Gen-Y: Die Arroganz der Privilegierten

Es war in Costa Rica. Außerhalb unseres klimatisierten Wagens klebte die Hitze des tropischen Klimas schwer im mit flirrendem Sonnenlicht gefüllten Raum. Unser Mietwagen kroch eine erstaunlich breite Straße entlang, die Sonne und die Hauptstadt San Jose hinter sich lassend. Raus aus der Zivilisation, hinein in den Norden, mit seinen Flüssen, Vulkanen und den Wellen vor Palmenstränden an der Pazifikküste im Westen.

Ich saß am Steuer und schob mich durch den Stau, während ich mit meinem Beifahrer Hector redete, der mir den Wagen vermietet hatte und den ich nun noch zu seinem nächsten Termin brachte, weil der auf meinem Weg ins Abenteuer lag. Hector, feiner Schweißfilm auf der Lippe, immer lächelnd und zarte Hände, die im Takt der Radiomusik auf das Amaturenbrett klopften. Ein sympathischer Kerl, der einen fabelhaften Mix aus Englisch und Spanisch sprach. Wir redeten übers Reisen. Er sagte, er würde Paris lieben und London und überhaupt: Europa sei „very, very nice“. Und so fuhren wir langsam dahin, der Verkehr floss zäh dahin wie in die Landschaft gekippter Honig. Ganz beiläufig sagte er irgendwann: „Ich war noch nie außerhalb von Costa Rica.“

„Amigo, das kenne ich nur aus Filmen“

Er sagte es in genau dem fröhlich-beiläufigen Ton, den er die ganze Zeit drauf hatte. Ich fragte nach. London, Paris, Europa, USA? Er lachte schallend. „Amigo“, sagte er. „Das kenne ich alles nur aus Filmen und von Freunden. Außerdem lebt ein Cousin in Europa. Für mich ist das viel zu teuer.“ Ich schwitzte plötzlich, obwohl ein kühler Wind mit angenehm um das Hemd strich. Ich kam mir wahnsinnig arrogant vor, wie ich, mit meinen 22 Jahren, von der Welt erzählt hatte, von den kleinen Flecken davon, die gesehen hatte. Und wie ich gesagt hatte, ich hätte ja erst so wenig gesehen.

Hector merkte davon nichts. Er klopfte weiter im Takt der Musik, sah aus dem Fenster, wo Großfamilien auf Busse warteten und die Baumwipfel sich in die Luft reckten, als würden sie auf die Andeutung eines Windstoßes warten. Hector pfiff nun ein neues Lied mit. Er war glücklich. Er vermietete Autos an junge Europäer, die herkamen, um sich zu spüren oder sich zu finden. Oder aber auch: um auf Facebook zu zeigen, wie aufregend ihr Leben sei. Into the Wild. Abitur hinter sich, also auf ans andere Ende der Welt. Und bloß nicht vergessen, das Klippenspringen zu posten und einen Snap vom Cocktail vor Palmen und von der Sonne gemalten Lichtstrichen zu verschicken.

Privilegien sind nicht selbstverständlich

Gegen das Reisen an sich ist absolut nichts einzuwenden. Oft geht damit aber das Gebaren der Söhne und Töchter einer privilegierten und ignoranten Generation einher. Dieser Text soll nicht die x-te Kritik an der Generation Y sein, sondern vielmehr ein generelles Infragestellen der unbewussten Arroganz derselben darstellen. Denn das Reisen, die Möglichkeiten, die Kurztrips durch Europa, die Fallschirmsprünge, all die Erlebnisse, sie sind selbstverständlich.

„Wer sich auf so ein Abenteuer nicht einlassen will, wirkt unwissend, beschränkt, uneinsichtig. Die Generation Y kann sehr arrogant sein“, schreibt Laura Diaz für ZEIT ONLINE. Auch wenn der Text ein anderes Ziel hat, nämlich die Kritik an Globetrottern selbst, trifft es den Kern: dass das Gefühl für die verloren wurde, die nicht auf der Welle des Selbst-Verwirklichens mitschwimmen wollen. Oder besser: können.

