Palästina läuft für den Frieden: „Wir wollen normal leben wie Leute in Berlin“
Läuft man durch Bethlehem, bekommt man einen Eindruck vom Leben in Palästina: Hütten aus hellem Sandstein, ehrwürdige Gassen, die sich immer wieder zu Hügeln aufreihen, von denen aus man auf die umliegenden Landschaften schauen kann. Hier also wurde Jesus vor 2023 Jahren geboren und hier wird 2023 Jahre später der Nahostkonflikt deutlich werden wie kaum anderswo: in Form von schrumpfendem Tourismus, einem Grenzwall, Flüchtlingscamps und Patrouillen.
Der 1. April 2016 ist ein besonderer Tag in Bethlehem. Der Palestine Marathon wird stattfinden, zum vierten Mal schon. Es werden 4.400 Läufer antreten, davon 45% Frauen – der höchste Anteil weltweit. 2012 wurde der Marathon von „Right to Movement“ initiiert, einer Organisation des zivilen Widerstands, die mit Ausdauersport auf die Beschneidung der Rechte der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam machen will.
Leben so wie Menschen anderswo
„Wir wollen normal leben wie Leute in Berlin. Wie Leute in London. Wie Leute weltweit. Weil wir aber von Israel in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, ist das nicht möglich. Das wollen wir zeigen“. Diala Isid ist 25 Jahre alt, Christin und hat Architektur studiert. 2012 gründete sie „Right to Movement“, vier Jahre und Marathons später laufen 200 Leistungs- und 500 Freizeitsportler in den Städten Ramallah, Bethlehem, Nazareth und Jerusalem.
„Right to Movement“ beruft sich dabei auf den Artikel 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dieser sagt: Jeder habe das Recht auf Bewegungs- und Wohnsitzfreiheit innerhalb der Grenzen eines Staates. Und: Jeder habe das Recht, ein Land, sein Heimatland miteinbegriffen, zu verlassen und wieder zu betreten.
Genau das ist aber in Palästina unter israelischer Besatzung nicht möglich. Bei der Einfahrt nach Israel werden Palästinenser in Bussen strengstens kontrolliert. Ein bis zu acht Meter hoher Zaun trennt das Westjordland von Israel. Im Rahmen seines Baus wurden ganze Nachbarschaften auseinandergerissen, Häuser demoliert, Familien getrennt. Wie die NGO Machsom Watch dokumentiert hat, begehen israelische Soldaten an Grenzübergängen und Checkpoints regelmäßig Menschenrechtsverletzungen.
„Abgesehen davon ist es in Palästina nicht möglich, 10 Kiliometer zu rennen, ohne an eine Grenze, einen Schutzwall oder einen Checkpoint zu überqueren“, sagt Isid. Deshalb setzt sich der Streckenverlauf des Marathons auch aus Runden zusammen. Running in Circles, Schritt für Schritt – eine treffendere Metapher hätte Right to Movement zur Umschreibung einer hoffnungslosen politischen Situation nicht wählen können.
Globaler Schulterschluss
„Right to Movement“ ist auch deshalb so wichtig, weil es wie ein Magnet auf Internationals wirkt. Unter den 4.400 Teilnehmern des Marathons waren 1.300 Läufer aus aller Herren Länder. Der Gewinner? Ein Südafrikaner. Gefolgt von einem Schweden, einem Dänen, Deutschen, Amerikanern, Irländern, Holländern. Unter den Trainingsgruppen in den einzelnen Städten rennen immer wieder Touristen oder ausländische Studenten, die in Palästina verweilen.
Weltweit hat sich der Marathon mit zwölf Organisatoren vernetzt, das palästinische Olympiakomitee ist offizieller Partner. Inzwischen haben sogar der Guardian und die Washington Post über den Marathon geschrieben. Das Projekt hat Brücken gebaut.
Diala Isid selbst ist schon in zahlreichen internationalen Marathons gelaufen, der Sport brachte sie unter anderem nach Kopenhagen, Dublin, Beirut oder in die USA. Es gehe ihr auch stets darum, die eigene Geschichte weiterzuerzählen, sagt sie. Durch Kommunikation entstehe Verständigung, dadurch entwickele man Empathie und könne sich in die Lage des anderen hineinversetzen. Isid umschreibt das so: „Wir warten nicht darauf, dass die ganze Menschheit nach Palästina kommt und unser Leben sieht. Wir bereisen die Welt und nehmen an Marathons in anderen Ländern teil, um den Menschen die Geschichte Palästinas näher zu bringen“. Gewalt als Lösung des Konflikts lehnt Isid strikt ab.
Von Bethlehem bis nach Jerusalem
Nicht nur nach außen, aber auch für Palästina selbst stellt „Right to Movement“ eine sinnstiftende Initiative dar. Am Marathon nehmen zahlreiche Rollstuhlfahrer und körperlich behinderte Menschen teil. Genauso wie Familien mit Kindern oder Verwandte von Ausdauersportlern. Sie alle können sie sich für einen sogenannten kleinen Lauf anmelden, der neben Halbmarathon und Marathon zusätzlich angeboten wird. Vor dem Startschuss ließen die Teilnehmer Luftballons als Zeichen des Friedens in die Luft steigen.
Dabei kann die palästinensische Alltagsrealität, die man auf der Strecke zu sehen bekommt, einen durchaus schockieren. Der Marathon beginnt an der Geburtskirche, geht durch die Straßen Bethlehems am „Apartheitswall Israels“ vorbei und durch zwei Flüchtlingscamps. „Wir wollen den Sport nutzen, um Menschen einen Einblick in unseren Alltag zu geben.“, sagte Isid. Dieser ist nun mal von der Besatzung Israels gekennzeichnet.
George Zeidan, der Veranstalter des Marathons, sagte erst neulich: „Wir hoffen, dass der Marathon in ein paar Jahren an der Geburtskirche beginnt und in der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem endet“. Die al-Aqsa-Moschee ist ein islamisches Heiligtum, befindet sich aber auf dem Tempelberg in Jerusalem. Dieser ist seit vielen Jahren Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern. Die Erlöserkirche in Bethlehem trennen von der al-aqsa-Moschee in Jerusalem etwas mehr als sieben Kilometer Luftlinie. Auf 42 Kilometer sollte man diese Distanz notfalls strecken können.