Selbst Schuld oder Schicksal?

Moody Murphy: Eigene Schuld oder Schicksal?

„Erstens, der Barkeeper ist da“, setzte meine Freundin an. „Zweitens, er ist nicht da.“ (Sie stand auf den Barkeeper, muss man dazu sagen.) Es war der Tag vor Freitagabend und wir bereiteten uns auf eine weitere Feiernacht vor. Sie sollte exorbitant und natürlich genau wie geplant ablaufen. Und von dem unerklärlichen Angstschauer gepackt, dass uns dabei etwas in den Weg kommen könnte, gingen wir probeweise alle erdenklichen Szenarien durch, um gewappnet zu sein. Ich zählte weiter auf: „23: Der Club ist voll, ganz leer oder zu. 24: Um zwei Uhr haben sie keinen Tropfen Alkohol mehr und schenken statt Vodka Wasser aus. 25: Der DJ spielt neuerdings nur noch Volksmusik.“ Am Ende traf keiner der angstvoll durchgespielten Fälle, sondern der Notarzt am U-Bahnhof ein. Wahrscheinlich das einzige Szenario, an das wir nicht gedacht hatten.

 

Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen

 

Ein klassischer Fall von Murphys Law. Irgendwie hatte man ja schon fast bis fest damit gerechnet, dass der Abend scheitern würde; wahrscheinlich war nur noch die Frage, auf welche Weise. „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, so lautet schließlich Murphys Gesetz. Edward A. Murphy war Ingenieur und 1949 am Raketenschlittenprogramm der US Air Force beteiligt. Dabei sollte getestet werden, wie viel Beschleunigung der menschliche Körper aushält. Dafür musste man am Körper einer Versuchsperson 16 Sensoren befestigen, die auf zwei Arten angeschlossen werden konnten: auf die richtige oder um 90 Grad Abweichung.

Weil einer der Assistenten ständig die Sensoren an der Versuchsperson falsch fixierte, kam Murphy zur trockenen Erkenntnis: „Wenn es zwei oder mehr Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, und eine dieser Möglichkeiten zu einer Katastrophe führt, dann wird er sich für genau diese Möglichkeit entscheiden.“ Auf einer Pressekonferenz ein paar Tage später machte sein Kollege John Paul Stapp daraus die berühmte Quintessenz: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“ (Außer natürlich, man will gerade beweisen, dass etwas schiefgeht.) Murphys Law war geboren.

 

Nicht unser fahrlässiges Verhältnis zum flüssigen Rausch – nein, das Schicksal selbst!

 

Heute finden wir Murphys Law mit all seinen Regelsätzen nicht nur ganz amüsant, sondern auch ungeheuer praktisch. Schließlich können wir darauf alles abwälzen und unserem Unmut über die Widrigkeiten des Alltags einer Erklärung zuordnen, die nicht unser eigenes Versagen impliziert. So war es auch nicht die Schuld einer von uns, dass wir an jenem Abend mehr mit Sanitätern Kontakt hatten als mit lässigen Barkeepern, nicht unser fahrlässiges Verhältnis zum flüssigen Rausch – nein, es war Murphy, es war das Schicksal selbst, das es vergeigt hatte!

So unwissenschaftlich und pessimistisch Murphy auch daherkommt: Eigentlich ist es eine sehr hilfreiche Methode, sich für alle Eventualitäten systematisch zu wappnen. Expect the unexpected. Und das ist nicht bloße Schwarzmalerei, sondern hilft auch, mit Katastrophen großen und kleineren Ausmaßes zurechtzukommen. Schließlich kann man doch viel besser mit Tiefschlägen umgehen, wenn man sich innerlich darauf vorbereitet hat, als wenn jemand aus heiterem Himmel mit einer Kettensäge in deine Traumblase rast. Wenn die Pessimisten am Ende gelassen grinsend Niederschläge auf sich herabprasseln lassen und Optimisten von Kleinigkeiten völlig aus der Bahn geworfen werden – wer ist dann der Gearschte?

 

Moody Murphy und die selektive Wahrnehmung

 

„Die andere Schlange kommt stets schneller voran“, lautet eines von Murphys Gesetzen. „Die Häufigkeit eines Juckreizes verhält sich umgekehrt proportional zur Erreichbarkeit der Stelle“ ein anderes. Psychologisch gesehen übersieht Murphys Law aber leider ein ganz wichtiges Detail: unsere selektive Wahrnehmung. Am Ende ist es wahrscheinlich mehr Einbildung als Bildung, dass immer alles schief geht, was schief gehen kann. So oft das Bierdeckelhaus, das sich mein Leben nennt, auch einstürzt und ich den Trümmern nur noch beim Fallen zusehen kann, ich weiß, dass es immer noch beschissener sein könnte. Dass manches (vieles) klappt, was auch hätte schief gehen können.

Aber ein lästiger psychologischer Trick verleitet uns oft dazu, ein verzerrtes Bild der Realität zu sehen, uns nicht auf den Lichtkegel über, sondern nur um das unfreundliche Dunkel um uns herum zu konzentrieren. Wir merken uns nur die Momente, in denen wir in Stau und Schlange stehen und registrieren nicht die, in denen alles glatt läuft. Dass wir dann das Gefühl haben, dass uns ständig Gegenwind in die Fresse weht, ist also nicht nur Murphy-induzierter Alltagskompott, sondern vor allem auch ein großartiger Selbstbeschiss. Und andere Regeln wie „Das, was du suchst, findest du immer dort, wo du zuletzt nachschaust“ sind schlichtweg seltsam: Klar sind verlorene Sachen dort, wo man zuletzt nachsieht. Wäre ja auch schön blöd, danach noch weiterzusuchen.

Murphys Law ist also keine Antwort auf alles. Aber trotzdem ein guter Anstoß, sich auf alle Eventualitäten des Lebens vorzubereiten und damit jedem Problem halbwegs gelassen entgegen sehen zu können. Auch wenn eingangs genannte Geschichte ja beweist: Man kann sich sowieso nie ganz vorbereiten. Wir hängen Moody Murphy und den Launen des Schicksals an der Leine wie ein missmutiger Dackel. Wir können uns eigentlich nur damit abfinden – und hin und wieder an Laternen pinkeln (bitte versteht das metaphorisch).

 

 

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

Bildquelle: Matthew Wiebe unter CC0 1.0