Samy, Madsen und Sepalot über Streaming: Wenn Musik zu Fastfood wird
Skip! Auf dem Laufband brauche ich schnelle Beats, die mich nach vorne bringen. Skip! Beim Wohnungsputz lasse ich die Feel good-Playlist das ein um das andere Mal durchlaufen und – Skip! – auch für meinen Arbeitsweg finde ich Lieblingssongs, die mich entspannt im Büro ankommen lassen. Streaming Dienste, wie Napster, Deezer, Apple Music und natürlich Spotify zaubern uns eine gigantische Plattensammlung in die Tasche, die unsere Großeltern vor Neid erblassen lässt.
Umsatzbooster Streaming
Knapp ein Drittel ihrer Gesamterlöse erwirtschaftete die Musikindustrie im vergangenen Jahr durch das Digitalgeschäft. Streaming spülte der Branche dabei 14,4% aller Einnahmen in die Kasse und hat somit erheblichen Anteil am „erfolgreichen Musikjahr 2015“ (BVMI, 2016). Herzlichen Glückwunsch also an uns alle, die wir Musik gratis oder zumindest kostengünstig konsumieren und unsere Wirtschaft dennoch vorantreiben. Und das für nur 10 € im Monat. (Nahezu) unbegrenzter Zugriff auf alle Platten, die der Musikgott werden lies – Herz, was willst du mehr!?
Dass mich ein Album vor wenigen Jahren rund 15 € kostete, ist heute kaum noch denkbar. Somit profitieren wir doch alle: Die Hörer, die Labels und nicht zuletzt die werbenden Unternehmen, welche unzählige junge Menschen über die Streaming Plattformen erreichen. Läuft!
Doch was bedeutet Streaming eigentlich für die Künstler?
Dass Musiker sich kritisch gegenüber der Entwicklung „Mukke-für-lau“ äußern, ist nicht neu. So zog Bela B. gegenüber dem Rolling Stone bereits vor vier Jahren folgenden bildlichen Vergleich: „Ein Lied, das dich vielleicht ein Leben lang begleitet, kostet weniger als ein Snickers an der Tanke.“ Mittlerweile ist das Phänomen ‚Streaming’ kein Phänomen mehr und in unserer Gesellschaft mehr als etabliert. Hat sich die Einstellung der Künstler dadurch geändert? Samy Deluxe, Urgestein der deutschen Rap-Szene, hat den digitalen Vormarsch von Anbeginn miterlebt. Sein erfolgreichster Song auf Spotify ‚Poesie Album’ erschien 2011. Knapp 6 Millionen Streams in rund fünf Jahren.
Beeindruckende Zahlen, die das ganz große Geld vermuten lassen. Diese millionenfachen Aufrufe haben ihm tatsächlich ganze 5.000 € eingebracht, so Samy im ZEITjUNG Interview. Klingt zunächst ganz in Ordnung, bedeutet aber pro Stream einen Verdienst von 0,00083 €. Diese Fakten waren dem Hamburger Rapper zu schwach, um sein im April erscheinendes Album „Berühmte letzte Worte“ über Streaming Plattformen anzubieten. „Die größten Verkaufserfolge feiern momentan die Platten, die nicht gestreamed werden“, gibt Samy zu bedenken und verweist auf Taylor Swift und Adele, die ihre Musik ebenfalls ohne die Hilfe von Spotify & Co unter die Leute bringen.
Erhöhter Livewert durch Gratismucke
Aber auch, wenn die Zahlen zunächst eine andere Sprache sprechen, so profitieren die Künstler natürlich von der Reichweite der Streaming Plattformen. „Es ist wichtig, dass dein Song in zwei, drei Playlists auftaucht. Gerade als Newcomer erreichst du so ein viel größeres Publikum, was wiederum deinen Livewert erhöht.“ Der Stellenwert von Samy Deluxe in Deutschland und natürlich auch bei seinem Label, lässt ihn frei entscheiden, wie er seine Musik anbietet. Dass nicht jeder den Luxus dieses Mitspracherechts genießt, weiß er aber nur zu gut: „Newcomer haben da gar keine Chance. Alle, die jetzt einen Vertrag abschließen, kommen an der Streaming Sache nicht vorbei.“
Sebastian Madsen, Stimme und Gesicht der gleichnamigen norddeutschen Indie-Rock-Band, bestätigt diese Aussage: „Als Band in unserer Größenordnung würden wir uns selbst massiv schaden. Zu unseren Konzerten kommen auch viele junge Leute, die uns ohne Streaming vielleicht gar nicht kennen würden.“ Die Jungs von Madsen sorgen seit über zehn Jahren für Ohrwürmer am laufenden Band, verdienen durch ihre gestreamten Songs aber auch keine Unsummen. Zumindest, so Sebastian, habe er hierdurch noch keine auffälligen Bewegungen auf seinem Konto beobachten können.
„Streamingkohle läuft ewig.“
Sepalot und seine Bandkollegen von Blumentopf sind bereits seit 1992 Teil der Musikindustrie. Für ihn stellte sich nie die Frage, seine Musik nicht über Streaming anzubieten, denn „es ist nicht der richtige Weg den Leuten den Weg zur Musik zu erschweren“. Er selbst ist großer Fan von der Art des Zugangs, den Streaming zur Musik bietet.
