fehlt-muenchen-der-punk

Fehlt München der Punk?

Das Thema sorgte an den Münchner Stammtischen für verständnisloses Kopfschütteln: Vergangene Woche kündigte der Elektro-Jazz Musiker Sebastian Schnitzenbaumer an, die Stadt München stellvertretend für seine Einwohner wegen Geschäftsschädigung verklagen zu wollen. Hintergrund sei das verschriene Münchner Schickeria Image, welches alternative Kunst aus der Bayerischen Landeshauptstadt unglaubwürdig mache. Künstlern fiele es daher schwer, sich authentisch im Markt zu positionieren. Gegenüber dem Portal jetzt.de betitelt Schnitzenbaumer diesen Zustand als „Monopolstellung des Mainstreams“.

 

Prunk statt Punk

 

Klammert man die angestrebte Klage aus diesem Sachverhalt einmal aus, bleibt eine interessante Fragestellung zurück, die auch uns als Münchner Redaktion beschäftigt: Fehlt München der Punk? Als ‚Zuagroasta“ aus dem rauen Norden bedenkt man diese Aussage erst einmal mit Zustimmung und Applaus. So kennt man aus den anderen Großstädten wie Berlin oder Hamburg autonome Clubs wie das SO36, die Markthalle oder die Große Freiheit 36. Sicherlich weiß auch München mit alternativen Locations aufzuwarten, doch tragen diese weder eine ‚36’ im Namen, noch werden diese die ersten Adressen sein, die ein zufällig ausgewählter Straßenpassant als Nachtclubempfehlung aussprechen wird.

Das Saubermann-Bild der Stadt ist berüchtigt. Um dem entgegen zu wirken, gibt es mittlerweile extra eine ‚Munich Ugly Tour’, die Interessierte auf die „hässlichen Flecke“ Münchens hinweist. Andernorts wäre hierfür eine Tour wohl gar nicht notwendig, stolpert man in anderen Städten doch alle hundert Meter über den nächsten Drogenumschlagplatz, Straßenstrich oder zumindest Hundehaufen.

 

Das Reinheitsgebot

 

Aber was hat die Herkunft nun wirklich mit dem Kunsterfolg zu tun? Schließlich gelten auch Städte wie Wien und Stockholm als wahre Reinheits-Idyllen und haben uns trotzdem nicht unerhebliche Musikexporte beschert. Gut, Künstler wie ABBA und Udo Jürgens zählen nun nicht unbedingt zu den Ikonen der alternativen Szene. Dennoch waren sie für ihre Zeit wahre Pioniere. Mit Falco, Dem Nino aus Wien und Anna Ternheim hat man dann aber dennoch extrovertierte Vertreter des musikalischen Erfolges abseits des Mainstreams.

Und auch München war einst Keimzelle der Andersartigkeit. So beheimatete das, heute nach wie vor als ‚Szeneviertel’ geltende, Schwabing vor gut 100 Jahren neben namhaften Künstlern und Literaten auch revolutionär gesinnte Politiker. Diese Künstlerkolonie trug damals den klangvollen Beinamen ‚Schwabinger Bohème’. Und auch wenn Anarchos nun nicht mehr an jeder Ecke lauern, so ist München im CSU-regierten Bayern immer noch eine Insel unter sozialdemokratischer Führung.

 

Independent vs. Major

 

Aber wissen das die Plattenkäufer an der Nordsee? Und wenn ja: Lassen sie sich hierdurch beeinflussen?

Die drei großen Major-Label Universal Music Group, Warner Music Group und Sony Music Entertainment verteilen sich fair auf die Standorte Berlin, Hamburg und München. Ich lehne mich jetzt ganz weit aus dem Fenster und behaupte, dass niemand Veröffentlichungen von Sony boykottiert, nur weil diese ihren Deutschlandsitz in München haben. Allerdings – um wieder an den Ausgangspunkt anzuknüpfen – sprechen wir hier eben von einem Major-Label und bewegen uns abseits der alternativen Kunst. Oder? Die eigentliche Diskussion, die hier angestoßen werden müsste, ist doch folgende – Ist alternative Kunst überhaupt noch alternativ? Wenn alle Künstler „independent“ sind, sind dann nicht auch alle „major“?

 

Made in Bavaria

 

Aus München kommen viele qualitativ hochwertige Produkte, die national sowie international „ganz okay“ bis „ziemlich gut“ vertrieben werden: Kraftfahrzeuge, Bier und Weißwürste – spricht doch eigentlich nichts dagegen, dass von hier auch gute Kunst kommt.

Und schaut man sich Münchens kleine Schwester Düsseldorf einmal an, sind hier einige Parallelen zu erkennen: Prachtstraßen, stabile Wirtschaft, hohe Mieten! Mit Kraftwerk, den Toten Hosen und Marius Müller-Westernhagen hat aber auch diese Stadt nicht nur Künstler hervorgebracht, die von Anfang an als massentauglich galten.

Und noch ein weiteres Beispiel: Bis zum Grunge-Hype Anfang der 90er Jahre war die Stadt Seattle ziemlich gesichtslos, war lediglich als wichtiger Handelsknotenpunkt für den Pazifischen Nordwesten bekannt. Dann begann die Herrschaft der Loser und Bands wie Pearl Jam, Alice in Chains oder eben Nirvana machten Seattle zum Epizentrum des Musikgeschehens. Die gesamte Bevölkerung ist verantwortlich für die Außendarstellung einer Stadt. Es reicht aber eben manchmal schon eine bedeutende Persönlichkeit aus, um hierauf beachtlichen Einfluss zu nehmen. Schon einmal darüber nachgedacht, Herr Schnitzenbaumer?

 

„If I can make it there, I’ll make it anywhere“

 

Münchens alternative Szene ist also vorhanden und außerdem mit einer amtlichen Historie gesegnet. Dass dies nicht unbedingt das Bild ist, das alle Welt von der Alpenmetropole hat, ist unter Berücksichtigung übermächtiger Aushängeschilder wie dem FC Bayern München oder dem Oktoberfest nicht verwunderlich.

Sicherlich gibt es günstigere Orte um als Künstler seinen Schaffungsprozess voranzubringen. Aber wenn man es in München erst einmal geschafft hat, den elitären Kreis des Szenepublikums zu überzeugen, dann muss man echt eine coole Sau sein.


Das könnte Dich auch interessieren: 

 

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bild: Pexels unter CC0 Lizenz