Rechte Hetze: Wie die Anonymous-Seite auf Facebook gekapert wurde

Anonymous – dieser Name steht in erster Linie für kluge Kritik an Überwachung und Zensur und bekennt sich seit Jahren zum gnadenlosen Hacktivismus. Die Internetexperten mit den Guy-Fawkes-Masken hatten in den letzten Jahren mehrere eindrucksvolle Cyberangriffe gegen diverse Unternehmen und Verbände durchgeführt, um deren Websites oder Social-Media-Kanäle lahmzulegen. Unter den denkwürdigsten „Opfern“ befand sich zum Beispiel auch der Ku Klux Klan, dessen Twitter-Account im November 2014 von Anonymous gekapert wurde, weil die rassistische Organisation zu Spenden für den Todesschützen von Michael Brown in Ferguson aufgerufen hatte. Der Polizist habe schließlich nur seinen Job gegen die Schwarzen-Kriminalität gemacht, hieß es damals in einem Blogbeitrag des Klans. Die KKK-Gruppe „Traditionalist Knights“ verteilte außerdem während der anhaltenden Ferguson-Proteste im August und September 2014 Flyer in der Nachbarschaft und versprach, die Bevölkerung mit Waffen gegen die „als friedliche Demonstranten getarnten Terroristen“ zu schützen.

Das schrie nach Rache: am 14. November 2014 veröffentlichte das Hacker-Kollektiv ein YouTube-Video, in dem es den Klan vorwarnte: Die Server des KKK seien bereits mit Viren befallen, bald würden sämtliche Websites und Social-Media-Kanäle offline gehen. Davon ließen sich die Klanmitglieder anfangs nicht einschüchtern. „Anonymous is nothing but a bunch of wannabes. They won’t take any action. We will not be brought down by some low-lives behind a screen“, ließen sie am 16. November über Twitter verlauten.

https://www.youtube.com/watch?v=wx5nT5Lq57o

Zu früh gefreut: Zwölf Stunden später hatte die Hacker-Gruppe den Twitter-Account des KKK sowie das Konto @YourKKKCentral vollständig unter ihrer Kontrolle. Auf dem mittlerweile deaktivierten Account wurden auch Bilder von Mitgliedern des Ku-Klux-Klans gepostet und persönliche Kreditkartennummern geteilt, außerdem wurden sämtliche Daten angeblich an das FBI weitergeleitet.

 

„Keine Aufnahmeprüfung, kein Mitgliedsausweis, keine Rangordnung“

 

Mit Aktionen wie diesen hat sich das Kollektiv weltweit einen Namen erarbeitet. Auch in Deutschland wanderte Anonymous wieder durch die Schlagzeilen, als die Gruppe im Januar 2015 ankündigte, demnächst Pegida ins Visier zu nehmen. „Intoleranz und Alltagsrassismus sind keine adäquaten Methoden, mit welchen man Fragen zu Themen wie Flüchtlings-Politik und Religion beantworten kann (…). Wir werden massiv gegen Pegida und deren Ableger im Internet vorgehen, um diese Instrumentalisierung der Bürger einzudämmen“, erklärten sie damals in einem YouTube-Video mit dem Titel Operation Pegida. Die Website der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ konnten die Hacktivisten zwar nicht lahmlegen, allerdings wurden SPIEGEL ONLINE zufolge zumindest die Internetauftritte der Ableger Kagida (Kassel) und Legida (Leipzig) gekapert und mit Defacements entstellt. Bei den Allermeisten dürfte der Begriff Anonymous also positiv konnotiert sein. Eine Gruppierung, die rassistische Organisationen lächerlich macht, konsequent für Netzfreiheit eintritt und sich seit Jahren für eine Aufklärung der verqueren Ideologien von Scientology einsetzt? Hell, yeah! Einen Haken hat die Sache allerdings: Anonymous ist nur ein loses Kollektiv. Jeder kann sich den Namen und das markante Symbol zu eigen machen. Das bestätigt auch die Anonymous-Zelle in Frankfurt am Main: „Anonymous ist keine feste Gruppe oder Verein. Anonymous ist ein dezentralisierter und führerloser Zusammenschluss von Menschen. Jeder kann jederzeit mitmachen und jederzeit aufhören.“ Das solle die Anonymität der Mitglieder wahren und eine Rangordnung ausschließen. Gute Sache, an sich – wenn man denn darüber Bescheid weiß, dass bei Anonymous nicht nur coole Scientology-Gegner, sondern auch zwielichtige Gestalten mit zweifelhaften Gedanken mitmachen.

 

Gefährliche Verschwörungshetze auf der Facebook-Seite

 

962.532 Menschen wissen darüber offensichtlich nicht Bescheid. Sie alle haben eine Anonymous-Page auf Facebook geliked, die nur vorgibt, eine zu sein. Erster Eindruck: klassische Anonymous-Symbolik. Guy-Fawkes-Maske im Profilbild, den inoffiziellen Anonymous-Spruch in der Infobox (Wir sind Anonymous. Wir sind viele. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Erwartet uns.); so weit, so gut. Aber schon der erste Klick auf den „Info“-Reiter lässt einen stutzig werden. Adresse: Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wait, what? Steht da nicht der… Google bestätigt es, das ist die Adresse des Deutschen Bundestages. Und dann ist da noch der Inhalt. Scrollt man durch die Posts auf der Facebook-Seite, zeichnet sich das erschreckende Bild einer zunehmenden Radikalisierung. 2013 rief man noch dazu auf, Edward Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen.

