Eine Generation schafft sich ab

Von Gidon Wagner

Die Jugend von heute ist schon eine, über die hat jeder eine andere Meinung. Und liest man die 100 verschiedenen Statements über die sogenannte Generation Y, schwankt bei mir die Stimmung, pendele ich zwischen Achselzucken, Kopfschütteln und Brechreiz. Eine künstlich geschaffene Debatte über die Generation “Why” füllt die Blätter und Online-Auftritte der Medien, seit Monaten. Und dass die Generationenkritik hauptsächlich von Ratlosigkeit der Autoren zeugt, zeigen die Pro und Contras der Kritiker gegenüber der Generation Y. Sie fragen sich: Ist das eine gute oder schlechte Truppe von Deutschen, Europäern? Die Debatte eint die Urheber in Subjektivität und Langeweile, aus der ganze Bücher entstehen können.

 

Junge Zombies und die gute alte Neuzeit

 

Bei der Neuen Zürcher Zeitung philosophiert Schriftsteller Milosz Matuschek über “seine” verwöhnte Generation der Neuzeit. Er ist besorgt, was seine Generation der Nachwelt hinterlassen wird. “Reich mir mal den Rettich rüber”, feixt Kabarettist Rainald Grebe in seinem Lied über 30-jährige Pärchen, was Nina Pauer bei zeit.de dankbar als Titel ihres Beitrags zum modernen Spießbürgertum aufgreift. Und Buchautor Oliver Jeges lässt in seinem Beitrag Die Jugendlichen von heute wirken wie Zombies seiner Phantasie über eine Jugend freien Lauf, die “orientierungslos und ziemlich gleichgültig” sei und durchs Leben irre. “Ohne Drive und Pfeffer, aber mit großem Appetit auf Lob und Anerkennung.”

Das sind schon welche, diese verwöhnten Smartphone-Zombies. Alle Figuren, die, hier zitiert, die Stimme erheben, meinen doch: die jungen Leut’ von heut’! Viel mehr steckt nicht hinter den Urteilen über die angebliche Generation Y.

 

Meine Generation gibt es nicht

 

Ich habe sie hautnah mitbekommen, die Generation Y. Als Jahrgang 1987 bin ich ein astreiner Ypsiloner. Wir gelten öffentlich als qualifiziert, selbstbewusst, extrem anspruchsvoll und sollen Kultur und Alltag in Unternehmen ändern, zieht spiegel.de schon zur Einleitung eines Beitrags Die Gewinner des Arbeitsmarkts aus dem Jahr 2011 sein Fazit. An anderer Stelle lehnt sich Autor Matuschek bei der NZZ bequem an einer Studie von Ernst & Young an, die herausgefunden hat, dass junge Menschen von einem Leben in Beamtenstuben träumen. Staatsdienst. Also, was denn nu? Sind wir anspruchsvolle, stille Weltveränderer oder prädestinierte Steuerfahnder? Bei all den Generation Y-Definitionen wird einem klar: es handelt sich um nicht mehr als das ganz normale Gerede einzelner über die jungen Leute von heute. Mit der Ausnahme, dass mittlerweile schon junge Leute selbst Kritik an ihrer Generation üben. Die es, finde ich, gar nicht gibt.

 

Der Mythos vom verwöhnten Menschen

 

Unter dem Hashtag #fwp machen seit einiger Zeit die sogenannten “Erste Welt-Probleme”, zu Englisch eben “First World Problems”, im Netz die Runde. Auf der Seite first-world-problems.com warten auf den Leser unverschämt geringe Probleme wie “I have too much cash in my wallet and it hurts my butt when I sit” oder “The sunlight in my corner office causes glare on my computer screen. I have to close the blinds”. Dabei sollten wir doch eigentlich viel größere Probleme haben. Die kommen dann wohl später, wenn wir über 50 sind, wie unsere Eltern. Dann können wir nicht mehr in jeden beliebigen Fair Trade-Laden hineinspazieren, dann müssen wir Ausschau halten nach Mode für die besten Jahre – als wäre das Leben der Generation X gehaltvoller. Von der können wir nach Ansicht der Y-Kritiker aber wohl noch viel lernen, nicht nur das Einkochen von Marmelade.

Das Spektrum zwischen großartig und kleinbürgerlich zeigt ein Beitrag von Deutschlandradio Kultur erfrischend deutlich: Er stellt zwei Bücher über die Ypsiloner vor, die das Fazit unterschiedlicher nicht ziehen könnten. Die Autoren Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht titeln: “Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert”. Autorin Christiane Florin hält mit ihrem Buch dagegen: „Warum unsere Studenten so angepasst sind”. Was sind wir denn nun? Es ist zum Verzweifeln. Während Hurrelmann und Albrecht ein revolutionäres Bild von Studenten, jungen Arbeitnehmern und zukünftigen Unternehmern zeichnen, wirkt Florin resigniert. Bildung sei den Gesetzen der Ökonomie unterworfen, sagt die Journalistin und Dozentin. Studenten sehen Ausbildung als Ballast. Die Verwöhnung der Generation scheint also doch ihre Grenzen zu haben, wenn Studenten eigentlich nur herangezogen werden, um sich später zu lohnen. Das wäre übrigens eine der wenigen Behauptungen, die offensichtlich richtig sind und so gar nicht auf tatsächliche Verwöhnung schließen lassen.

Christiane Florin erhebt wenigstens nicht den Anspruch, in ihrem Buch eine ganze Studentengeneration portraitiert zu haben, wie sie in ihrem Vorwort schreibt. Die Autoren Hurrlemann und Albrecht werben andererseits für die kleinen Änderungen an der bestehenden Gesellschaftsordnung, die aktuell von jungen Menschen ausgehe. Ich sehe sie nicht. Oder, doch, hier!

 

Ihr Liker, Facebook-Ökos, Weicheier

 

Nina Pauer hat für die Ypsiloner andere Charakteristika im Blick, bei denen das Einweckglas eine zentrale Rolle spielt, dass das “Accessoire einer neuen Häuslichkeit” sei, die vor allem junge Paare befallen habe. Die 30-jährigen ziehe es hinaus in die Natur, auf den Biomarkt und aufs Land, das mit dem Fahrrad erkundet wird. Um später, zurück im Szenebezirk, Marmelade zu machen. Spießer! Bio-Fresser! Gutmenschen! Mich erinnern solche allgemeinen Abhandlungen der Kategorie “aus der Luft gegriffen” auf jeden Fall mehr an Geschichten der Güteklasse eines sich abschaffendes Deutschlands, weniger an Kritik, mit der zukünftige Generationen wirklich etwas anfangen können. Müssen die reichen Bengel aber wohl auch nicht.

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Bildquelle: Eleazar unter CC BY 2.0