Ob der niedrigere Preis, den der Hörer bereit ist zu zahlen, gleichbedeutend ist mit einer geringeren Wertschätzung der Musik, können die drei Künstler nicht pauschal beantworten. Samy differenziert: „Den idealistischen Wert von Musik oder Kunst im Allgemeinen erkennt nicht jeder. Mir war es immer wichtig die Musik zu besitzen und ich glaube, dass es jedem idealistischen Musikhörer und Fan so geht. Wenn du die 10 € von deinem Streaming Account irgendwann nicht mehr zahlen kannst, hast du halt gar nichts mehr.“ Und auch Madsen-Frontmann Sebastian sieht den Unterschied in der Identifikation mit der Musik: „Viele hören Musik so schnell und unkonzentriert wie sie Fastfood essen. Bei großen Musikliebhabern ist es aber bestimmt anders. Man kann unglaublich viel neue Musik entdecken und diese auch genießen, wenn man sich die Zeit nimmt.“
Sepalot geht noch einen Schritt weiter und sieht in Streaming das Potential für eine positive Entwicklung für die Musik. Momentan agiere die gesamte Branche vollkommen chart- und umsatzorientiert. Alles würde drangesetzt die ersten ein, zwei Wochen einer neuen Platte erfolgreich zu gestalten um möglichst hoch zu charten. Über Streaming erzielt ein Titel oder Album erst durch tausendfaches Hören denselben Gewinn wie beispielsweise der Verkauf einer CD. Also zeichnet sich hier die Relevanz der Musik erst nach einer viel längeren Zeit ab, was sich durchaus positiv auf die Wertigkeit auswirken kann. Auch die Labels werden wieder langfristiger denken müssen. „Streamingkohle läuft ewig“, bringt er seine These auf den Punkt.
<0,001 € / Poesie Album
Viel mehr als die Ramschpreise, zu denen seine Songs abrufbar sind, regen Samy Deluxe die Verteilungen der hierdurch generierten Einnahmen auf: „Diese Dunkelziffer, die Millionen oder Milliarden Euro, welche die Labels ab Minute 1 des Vertragsabschlusses durch den Verkauf des Gesamtkatalogs an die Streaming Anbieter verdienen und der Artist 5 Jahre warten muss, bis er 5.000 € verdient hat, das ist der viel fundamentalere Fehler im System.“
Korrekt: Die Plattform zahlt je Stream an den Rechtehalter des Songs. In den meisten Fällen sind dies die Labels. „Dann kommt es aber noch auf den Vertrag an, was tatsächlich beim Artist ankommt“, erklärt Samy und wir erinnern uns an die 0,00083 € für jedes gestreamte Poesie Album.
Vorbild Netflix
Sepalot wirft den Entscheidern der Musikindustrie lediglich vor, sich in der unaufhaltsamen digitalen Entwicklung wie „alte Großväter“ verhalten zu haben, die unbedingt an ihren bestehenden Modellen und an den klassischen Tonträgern festhalten wollen. Das Resultat sind Deluxe- und Fanboxen, welche die CD zum Bestandteil einer riesigen Wundertüte machen und zur offensichtlichen Entwertung der Musik beitragen. „Die Filmindustrie hingegen hat das vorbildlich hingekriegt. Jeder ist gewohnt, Rundfunkgebühren zu zahlen. Niemand beschwert sich über die Kosten seines Sky Abos oder Netflix-Accounts.“ Der kostenpflichtige Zugang zu Filmen und TV-Inhalten ist beim Konsumenten also akzeptierter als zur Musik. Stimmt das?
Bestätigung findet Sepalot in der Rechtfertigung vieler YouTube-User, die, anstatt die böse Plattenindustrie beim Abzocken der Künstler zu unterstützen, lieber direkt den kostenlosen Zugang über das Videoportal suchen. „Ich habe leider oft den Eindruck, dass diese Diskussion nur als willkommene Ausrede dient, weiterhin Musik kostenlos über YouTube zu streamen“, so Sepalot. „Lieber sollen die meine Musik in einer anständigen Qualität bei einem offiziellen Streaming Dienst anhören, als sich schlecht konvertierte und unvollständige Alben auf YouTube reinzuziehen. Denn davon hat der Künstler definitiv rein gar nichts.“
Gar nicht so übel!
Nach wie vor ist Streaming unter Künstlern also die ungeliebte Großtante, die auf jeder Familienfete uneingeladen auftaucht und sich in alle Gespräche einmischt – irgendwie muss man sich mit ihr arrangieren: „Wir machen Musik, damit sie gehört wird und die meisten Menschen hören nun mal auf diese Art Musik“, fasst Sebastian das Dilemma zusammen. „Wir haben mit Madsen noch nie wahnsinnig viele Platten verkauft aber es kommen immer mehr Leute zu unseren Konzerten. Irgendwoher müssen die ja alle unsere Musik kennen.“ Man muss also kein Rechengenie sein um festzustellen, dass Streaming der Popularität der Künstler durchaus nutzen kann, finanziell jedoch wahnsinnig unattraktiv ist.
Dennoch: Solange über diesen Weg zusätzliche Hörer und Käufer der klassischen Tonträger aber nicht verloren werden, ist Streaming keine ganz so üble Sache.
Unsere heutige Gesellschaft ist vielfältiger interessiert denn je. Nicht jeder ist ein Musikjunkie und kann den Aufruhr um dieses Thema gegebenenfalls nur bedingt nachvollziehen. Das Angebot ist da und wird sich voraussichtlich weiter entwickeln – also warum nicht nutzen? Dennoch viel Erfolg, wenn ihr euch auf die Suche nach dem nächsten coffee to go für 0,01 € macht.
Eine einfache und für alle Seiten faire Alternative des exzessiven Musikgenusses findet ihr übrigens hier.
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Bildquelle: Titelbild via pexels.com, CC0