 

From: Anonymous To: Nobelprize.orgFriedensnobelpreis für Bradley Manning & Edward Snowden! Verbreite diesen Aufruf…

Posted by Anonymous on Mittwoch, 11. Dezember 2013

 

Und heute?

 

Blender De Maizière warnt jetzt vor den Gefahren unkontrollierter Migrationsströme – nachdem er potentielle…

Posted by Anonymous on Montag, 5. Oktober 2015

 

Jedem denkenden Menschen rollt es sich angesichts solcher Posts die Fußnägel hoch. Hetze gegen „immer dreistere“ Asylbewerber, rechtsgerichtetes Vokabular à la „Asylanten“, „Gutmenschen“ und zwischendrin immer wieder Links zu Artikeln des verschwörungsfreundlichen Compact-Magazins. Dessen Herausgeber Jürgen Elsässer wurde einst vom Politikwissenschaftler Clemens Heni als „geistig abgedriftet“ bezeichnet, er schmiege sich „mittlerweile der Ideologie und Sprache des Nationalsozialismus sowie des heutigen Rechtsextremismus an“.

Angesichts dystopischer Titelbilder mit Überschriften wie Asyl. Die Flut. So wird Deutschland abgeschafft kein ganz unbegründeter Vorwurf. Das „Magazin für Souveränität“, wie es sich selbst nennt, kuschelt gerne mit Russland (Krieg gegen Russland. Wie die Nato nach Osten marschiert), hetzt gegen genderfreundliche Erziehung (Feinbild Familie. Politische Kriegsführung gegen Eltern) und pauschalisiert den Islam (Dschihad in Europa. Geheimdienste und Islamisten – Gefahr für Deutschland?) Compact vereint sie alle: Impfgegner und Antifeministen, Antisemiten und Sarrazin-Unterstützer, Chemtrail-Fanatiker und tumbe Nazis. Was für ein Erfolgsrezept!

 

Rechtspopulisten unter falscher Flagge

 

Aber wie konnte es nun dazu kommen, dass eine Facebook-Seite, die offensichtlich rechtspopulistisches Gedankengut verbreitet, unter dem Namen Anonymous laufen kann? Der Blog Aluhut für Ken hat eine Antwort parat:

„Die Admins dieser Seite haben der falschen Person vertraut. Wenn jemand Admin (Manager) einer Seite ist, kann er alle anderen Admins einer Seite degradieren bzw. rauswerfen. Der jetzige Admin hat genau das mit all unseren Admins getan. Er ist momentan also alleiniger Admin dieser Seite und das schon seit 2012 (…) Die Seite hat schon lange nichts mehr mit Anonymous zu tun, selbst wenn hin und wieder Anonymous-relevante Neuigkeiten gepostet werden. Die Seite dient nur noch seinem eigenen Unternehmen und seiner persönlichen politischen Einstellung.“ Besagter Admin habe die Facebook-Seite, die tatsächlich einmal von einigen Anonymous-Admins geführt wurde, effektiv gekapert.

Wer dieser ominöse Admin ist, da besteht laut diversen Blog- und Foreneinträgen kein Zweifel: es soll sich um den Erfurter Unternehmer Mario Rönsch handeln. Besonders interessant: sein Unternehmen adfanyo.de ist eine IT-Firma, die Likes verkauft. „Diese Likes sind jedoch keine ‚echten‘ Likes, sondern Bots, die einfach nur irgendwelche Seiten auf Facebook liken sollen. (…) Das ist auch der Grund, wieso er mittlerweile mit seiner Seite um die 720.000+ (mittlerweile rund 1.000.000, Anm. d. R.) Likes hat. Der größte Teil hiervon ist erschwindelt und stammt von seinem eigenen Unternehmen, also Bots“, schreibt ein User auf Tumblr-Blog von Anonymous und fügt hinzu: „Diese Facebook-Seite zieht alles das in den Dreck wofür Anonymous eigentlich steht: Meinungsfreiheit, keine Zensur, Privatsphäre.“

Neben ausführlichen Informationen über Rönsch hält der Blog auch diverse Screenshots bereit, die alle Aussagen bestätigen. Selbst der SPIEGEL hatte bereits 2012 über die Like-Geschäfte des Unternehmers berichtet.

Long story short: die Inhalte, die über die Facebook-Seite Anonymous geteilt werden, entsprechen weder den grundsätzlichen Zielen des Anonymous-Kollektivs, noch werden sie von den Mitgliedern geteilt. Es handelt sich hierbei schlichtweg um Etikettenschwindel – mit der Absicht, aus einem großen Namen möglichst viel Eigenkapital zu schlagen. Überzeugte Rechtspopulisten wird diese Information zwar nicht davon abhalten, die Posts dieser Seite weiterhin zu liken und zu teilen. Für alle anderen gilt: glaubt nicht alles, was ihr seht. Wo Anonymous drauf steht, ist nicht automatisch Anonymous drin.

 

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Bildquelle: Pierre (Rennes) unter CC BY 2.0