Die ganze Welt führt Kriege ich bald Kinder?

Vor den Fensterfronten der Bibliothek sprießen die grünen Blätter wie Loszettel. Ob sie für meinen Frühling den Jackpot oder doch nur lauter Nieten bedeuten, weiß ich nicht. Ich kann es auch nicht wissen. Kann nicht in die Zukunft schauen, kann nur versuchen, optimistisch zu sein. Im Hier und Jetzt das Beste für später hoffen. Schön sieht das Laub aus heute, das zumindest.

 

Sprung in die Fluten oder zitternd am Beckenrand stehen

 

Zukunft ist ein bizarres Prinzip. Sie ist oft alles, was du hast, und doch immer einen Schritt vor dir. Man muss sich um sie kümmern und weiß meistens nicht mal, worum man sich da eigentlich kümmert – ein bisschen wie Babysitting mit verbundenen Augen. Unsere Zukunft ist ungewiss, das impliziert schon der Begriff. Aber wie wir ihr gegenüber treten, ob wir uns übermutig in die Fluten werfen oder angstvoll-zitternd am Beckenrand stehen, den kleinen Zeh ins Wasser gedippt, das müssen wir für uns selbst ausmachen.

Uns, der Generation Y, wurde inzwischen so viel nachgesagt, dass es hier nicht wiederholt werden soll. Manchmal möchte man doch den ganzen Eigenschaften, die einem da angeheftet werden – unentschlossen, freigeistig, flatterhaft, fragenstellend – einen ganz wichtigen Begriff hinzufügen, hinzuschreien: überanalysiert! Eigentlich ist auch die Zukunft, auf die wir gerade mit erschreckendem Tempo draufhalten, überanalysiert und dabei relativ düster: Seit 9/11 ist Terror eine allgegenwärtige Bedrohung, die Wirtschaftskrise ist immer noch nicht überwunden, der Klimawandel offenbar nicht aufzuhalten. Die Krisen lauern an jeder Ecke – und sind für uns doch irgendwie vor allem eines: verdammt weit weg.

Wir sind nicht ignorant. Wir denken viel an die Zukunft, auch im größeren Kontext, wir haben die Erde fest im Blick. Sorgenvoll, beinahe beschützend und doch irgendwie machtlos. Aber wenn wir an unsere eigene Folgezeit denken, drehen wir die Kreise wieder enger. Und natürlich haben wir Angst – eine Scheißangst sogar! Angst, nicht den richtigen Job zu finden, nicht den richtigen Partner oder sogar keines von beidem. Angst, mit 35 mittwochnachmittags verkatert aufzuwachen und nicht nur festzustellen, man ist alleine und hat einen Edding-Penis auf der Stirn, sondern auch: Scheiße, ich bin nicht glücklich. Ich habe keinen Plan, wohin mit mir.

 

Die ganze Welt führt Kriege ich bald Kinder?

 

Da sind große Zweifel hinsichtlich Selbstverwirklichung, Leerstellen im System des großen Ganzen, aber da sind eigentlich keine ausgewachsenen Existenzängste. Schließlich sind wir mit den besten Möglichkeiten großgeworden, haben Bachelor, Master, Auslandserfahrung. Und selbst wenn man uns jährlich beim Familientreffen mit wackelndem Zeigefinger und Sorgen in der Stirn die Taxifahrer-Karriere prophezeit, sind wir doch recht optimistisch, dass wir schon was gebacken kriegen werden später. Ob das jetzt eine Schwarzwälderkirschtorte oder nur ein paar trockene Muffins sind, werden wir ja sehen.

Laut Ergebnissen der Embrace-Studie zu den Zukunftsvorstellungen der Generation Maybe wollen 80 Prozent der Studenten auf jeden Fall mal Kinder haben, gleichzeitig sind aber auch 74 Prozent hinsichtlich ihrer Karriere ehrgeizig. Außerdem sollte er möglichst früh kommen, der Nachwuchs. Wir wollen eben alles haben, und dieses alles am besten hübsch perfekt. Es ist ein grausamer Begriff, aber wahrscheinlich kommt der Text an dieser Stelle nicht ohne aus: Work-Life-Balance, diese anglizistische Wortvergewaltigung für „hippe“ Personalchefs und Studenten des Global Business Management, soll es richten. Und da ist ja auch noch die andere Seite der Generation Y, fernab der ziellos durch die Stadt schwirrenden Barkeeper und Start-up-Gründer: Die neuen Spießer. Es gibt mittlerweile tatsächlich etliche Mittzwanziger, die nach zehn Jahren Beziehung und jeden-Sonntag-Tatort heiraten. Und zwar nicht besoffen in Las Vegas, sondern am Tegernsee mit handgeschöpften Tischkärtchen. Unironisch.

In der Student Survey vom letzten Jahr definierten 55 Prozent der Befragten Karriere als „stetigen Weg zu persönlichem Wachstum, Selbstverwirklichung und Befriedigung“. In der Zusammenfassung der Studie wird von einer „Renaissance von Werten und Wurzeln“ gesprochen. Dementsprechend ist den Millenials die Selbstverwirklichung im Leben am wichtigsten – nach Freunden und Familien. Dann folgt die feste Partnerschaft, beruflicher Erfolg, soziales Engagement und ganz zum Schluss erst Geld und Materielles. Das zeigt aber nicht nur, dass sich ein Wertewandel vollzogen hat, sondern auch, dass man sich dieses Umdenken leisten kann. Dass Geld nicht wichtig ist, sagen schließlich immer nur die, die genug haben.

 

Festes Fundament mit Finetuning

 

So sehr sich die Zukunft also um quälende Fragen dreht, so oft es heißt, dass vielleicht niemand so lost ist wie wir, im Grunde fühlen wir uns vor den ganz großen Gefahren sicher. Krieg, Arbeitslosigkeit, Altersarmut? Wird schon laufen, irgendwie. Wenn wir keine Kinder kriegen, dann eher, weil wir noch keinen gefunden haben, mit dem wir welche wollen. Wenn wir keine Festanstellung haben, dann weil wir uns ausleben wollen. Und keine Angst davor haben. Unsere Grundmauern stehen auf festem Fundament (den Eltern sei Dank). Und der Rest ist Finetuning.

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Bildquelle: Matthew Clark unter cc0 1.0