Die Gen-Y und Religion: Was glaubst du eigentlich?
Wer redet schon gerne über seinen Glauben? Ganz ehrlich: Ich nicht. Kaum ein Thema ist so brisant und macht Menschen so verletzlich, wie an irgendetwas zu glauben. Sei es eine Religion, eine umstrittene Theorie oder auch an einen Menschen. Wenn du an etwas glaubst, gibst du zumindest ein Stück weit etwas von dir ab. Wir geben uns ein bisschen für etwas auf, das wir nicht greifen können. Wir glauben es ja nur – Beweise haben wir nicht. Wir stehen hinter etwas und müssen uns dafür im Zweifelsfall rechtfertigen.
Umso mutiger finde ich es von meinem Freund Elias*, mit mir über seinen Glauben an Gott zu sprechen.
Glaube als Auslaufsmodell?
Aber wer glaubt 2015 eigentlich noch an überhaupt irgendwas? Die faz berichtet, dass sich unter den 18 bis 29-jährigen vierzehn Prozent als tief religiös bezeichnen würden. Eine ganz schöne Ansage, dafür, dass ich, wenn ich meinen Freundeskreis durchforste, tatsächlich nur Elias kenne. Glaube und Religion scheinen ein Auslaufmodell zu sein – Kirche sowieso. Ein muffiges System steht kurz davor, restlos einzustauben und auch die letzten braven Kirchgänger werden früher oder später durch Skandale und Protz-Bischöfe vergrault. Betrachtet man einen Graphen zur Entwicklung der konfessionslosen Deutschen, schießt dieser seit dem Jahr 1970 unaufhaltsam in die Höhe. 2011 lag der Anteil bei 37%.
So einfach ist es aber dann doch nicht: Ich gebe zu, zunächst denke ich bei ’Kirche’ an geweihte Stätten, die im besten Fall noch ein bisschen kitschig ausgestattet sind – dann gibt’s wenigstens was zu gucken. Ich denke nicht an die mittlerweile ungeheure Vielfalt an Abspaltungen der verschiedenen Religionen. Konfessionen sprießen weltweit aus dem Boden. Es scheint als könne jeder dahergelaufene Prediger seine eigene Kirche aus dem Boden stampfen und alle, von deiner Großtante bis Tom Cruise, springen begeistert darauf an. Spiritualität an sich ist hingegen nämlich schon ziemlich trendy.
Sonntags: Celebration!
In eine dieser abgespaltenen Kirchen zieht es meinen Freund Elias jeden Sonntag zur „Celebration“ – kein Witz. So nennt sich der junge Gottesdienst. Dieser findet in einer – nachts berüchtigten – Münchner Großraumdisse statt. Ein paar Stühle rein, ein paar Pastoren auf die Bühne und los geht’s. Bei Nacht billiger Chartschuppen für Erstsemester und am Sonntag geweihte Stätte. Während ich noch über den für mich absurden Gedanken der „Celebration“ kichere, erklärt mir Elias, dass wegen des enormen Andrangs mittlerweile vier solcher Feiern jeden Sonntag veranstaltet werden. Die Nachfrage ist da. Die Jugend glaubt.
Aber an was? Elias sagt: An Gott. Das ist mir zu einfach, deshalb hake ich nach – wie viel zählt der Glaube und wie viel zählt die angebotene Gemeinschaft in einer jungen, hippen Kirche, die ihren jugendlichen Anhängern etwas bietet. Er versteht meine Frage, kann aber meine Erwartungen an seine Antwort nicht erfüllen: Elias glaubt wirklich mit ganzem Herzen. Für mich ein Novum: Kaum ein junger Mensch in meinem Bekanntenkreis bekennt sich mit so einer Überzeugung zu einer Religion. Es fallen Begriffe wie „Ewiges Leben“, „Reine Liebe“ und „Einzigartiger Plan“. Ich merke: Scheiße, er meint es ernst.
Taufe in der Pubertät?
Aber wie findet man überhaupt zu Gott, wie findet man zu einer Religion? Im Fall von Elias lief die gesamte Glaubensfindung beispielhaft, da sehr differenziert, ab. Seine Eltern haben ihn und seine Zwillingsschwester nicht getauft, aber an ihrer religiösen Lebensweise teilhaben lassen. Elias und die Schwester merkten bald, dass die verstaubte Kirche ihrer Eltern und die noch verstaubteren Menschen dort nicht ihrer Vorstellung von Religion entsprechen.
Beide entschieden sich trotzdem für den Glauben und eine Taufe. Ein mutiger Schritt in der Hochphase des jugendlichen Leichtsinns und pubertären Wahnsinns. Elias erzählt mir, dass es mit 16, 17 trotzdem nicht leicht war, seinen Glauben zu leben. Die Zweifel kamen und er fragte sich: „Was, wenn das doch nicht der richtige Weg ist?“ Ich nicke und sage: „Was, wenn das Ganze nur ein sehr gut überliefertes Märchen ist, das es mit ein bisschen Glück in die Neuzeit geschafft hat?“
Sex vor der Ehe?
Wir sprechen weiter: Mich interessiert brennend der nervige Teil des Glaubens – wo sind die Einschränkungen, gibt es etwas, worauf Elias verzichten muss? Seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: Nein! Seine ganz einfache Erklärung dafür: Gott rät von gewissen Dingen ab. Er könne, wenn er wolle. Er will aber nicht – es geht natürlich um Sex vor der Ehe. Gott rät davon ab. Für Elias ist das Thema damit gegessen.
