Tattoo Tättowierung Fehler

Von Arschgeweihen und großen Fehlern: “Tätowieren ist nichts für Quereinsteiger.“

Einst galten Tätowierungen als Brandmal für die Ewigkeit. Eine unwiderrufliche Modifikation des eigenen Körpers. Heute sind Restaurationen und Kaschierungen von Tattoos so allgegenwärtig, dass der Nadelstich unter die Haut einem Abziehbildchen gleicht. Das gleichmäßige Surren der Nadelmotoren dringt vor bis zum Kassenhäuschen. Ein vorfreudiges und nervöses Ziepen in der Magengegend signalisiert, dass die 15€ Eintritt gut investiertes Geld sind. Tattoo Conventions scheinen stets ein großes Klassentreffen der Klischees zu sein: Pumpertyp mit Stiernacken, Bomberjacken und Halstätowierungen meets Wampenträger in Lederkluft.

Dass die Realität diese Rollenbilder immer wieder bestätigt, ist so plump, dass es schon wieder schockiert. Zur Badesaison 2015 waren 15% der Deutschen tätowiert. Das sind bedeutend mehr Menschen als organsierte Rockerbanden in ihren Reihen wissen. Wie setzt sich also der Rest der körperbemalten Gesellschaft zusammen? Wir sprechen mit Milan Mann, Geschäftsführer des seit 1999 bestehenden Chaos Crew-Tattoostudios in München: „Es gibt schon lange keine typischen Kundenraster mehr“, so Milan, „aber ein Großteil der Kunden sind studierte Frauen um die dreißig Jahre.“ Tattoos bieten zuverlässige Vorlagen zum Einschlagen in die immer selbe Stereotypen-Kerbe und am Ende lautet das Ergebnis: „Sensation! Nicht alle Tätowierten sind kriminell!“.

Aber wer oder was überrascht in diesem Thema überhaupt noch? Gibt es Kunden, die typischer sind als andere? Definiert das Motiv den Tätowierten? Zunächst stellt Milan klar: „Dieser Beruf ist kein ‚Cherrypicking’. Wir gehen auf Kundenwünsche ein und das bedeutet, dass wir trotz unserer Ausbildung an Kunstakademien nicht immer so frei und kreativ arbeiten dürfen, wie wir gern würden.“

 

Comeback eines Klassikers

 

Die vergangenen Sommersaisons haben uns ätzende Trendtattoos offenbart: Pusteblumen, deren Samen zu Schwalben werden, Unendlichkeitszeichen, Federn,… „Der, dem die Haut gehört, entscheidet“, kommentiert Milan dieses Phänomen. Derartige Motive sind die Brandzeichen der sogenannten ‚Me-Too-Typen’. Für Tätowierer sind diese Menschen leicht identifizierbar. „Man merkt sofort, dass das Motiv keine individuelle Bedeutung für diese Kunden hat, sondern sie einfach ein ähnliches Tattoo an einer ähnlichen Stelle haben wollen, wie sie im Fernsehen oder auf der Straße gesehen haben.“

In diesem Fall wird das Tattoo also zum Trendprodukt. „Trends treten in Wellenbewegungen auf“, erklärt der Profi, „Das Arschgeweih ist mittlerweile so vergessen, dass es schon wieder cool ist. Junge Mädels, die das aus den 90ern nicht mehr kennen, sehen das bei älteren Frauen und wollen das nun unbedingt auch haben.“ Sei stark liebe Gesellschaft, das Arschgeweih ist zurück!

 

All my tattoos are random tattoos

 

Als Betroffener ist die Diskussion um die Bedeutung eines Tattoos eine sehr leidige. „Die Interpretation eines Motives ist immer beliebig. Und egal wie der Grund ist, wichtig ist, dass am Ende die Umsetzung der Idee passt.“ Man kann dem Profi nur applaudierend zustimmen. Aber was tun, wenn die Umsetzung eben nicht passt oder das Motiv irgendwann wirklich nicht mehr gefällt? Die Ausbesserung, Kaschierung oder Entfernung eines unbefriedigenden Tattoos ist allgegenwärtig und füllt sogar ganze TV-Formate. Eine Entscheidung fürs Leben ist der Nadelstich unter die Haut demnach nicht mehr.

Ob Knast-, Urlaubs- oder Jugendsünden: Die meisten „verstochenen“ Kunden landen aufgrund von Spontanaktionen in den rettenden Händen von Milans Team. Ein verlockendes Schnäppchenangebot am Goldstrand und – zack – schon hat man das ganz besondere Souvenir.
Wesentlich häufiger besteht die Kundschaft zur Rettung der verschandelten Haut aber aus Kids, die in seriösen Tattoostudios abgewiesen wurden und sich anschließend von Hobbyköchen verunstalten lassen. „Wir geben uns wirklich Mühe, die unter 18-jährigen aufzuklären“, so Milan im ZEITjUNG-Interview, „Allerdings besteht hier dennoch die Gefahr, dass diese Kids an ‚Hobbyköche’ geraten, die sie ungeachtet ihres Alters verschandeln.“

Die Ambitionen dieser Heimwerker quittiert Milan mit einem Kopfschütteln: „Tätowieren ist nichts für Quereinsteiger. Es ist ein Handwerk, das erlernt werden muss. Nur schön zeichnen reicht da nicht.“ Der bloße Besitz einer Tätowiermaschine rechtfertigt demnach ebenso wenig zur Selbsternennung als Tattoo Artist, wie ein Fernglas zum Betreiben einer Gynäkologie-Praxis.

 

Für 50€ desinfizierst du nicht mal einen Stuhl

 

Manche Kunden lernen dieses auf die harte Tour und zahlen am Ende den doppelten Preis. „Cover-Ups müssen teurer sein, weil es einen höheren Aufwand bedeutet. Aber jemandem, der bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat, ist es das Geld auch wert“, der Shopbetreiber spricht aus Erfahrung. „Ein Tattoo kostet leider Geld und daran sollte man nicht sparen, schließlich ist es für immer.“

Die Einstellung zu diesem Thema von Milans Lieblingskunden lautet: „Geld ist egal, Hauptsache es wird gut.“ Die kommende Generation der dreißigjährigen Akademikerinnen sollte sich also genau überlegen, ob der Verzicht auf die nächste Michael Kors-Tasche zu Gunsten eines qualitativ einwandfreien Tattoos, nicht die klügere Investition ist, anstatt bei der Auswahl des Studios zu geizen. Und ein letzter Appell vom Profi an alle Pauschalurlauber: „Niemand käme am Strand auf die Idee, sich einen Zahn ziehen zu lassen. Aber die Preise sind verlockend und darum lässt man sich tätowieren.“

Entscheidend für das Vertrauen in den Shop sollten immer qualitative und hygienische Standards sein und keine Dumpingpreise, die weder Arbeits- noch Materialaufwand decken, geschweige denn einen desinfizierten Stuhl garantieren können.

In Zusammenarbeit mit Chaos Crew Tattoo Studio Munich.

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Bildquelle: Alex Hockett via unsplash.de