinen Symptomen erzählen, da unterbricht sie mich einer kurzen Handbewegung und einem milden Lächeln. „Wir nehmen keine neuen Patienten mehr auf.“ Ein kurzer Blick in den mittlerweile verwaisten Warteraum, ich schüttle den Kopf, sage aber nichts; ich habe keine Lust zu diskutieren. Vielleicht sollte ich einfach wieder nach Hause gehen. „Gut, vielen Dank, dann auf Wiedersehen.“ Ich will gerade zur Tür, als sie mir empfiehlt, es beim Medizinischen Versorgungszentrum zu versuchen. „Sie haben eigentlich immer freie Plätze. Sie sitzen sogar hier im Haus. Probieren Sie es da.“ Zwei Stockwerke tiefer ist die Praxis von Barbara Engel. Auf hat sie noch nicht, erst wieder in anderthalb Stunden, lese ich am Anschlag. Ich schlurfe nach Hause, überlege, ob es wirklich Sinn ergibt, sich einem anderen Arzt vorzustellen. Was solle er schon anders machen? Ich warte eine Stunde und gehe zurück. Die Grenze.

Drei Männer warten mit mir vor der noch verschlossenen Tür. Als es losgeht, lasse ich sie vor, um der Schwester alles in Ruhe erklären zu können. „Herr Schramm, alles gut. Nehmen Sie Platz. Wir können Sie aufnehmen.“ Die Räume der Praxis sehen abgegriffen aus, versprühen DDR-Charme mit ihren dünnen Wänden und dem grau-gelblichem Linoleum-Boden. Aus den Fenstern des Wartezimmers sehe ich ein Meer aus Plattenbauten. Es wird schnell voll, neben mir sitzen nur alte Menschen, alles wirkt trostlos. Ich blättere in einer Zeitung, bis ich aufgerufen werde.