Ein Punkt, der mich trifft: Er verliert nichts durch seine Entscheidung, ein religiöses Leben zu führen. Für ihn ist Glaube lediglich eine Bereicherung. Ich hingegen? Ich verpasse etwas – denn ganz ehrlich: Ausprobiert habe ich die aktive Ausübung einer Religion noch nie. Hinterfragt jedoch schon, genau wie Elias – dabei sind wir offenbar zu sehr unterschiedlichen Schlüssen gekommen.
Missionieren ist Mist!
„Oh Gott, wie sich das anhört!“ Es geht um die DTS, die Decipleship Training School, zu deutsch die Jüngerschaft Trainings Schule. Das hört sich tatsächlich ziemlich beschissen an. Vorbei ist’s mit jung, hip und cool. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das FSJ für Gläubige im Lebenslauf so super ankommt. Im Rahmen der DTS hat Elias zunächst drei Monate in L.A. verbracht und dann drei Monate Länder in der Dritten Welt besucht. Erste Phase: Lecture Phase, zweite Phase: Outreach. Für mich als Laie hört sich das ganz stark nach Bibelschule an und dann lustiges Missionieren, dort wo’s am einfachsten ist.
Als ich ihn darauf anspreche, merke ich, wie brisant und problematisch dieses Thema auch für ihn als Gläubigen ist. Missionieren ist Mist. Da sind wir uns alle einig. Elias jedoch schwankt zwischen zwei Standpunkten: Zum einen ist ihm sehr wohl bewusst, dass niemand anderen Menschen Religion aufzwingen darf. Auf der anderen Seite glaubt er tatsächlich, dass der Glauben das Beste für die Menschen sei. Er glaubt voll, ganz und aus der Tiefe seines Herzens. Das wird mir im Laufe des Gesprächs klar. Sein idealistischer Wunsch: Glauben an Menschen verteilen wie kleine Häppchen auf Dinnerpartys – nur ein kleiner Probierhappen, nur mal schauen, ob’s überhaupt schmeckt.
So läuft das leider nicht: Martin Urban schreibt in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zu diesem Thema sehr treffend: „Es ist schlicht unanständig, mit materiellen Verlockungen Menschen zu bekehren.“ Und wie Recht er hat: Missionieren im Jahr 2015 ist nicht zu rechtfertigen und passiert noch viel zu häufig: Selbst in deutschen Städten ziehen sogenannte „Kindermissionare“ durch die Fußgängerzonen um bei den, ganz einfach gesagt, Leichtgläubigsten anzusetzen: den Jugendlichen. Der eigene Einstieg ins „Missionars-Business“ ist aber auch allzu leicht: Er ist nur ein paar Suchbegriffe in Google weit weg. Schon stehen zahlreiche Organisationen zur Verfügung, die dich mit Handkuss in ihre Reihen aufnehmen. Auch du willst „bekehren“ und andere auf den richtigen Weg bringen? Kein Problem, dafür gibt es ein Online-Formular.
Glauben und Humor – passt das?
Kirchen allgemein sind nicht dafür bekannt, Dinge mit Humor zu nehmen oder gar Witze über sie selbst zu tolerieren – Im Gegensatz steht die überraschend große Portion Humor, mit der Elias an die ganze Sache heran geht:
Elias:“Ich glaube auch, dass Gott die Mathematik geschaffen hat.“
Ich frage: „An welchem Tag?“
Elias: „Touché“
Das zeigt ganz deutlich, dass Elias und andere junge Gläubige sich ihrer Außenwirkung bewusst sind. Für die Einen mag es befremdlich sein, an etwas nicht Greifbares zu glauben, für die Anderen ist Glaube alles. Für Elias nimmt Gott, Religion und sein Glaube den Stellenwert Nummer eins ein.
Stereotype – bye bye!
Wer ist Elias? Er ist ein junger Mann um die 20 in hippen Turnschuhen und engen Hosen, wir kennen uns seit Schultagen und haben uns immer was zu sagen. Wie das so ist, haben wir uns trotzdem ein bisschen aus den Augen verloren. Sein Glaube stand nie zwischen uns. Er respektiert, dass ich in meinem Leben keinen Platz für Religion einräumen möchte und ich respektiere seinen Glauben. Elias macht keinen Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Geschiedenen und Verheirateten, Hetero-, Bi- und Homosexuellen.
Er lebt eine erfrischende Art von Glauben, der ich trotz all seiner Spritzigkeit und Coolness nichts abgewinnen kann. Er als Person jedoch ist vielleicht einer von Wenigen, die gelernt haben, ihren Glauben offen und unbefangen zu leben und andere daran teilhaben zu lassen.
Bewusst habe ich in diesem Text weder den Namen der Kirche noch die Glaubenszugehörigkeit meines Freundes explizit genannt. Natürlich wird klar, dass es sich um einen christlichen Glauben handelt – hervorheben will ich damit aber die Thematik des „an etwas glauben“. Am Ende ist es nämlich egal, was uns vorantreibt, auf was wir uns verlassen können und an was wir glauben. Sei es an uns selbst, unsere Familie oder eben eine Religion. Wenn’s hilft…
*Elias heißt eigentlich anders
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Bildquelle: Patricia Feaster über CC BY 2.0