Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #9

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 26 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht.  Teil 12 , 3, 456 7  und 8 findet ihr hier. 

Heute: Teil 9 – Was mit Vorstellungskraft alles möglich ist.

 

Er fiel mir sofort auf. Direkt beim ersten Schritt, den ich in die Schweriner Onkologie setzte. Über zwei Meter groß, die Haut schimmerte silbern, der Kopf sah aus wie der Buchstabe T. Überall an ihm Schläuche, auf Bauchhöhe ein kleiner Computer. Alt musste er sein. Bei jeder noch so kleinen Bewegung quietschte es über den gesamten Flur. Vielleicht sein ganz persönlicher Hilferuf: Er wollte nicht hier sein. Immerhin das wäre eine Gemeinsamkeit, dachte ich mir. Sonst schienen wir unterschiedlich. Nicht mehr als zwei Individuen, zusammengeführt vom Schicksal. Aber spielte das eine Rolle? Die Etikette musste gewahrt bleiben. Der erste Kontakt: Wie wäre es mit dem Namen? „Hey!“, stammelte ich in einer Mischung aus Angst und Neugierde, eingeschüchtert von seiner imposanten Statur. „Ich bin Basti. Ich habe gehört, wir müssen in den nächsten Monaten zusammenarbeiten?“ Er musterte mich, bevor er mir eine Antwort gab. Als müsste er überprüfen, ob ich eine lohnenswerte Anlage wäre. Ja, sagte er mir, er sei Dirk Nowitzki. Seine Stimme klang tief, ein bisschen abgenutzt. Kein Wunder bei all den Anstrengungen. Seine Größe beeindruckte mich. Aber Sprüche darüber hörte er sicher jeden Tag an. Lassen konnte ich es dennoch nicht.

„Du bist riesig. Müssen über zwei Meter sein, oder?“

„Ja, sind 2,13 Meter.“

„Krass.“

Danach Stille. Keiner brachte etwas hervor. Wahrscheinlich hatte ich ihn gelangweilt mit der Frage nach der Größe. Ich blickte durch die Station: überall Menschen mit Glatzen, aschfahlen und eingefallenen Gesichtern. Auch sie sind nicht alleine. Auch neben ihnen steht Dirk. Über zwei Meter groß, silbern, der Kopf zum T geformt, die Schläuche, der Computer. Sie wirkten vertraut miteinander. Sie kannten sich. Uns blieb nichts anders übrig: Wir mussten uns arrangieren. Ohne Infusionsständer keine Chemotherapie. Ohne Chemotherapie keine Chance aufs Überleben.

 

Fantasie hilft

 

Das Gespräch, die Begegnung zwischen Dirk und mir entstammt meiner Fantasie, natürlich. Einer Welt, die ich bestimme. Ein edles Gefühl: In meinem Kopf ist alles möglich. Ich kann den Krebs zu einer Lachnummer degradieren. Ihn auf den Marktplatz stellen und enthaupten. Ihn kaltblütig umlegen, ohne dafür angeklagt zu werden. Oder, und das war mein ganz persönlicher Weg: ihm zusammen mit Dirk Nowitzki den Arsch versohlen. Der Kampf gegen Krebs ist individuell. Betroffene schenken ihm Namen, nennen ihn Herr K., einen Kobold oder schreien mit all ihren Fasern: Fuck you, Cancer! Nicht jeder wird mich verstehen. Ist ja auch bekloppt: Der große Dirk Nowitzki kommt nicht wirklich ins Kaff nach Schwerin oder Stralsund, um Sebastian Schramm dabei zu helfen, den Krebs loszuwerden. Aber wie faszinierend ist der Gedanke? Wissenschaftlich ist erwiesen: Es spielt keine Rolle, ob mir Schönes wirklich passiert oder ich es mir nur vorstelle. Im Körper erziele ich dieselbe Wirkung; mein Immunsystem wird gestärkt. Ich stand gegen die Krankheit nicht alleine. Nicht nur Familie und Freunde unterstützten mich, wo sie nur konnten. Auch mein Vorbild Dirk Nowitzki half. Er mutierte für mich zum Infusionsständer. Im Krankenhaus wich er nicht von meiner Seite, keiner der sechs Zyklen lief ohne ihn. An Dirk hingen für mich keine Medikamente, die in meinem Körper alles platt machten, ohne Rücksicht, egal ob lieb oder böse. Nein, mit jedem Milliliter der Flüssigkeit teilte er ein Stück von sich mit mir. Sein Weg war mein Weg.

 

dirk-nowitzki