Behinderung Rollstuhl Liebe Partnerschaft

25, blond, Rollstuhl, sucht…

Von Sophie Kobel

„Sobald ich den kleinen grünen Punkt neben seinem Namen auf dem Bildschirm gesehen habe, war ich ganz aufgeregt.“ Vier Wochen lang poppte Pauls Chatfenster auf Alessas Laptop auf. Drei Mal haben sie sich verabredet, waren im Münchner Olympia-Park spazieren, haben sich ein Eis geteilt und gemeinsam den Bus verpasst. Alessa zuckt mit den Schultern: „Aber dann hat er sich mit der Zeit als ziemlicher Macho herausgestellt. Auf so was hab ich echt keine Lust.“ Seither klickt sie Paul beim Dating-Portal weg. Alessa (31) schenkt sich Darjeeling nach. Die Hälfte des Tees landet auf ihrer weißen Tischdecke. Sie nimmt es mit einem Lächeln. Para-Parese ab dem fünften Lendenwirbel nach Schwermetall-Vergiftung im Alter von acht Jahren. Alessa sitzt im Rollstuhl.

„Ich sag immer: Ich kann alles, außer laufen!“. Die Arbeit als Kerzen-Designerin bei der „Pfennig-Parade“, ihr kleiner Haushalt und Spiele-Nachmittage mit Freunden halten sie auf Trab. Wer mit Alessa über ihre Behinderung sprechen möchte, bekommt nur eine abwinkende Handbewegung als Antwort „Papperlapapp, ich sehe mich selbst einfach nicht als behindert, es gibt so viel Interessanteres zu bereden.“ Zum Beispiel, wie es mit dem Online-Dating so läuft. Alessa lacht.

 

Dating-App mit Menschen mit Handicap

 

Jenseits von „Elite-Partner“, „Tinder“ und Co gibt es Dating –Portale mit Namen wie „handicap-love.de“, „flirt-projekt.de“ oder „gleichklang.de“. Dort kann man auch Gewicht, Größe und Frisur eintragen. Ganz unten allerdings trifft der Cursor ein kleines leeres Feld. Es fragt: „Dein Handicap:“?

Hartmut Neidiger hatte die Marktlücke erkannt und gründete 2004 eines der ersten Dating Portale für behinderte Menschen und HIV Positive. Die beiden Zielgruppen sind jedoch einen Mausklick von einander entfernt. Neidiger (45) sieht das pragmatisch: „Ich meine, was will eine Querschnitts-Gelähmte mit einem HIV Positiven?“ Meldet man sich bei „flirt-projekt.de“ an, ist eine einmalige Gebühr von 25 Euro fällig. Denn „halbherzig Suchende braucht hier keiner.“, sagt Neidiger und ist sichtlich stolz auf sein Portal: „Meine Dating-Seite ist die einzige, die keine Bilder von glücklichen jungen Frauen zeigt, die mit ihrem Rollstuhl vergnügt durch den Park fahren.“ Nur wer zahlt, kann die Bilder der anderen Mitglieder sehen. „Alles andere wäre mir zu oberflächlich.“ Seit inzwischen 12 Jahren funktioniert Neidigers „flirt-projekt.de“, aktuell gibt es über 50 000 aktive Mitglieder.

 

Wer liebt, der schiebt

 

Bei der Konkurrenz, „handicap-love.de“, ist ungleich mehr Leben auf dem Bildschirm: Fotos der neuesten Mitglieder auf der Startseite und eine Auflistung, welche Benutzer in diesem Moment online sind. Alessa ist seit 15 Monaten dabei und hat ihre Erfahrungen gemacht: „Die meisten Männer denken, als 31-jährige behinderte Frau würde man eh jeden nehmen. Nur weil ich im Rollstuhl sitze, heißt das noch lange nicht, dass ich mit irgendeinem Knallkopf zusammen sein möchte.“ Seit sie im vergangenen Sommer ein Foto von sich, braun gebrannt im Rollstuhl auf Gran Canaria hochgeladen hat, bekommt sie regelmäßig Anfragen von Männern. Das Foto von vorher, im E-Rollstuhl im Hinterhof kam nicht so gut an. Ob ihr zukünftiger Partner ebenfalls eine Behinderung haben sollte, ist ihr gleichgültig. „Solange wir über viele unterschiedliche Themen reden können, ist alles gut.  Und: solange wir uns um fünf Uhr nachmittags einen Latte Macchiato teilen.“ Alessa lächelt und spielt mit ihrem Bernstein-Ohrring „Ob er das auf Beinen oder Rädern macht, ist mir eigentlich nicht so wichtig.“ Sie hält kurz inne. „Aber natürlich wäre es schon irgendwie schön, geschoben zu werden. Wer liebt, der schiebt.“

Andreas Würth betreut 30 Behinderte im Wohnheim der Pfennigparade. Für ihn bedeutet Inklusion, „Behinderten Erfahrungen zu ermöglichen.“ Dazu gehört, ins Einkaufszentrum zu gehen, Übernachtungs-Gäste zu empfangen, aber auch Online Dating. Problematisch wird es seiner Meinung nach bei jungen Frauen mit geistiger Behinderung. Sie haben keine realistische Einschätzung der Situation und benehmen sich naiv und kindlich bei den persönlichen Begegnungen. Des attraktiven Foto wegens werden Männer auf sie aufmerksam, die nicht wissen, was es bedeutet, eine Beziehung mit einer geistig behinderten Frau zu haben.  Der Flirt, der erste Kuss und der Sex – das spielt für viele geistig behinderte Frauen keine große Rolle. Andreas Würth: „Für die ist es eigentlich nur wichtig, sich geborgen zu fühlen. Kuscheln ist bei uns ganz wichtig.“

 

Mitgefühl, aber kein Mitleid

 

Partnerschaften unter Menschen mit Handicap, sagen viele Betreuer, entstünden zwar sehr langsam, seien dafür aber oft intensiver und auf eine ganz besondere Art intim. „Wenn ich mich jemandem völlig hingebe, habe ich Angst davor, Mitleid zu bekommen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Ich erwarte Verständnis von meinem Partner, wenn ich abends sage, ich kann nicht mehr. Aber ich möchte nicht als armes Mäuschen gesehen werden. Das ist oft eine Gratwanderung.“

Im Moment gibt es einen Mann in Alessas Leben. Sie schicken sich selbst verfasste Kurzgeschichten. Letzte Woche hatten sie ihr erstes Date. Im Tierpark. Da geht sie fast jede Woche hin, denn Behinderte haben dort freien Zutritt. Die Frage nach einem kleinen Kuss beim Date bestraft Alessa mit einem entsetzten Blick: „So eine bin ich nicht!“.

 

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Bildquelle: Nathan Walker unter CC0 Lizenz