Kosenamen Illustration Hassobjekt Lotte Düx

Hassobjekt: Kosenamen

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer Montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Kosenamen“.

Samstag Nachmittag bei Ikea. Pärchenschmelztiegel. Die Stimmung auf einem schmalen Grat zwischen „I will always love you“ und „No woman, no cry“. Ein Ruf hallt durch die Gänge, geht durch Mark und Bein. Bloß ein Wort, doch eines, das in seiner unvergleichlichen Bedeutungslosigkeit dennoch zahllose Emotionen hervorrufen kann. In meinem Fall? Hass.

„Schaaaaaatz!“

Mindestens fünfzig Köpfe drehen sich blitzartig in die Richtung, aus der sie den Ruf vermuten. Es ist als würde man: „Luca!“ auf einem fünften Geburtstag in den Gentrifizierungsvierteln deutscher Großstädte brüllen. Jeder fühlt sich angesprochen. Jeder. Geschlecht egal. Alles egal. Denn wie wichtig, wie einzigartig, kann jemand sein, den ich genauso anspreche wie all die Partner vor ihm und so wie es aussieht, auch all jene, die noch kommen mögen?

Kreativität kennt keine Grenzen

Das Schlimmste ist aber, dass hinter einem Kosenamen ja vermutlich die Idee steckt, mit einem achso kreativen Ersatznamen, die Einzigartigkeit und Besonderheit der Beziehung zu unterstreichen. Sorry, aber da ist so ziemlich alles falsch. Schatz ist nicht kreativ. Genausowenig Mausebär und am allerwenigsten Igelschnäuzchen. Das klingt bloß, als hätte man hässliche Brüste – so in der Form von Igelschnäuzchen eben. Mit Schatz ist man von Einzigartigkeit genauso weit entfernt wie mit einem Ikea-Expedit-Regal als Raumtrenner. Aber gut, Schatz-Sager halten auch Duschgel, Badekugeln und Sushi-Selbstmach-Sets für total einfallsreiche Geburtstagsgeschenke.

Und wenn man sich schon etwas ausdenken muss, dann möge man sich doch wenigstens an den Eigenschaften der jeweiligen Person orientieren. Ist der Partner stark übergewichtig? Wie wär’s mit Adiposihasi? Ist die Freundin nicht die hellste? Dumpfbäckchen! Kakabär und Stinkemaus klären sich dann von selbst.

Für alle, die nicht so super kreativ sind, gibt es ja noch das Internet. Man denkt, man hat schon alles gesehen, dann googelt man Kosenamen und erhält eine Liste mit dem unfassbaren Titel: „Klitoris-Kunde: Die 40 frechsten Kosenamen für Ihre Liebeshöhle“. Auweia. Wurstfach.

Alle sind gleich, nur einige sind gleicher

Das Allerschlimmste ist aber, dass diejenigen, die mit einem solchen unsäglichen Kosenamen gestraft sind, das auch noch gut finden und falls sie diesen speziellen Namen nicht gut finden, lieber “Schatz” genannt werden wollen. Da gibt es Zahlen dazu. Echte Statistiken. Unfassbar. Kaum hat man durch ein heftig.co-Video von einem blinden, autistischen Jungen mit Engelsstimme den Glauben an die Menschheit wieder erlangt, kommt diese Kosenamen-Studie daher und zerstört jegliche Hoffnung wie eine Dampfwalze. Genau wie bei einer Dampfwalze werden durch “Schatz” jegliche Unebenheiten der eigenen Persönlichkeit ausgemerzt. Es ist der Anker der Konformität, der Tod der Individualität, das Ende der Entfaltung.    

Wertverlust vs Werteverlust

Das Allerallerschlimmste ist aber, dass Kosenamen so unbedarft verwendet werden. So häufig, so arglos, so unreflektiert. Dieser ständige Gebrauch löst ein Phänomen aus, das man sonst nur vom Finanzmarkt kennt. Inflation. Ein Schatz ist an sich etwas wertvolles. Zum Beispiel eine Kiste voll Gold oder die Nachtwärterschlumpf-Ü-Ei-Figur. Gibt es aber auf einmal überall Kisten voll Gold oder findet man den Nachtwärterschlumpf plötzlich in jedem siebten Ei, ist der Wert ganz schnell dahin. Checkt bloß keiner.

Die Würde des Menschen ist unanschatzbar

Das Allerallerallerschlimmste ist aber, dass die Leute bei der Verwendung von Kosenamen gar nicht merken, was sie da tun. Wie sie auf der Würde ihres Partners Polka tanzen. Erniedrigende Kosenamen hatten wir ja schon. Bei Faust kam das Böse in Gestalt eines Pudels, in Beziehungen ist es ein Mausebär.

Der Gipfel der Erniedrigung ist dann erreicht, wenn der Partner selbst in seiner Abwesenheit “Schatz” genannt wird: “Du, ja, mein Schatz mag das eigentlich ganz gerne, wenn ich ihm Pickel am Rücken ausdrücke.”. Und wenn man glaubt, es ginge nicht mehr höher, klettert jemand das Gipfelkreuz hinauf und spuckt auch noch auf den letzten Rest Würde: “Warum schenkst du deinem Schatz nicht dieses witzige Sushi-Selbstmach-Set zu eurem 16-Monatigen?”

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Lotte Düx ist eine junge Illustratorin und Designerin, die nach Stationen in Wiesbaden und Köln ihre Wahlheimat in München gefunden hat. Mit einer Vielfalt an Stilen illustriert sie pointiert und detailverliebt ebenso das Schöne und Skurrile, wie Missstände und das aktuelle Zeitgeschehen. Daneben findet sie noch Zeit für ZEITjUNG das wöchentliche Hassobjekt mit ganz viel Liebe zu illustrieren. Danke!

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