TitelbildKriegsendeBeitrag

70 Jahre Kriegsende: Die bedingungslose Kapitulation der Erinnerung?

Von Ramona Drosner

Die junge Generation weiß nicht, was Angst ist. Was es heißt, früh morgens von Sirenen geweckt zu werden, in Bunkern auszuharren bis keine Bombe mehr fällt. Zum Glück. Vor siebzig Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Eine Zeitspanne, so lang, dass nur noch wenige unter uns sind, die das originale Bild von Zerstörung und Trümmen im Kopf haben. Bedeutet die Beerdigung dieser Bilder die bedingungslose Kapitulation der Erinnerung?

Die Twentysomethings von heute gehören zur letzten jungen Generation, die bei Erzählungen in den Augen der Großeltern den Schrecken von damals sehen kann und so im Ansatz versteht, wie sich das Leben im Nazi-Deutschland angefühlt haben muss. Für die Twentysomethings von morgen steht Hitler nur im Geschichtsbuch der neunten Klasse, irgendwo zwischen den Seiten. Ein Monstrum, reduziert auf ein kontrastloses Schwarzweißbild neben dem ein QR-Code auf Goebbels-Hetzreden verweist. Für die nach uns Kommenden wird die NS-Zeit eine leere Hülle der Erinnerung sein.

 

Ein Schuldgefühl vererbt durch offene Fragen

 

Doch was für die jetzt Jungen bleibt, sind die offenen Fragen. Die Fragen, die heruntergeschluckt wurden bei Opas Erzählungen aus dem Krieg. Denn die Vorstellung selbst einen (ehemaligen) Nazi in der Familie zu haben, ist für viele jungen SPD-und-Grüne-Wähler noch heute unerträglich. Das Wissen, dass es mehrheitlich Täter waren, die überlebt haben, wiegt schwer. Die fehlende Antwort auf das WARUM und WIE überträgt sich auf ein Schuldgefühl, das von Generation zu Generation weitergeschoben wurde.

Die Twentysomethings von heute werden damit auf Reisen ins Ausland konfrontiert. Wenn der Engländer mit Naziwitzen grüßt und sich ein CSU-Sohn in Nordamerika das erste Mal mit einem Juden anfreundet, dessen Großtante damals noch rechtzeitig fliehen konnte. Dann wird einem klar, dass sich ein Völkermord über Generationen zieht, und was für eine Rolle das Offiziersabzeichen an Opas Uniform gespielt haben muss. Dann fühlt es sich so an, als wäre etwas von dem Täterblut hängen geblieben an der jungen, deutschen Identität.

 

Zeit für die Twentysomethings Geschichte zu schreiben

 

Deshalb ist die wachsende Zeitspanne zwischen Kriegsende und Gegenwart ein Segen. Die Zeit vergeht und lässt den Schrecken der Zeit zwischen den Buchdeckeln des Geschichtsbuchs zurück. Erlebnisse werden zur Erinnerung. Das muss genug sein, um eine Wiederholung dieses schrecklichen Kapitels deutscher Geschichte zu verhindern. Es liegt an den Twenytsomethings von heute, einem Anstieg der rechten Tendenzen in der Gesellschaft mit Toleranz und Weltoffenheit entgegen zu wirken. Die heute Jungen sollen sich nicht mehr rechtfertigen müssen, für die Taten der Vorväter. Es ist nun an ihnen, Geschichte zu schreiben – wenn auch mit kleinen, guten Taten und minimalem Erfolg.

Die Geschichte, die sich die junge Generation von morgen erzählen wird, dreht sich dann nicht mehr um die Oma, die ihre Kindheit in einem Waldversteck verbringen musste. Die Twentysomethings von morgen, können stolz sein, auf Großeltern, die auf die Straße gegangen sind gegen den eisernen Vorhang, gegen Atomenergie. Spätestens dann weicht das Schuldgefühl einem Gefühl des Stolzes. Allein dieses Wissen von morgen sollte den heute Jungen reichen, um offene Fragen zu vergessen und die junge Identität zu zeigen. Denn die Sirenen schweigen schon lange, die Bomben fallen nicht mehr.

 

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Shubert Ciencia unter CC BY 2.0