Denn nicht alle haben die Möglichkeit, jedes Jahr aufs Neue ein Flugticket zu buchen, das einen in ein Land bringt, von dem unsere Großeltern-Generation 80 Jahre lang nur aus Filmen und Büchern gehört hatten. Wir haben den Blick dafür verloren, welch ein Geschenk es ist, so viel mehr Möglichkeiten zu haben als alle Generationen vor uns. Praktikum in New York? Arbeiten in Sydney? Weltreise? All das sind wunderbare Möglichkeiten, Neues kennenzulernen, sich neu zu entdecken. Sie sind aber nicht selbstverständlich! Und das Fehlen dieser Einsicht mündet in Arroganz, die zwar nicht gewollt ist, aber umso schockierender.

Es muss gar nicht immer ums Reisen gehen. Es reicht ein Restaurantbesuch in Uni-Nähe, um den Abstand zu sehen, den so viele haben zu denen, die nicht der Generation-mal-eben-nach-Indien angehört. Wer nicht selbst gekellnert hat, nimmt wortlos sein Essen entgegen, ohne sein Gespräch für ein kurzes „Danke“ zu unterbrechen. Wenn der Busfahrer die Tür noch einmal öffnet, weil man angerannt kommt bleibt ein „Danke“ ebenso oft aus. Und irgendwie wird der Fahrer so gesehen, als sei er Inventar des Busses, Teil der Öffis und kein Arbeitnehmer, der sich vielleicht über ein kurzes „Danke“ freuen würde.

Provinziell als Beleidigung

Die Arroganz derer, denen es gut geht, die anders als viele unserer Eltern nichts anderes kennen als Wohlstand und sorgenfreies Streben nach dem ganz individuellen Glück, zeigt sich in winzigen Momenten. In kleinen Bemerkungen, im Passiven gegenüber der Menschen, die unseren Dreck wegmachen und manchmal sogar in offener Abneigung. Das Wort „provinziell“ ist eine Beleidigung. Oft benutzt von jungen Menschen, die selbst vom Dorf kommen und sich nach Jahren in der Stadt und einigen Reisen plötzlich als Kosmopoliten sehen. Die rückständige Landbevölkerung ist Schuld an Trump, AfD und Spießertum. Dass unsere Ignoranz ein Teil genau der Probleme ist, die wie anprangern, bleibt unausgesprochen hängen zwischen Festivalbesuch und dem Klicken auf den Buchen-Button für einen Flug, der uns weit weg bringt – und näher zu uns bringen soll.

München an einem grauen Morgen. Beim Bäcker beginnen ein Mann in Müllabfuhrkluft und ich gleichzeitig mit unserer Bestellung. Wir lachen, wollen uns gegenseitig vorlassen. Er gibt nach, ich bedanke mich, lächle ihn an und er lächelt zurück. Einen schönen Tag wünschen wir uns und ich setze mich in eine Ecke, wo ich mein Croissant essen will, bevor es in die U-Bahn geht. Als der Müllmann den Bäcker verlässt streift der Geruch von Abfall unsere Tischreihe. Neben mir sitzen zwei Mädchen in meinem Alter, die gerade über eine Party in Thailand geredet haben, zu der sie im kommenden Jahr wollen.

„Ih! Der stinkt“, sagte die eine, als der Müllmann den Bäcker verlässt. Ich habe es gehört, ihre Freundin hat es gehört und lacht. Und: Der Müllmann hat es auch gehört. Er geht weiter, ohne sich umzudrehen, die Arbeit ruft. Er hat eine lange Schicht vor sich. In der er unseren Abfall entsorgt, damit wir es nicht selbst machen müssen.

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Bildquelle: Jeremy Beck unter CC0-Lizenz