Wie viel Alltag schafft die Liebe?
Damals, als ich noch Mitglied der StudiVZ-Gruppe „Disney hat mir falsche Vorstellungen von Liebe vermittelt“ war, hatte ich ja keine Ahnung. Zumindest das weiß ich jetzt. Und dass Disney nicht unbedingt etwas Falsches vermittelt hat, sondern die Geschichten einfach nicht lange genug weiter erzählt wurden. Immer Abenteuer, immer Happy End, immer der passende Schuh? Nur: was danach? Sobald der Schuh passt, beginnt nämlich oft eine sehr alltägliche Liebesbeziehung.
Na gut, da waren noch Susi und Strolch, die sich sogar über einer Portion Spaghetti Bolognese angeschmachtet haben – auch mal mein Lieblingsessen. Braucht es vielleicht doch nur die richtigen Zutaten, um gemeinsam durch den Alltag zu schippern? Ohne ständig in ihm unterzugehen? Fragen an das gelangweilte Liebesleben.
Unsere Beziehung ist letztlich am Alltag gescheitert…
Wer kann diesen Satz eigentlich noch hören, geschweige denn rechtfertigen? Ab in die Ecke und schämen! Diejenigen, deren Partnerschaften den Eisberg Alltag rammen, sollten sich mal mit denen unterhalten, die regelmäßig im Zug, Bus, Flugzeug, Schiff oder Tuk-Tuk sitzen, um ihren Partner sehen zu können. Letztere würden ihn sich sehnlichst herbeiwünschen, den Alltag, der nicht nur Feind, sondern auch Freund sein kann.
Routine wird in unserer Gesellschaft immer lauter verteufelt. Wobei ein Großteil eben dieser Gesellschaft natürlich faul auf seinem dicken Hintern sitzen bleibt und nicht mal merkt, dass er abwesend seinem Schweinehund die Schlappohren krault. Ist nicht der Alltag meist genau derjenige, der die Beziehung ausmacht? Er ist Spiegel der Gefühle, ganz einfach, funktioniert die Partnerschaft, funktioniert auch das gemeinsame Leben.
Stehen die großen Gefühle also vielleicht schon längst mit dem Koffer in der Tür, wenn der Beziehungsalltag zur Sorge geworden ist? Oder liegen sie nur deaktiviert in der Ecke rum und langweilen sich? Wenn es keine Motivation gibt, den täglichen Ablauf zu ändern, einfach nur in irgendeiner Form attraktiv zu gestalten, dann fehlt schlichtweg die Motivation, an glücklicher Gemeinsamkeit arbeiten zu wollen. Oder etwa nicht?
Wir sind selbst Schuld, wenn unsere Liebe baden geht, da kann kein sogenannter Alltag etwas dafür. Der vermittelt uns am Ende des Tages lediglich eine gewisse Nähe, eine Vertrautheit und vielleicht die gute alte Sicherheit, die wir uns so sehr wünschen, sobald wir wieder alleine am Bartresen stehen und am nächsten hippen Getränk nuckeln, während gelangweilt die potenziellen neuen Partner auf dem Handybildschirm weggewischt werden.
Laut einer Studie des globalen Werbenetzwerkes inmobi nehmen übrigens 76 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer ihr Smartphone mit ins Bett. Spricht diese Statistik möglicherweise für sich und zeigt, wer hier etwas ändern sollte und wo die unromantischen Betthupferl ihren Ursprung finden?
Wenn der Stellungswechsel zum einzigen Höhepunkt wird
Aber heißt das nun, dass man sich ins nächstbeste Abenteuer schmeißen muss, um den Alltag meistern zu können? Hat die heutige Beziehung mehr Erfolgschancen, wenn man nach einem anstrengenden Tag als Stuntfrau abends die Tür aufschließt und sich nur wegen einem Leben am Limit auf einen entspannten Abend auf dem Sofa freuen kann? Überzogene Darstellung hin oder her: Wie ist der Alltag zu retten, ohne ihn verteufeln zu müssen?
Vielleicht reicht es schon, sich einfach mal zu berühren. Dabei wird nämlich sofort das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet – und das Liebeslämpchen leuchtet wieder. So einfach geht das nicht? Mal ehrlich: Wie viele Paare, die seit Jahren zusammen sind, berühren sich wirklich abseits des Sexlebens? Im Vorbeigehen, beim Einkaufen, in der U-Bahn. Die Biologie macht die Schmetterlinge möglich, den Rest müssen wir selbst erledigen. Aber vielleicht bleibt gar nicht mal so viel Rest.
Klar ist natürlich, dass Paare, die sich nicht jeden Tag sehen oder vielleicht einfach viel öfter Außergewöhnliches teilen, gar nicht auf den Panikgedanken kommen, der Stellungswechsel im Bett sei der einzige Höhepunkt der Woche. Abwechslung bietet mehr Lebensqualität. Wenn man sie bei sich selbst zulässt, hat sie auch eine Chance in der Partnerschaft. Das muss nicht der Amazonas sein, durch den man gemeinsam stapft, das kann auch das Klettern in der Sporthalle um’s Eck sein oder das gemeinsame Durch-Die-Nacht-Torkeln nach dem Weinfest. Arm in Arm, zwecks der Berührung, versteht sich.
Aber nochmal zurück zu Disney…
Wir sind Generation Sturm und Drang. Wir wollen alles, weil wir grundsätzlich irgendwie alle Möglichkeiten haben. Kleine Brötchen backen war also gestern. Wenn wir uns schon binden, dann soll ein gemeinsamer Alltag uns bloß nicht an unseren Möglichkeiten hindern. Und wenn doch, dann wird die Beziehung manchmal ganz schnell mit dem Biomüll zur Tür gebracht. Wirklich an ihr zu arbeiten, ist aufwendig, manchmal schwierig, in den meisten Fällen aber vor allem verdammt unromantisch, denn einen Terminplaner für die Liebe anzulegen ist etwas, worauf kaum einer Bock hat. Die soll gefälligst von selbst funktionieren…
Dass in prägenden Geschichten unserer Kindheit am Ende immer alle happily ever after waren, trägt sicher Mitschuld an einer Egomanie, die sich paart mit der zum Hintertürchen hereinschleichenden Beziehungs-Lethargie. Wir lassen sie vor sich hindümpeln, die große Liebe, weil wir denken, das geht schon von alleine, schließlich ging es die letzten Jahre auch von alleine.
Dabei sind wir (bin ich!) schon langsam alt genug, Disney in den Arsch zu treten. Und nach dem Happy End an der Liebe weiter zu arbeiten – auch wenn sie vielleicht nicht im Großformat erzählt wird.
Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquelle: Vinoth Chandar unter CC by 2.0