Mädchen

Zu lange nur Ich: Von der Angst vor Nähe

Nicht Wieder sondern Immer Noch

„Du bist zerrissen…Du hast Angst vor Nähe und noch mehr Angst vor keiner, aber dich dran gewöhnt, weil du immer allein warst.“

Wie ist sie in meinen Kopf gekommen? Das habe ich mich gefragt, nachdem ich diesen Vers von Julia Engelmann vor einiger Zeit gefunden und sofort auf meinem Handy gespeichert habe. Ihre Worte treffen den Nagel so direkt auf den (meinen?) Kopf, dass es sich für einen kurzen Moment wirklich ein bisschen nach Gedankendiebstahl angefühlt hat. Und zwar nicht, weil sich zeigt, dass ich nicht allein allein bin. Ich befinde mich unter 16,8 Millionen Deutschen in allerbester Gesellschaft. Nein. Meine Erleichterung hat mit 5 Buchstaben zu tun, die so inflationär gebraucht werden, dass sie auch in diesem Gedicht fast drohen unterzugehen: Dem Wörtchen „immer“. Es gibt also mehr Menschen, die genau wie ich zu den Dauer-Singles zählen. Auch damit bin ich also nicht allein. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich versucht habe, das zu erklären. Mich zu erklären. Denn es gibt ihn, diesen Unterschied zwischen „wieder“ und „immer noch“. Zumindest für mich. Denn ich kann ja nicht einmal das „Was“ definieren, das ich vermisse. Genau genommen nicht einmal das Ob. Aber: Ich bin seit 24 Jahren single und es sind die ganz banalen Momente, in denen mir etwas fehlt. „Wie war dein Tag?“ Eine WhatsApp von Mama (ich liebe das). Aber wie wäre es, gäbe es da noch jemand anderen, den es ernsthaft interessiert, wie beschissen voll die U-Bahn war. Wie unfassbar lecker die Pizza mittags. Wie unheimlich nervig die Deadline und die pünktlich einsetzende Schreibblockade. Wie groß jetzt die Freude auf das warme kuschelige Bett ist.

 

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

 

Ich war auch schon verliebt und kenne also das Gefühl, wenn ein anderer Mensch das Hirn stoppt, indem er das Herz belagert. Schwierig, wenn es die Falschen sind, die für Schmetterlinge sorgen. Ich bin einmal zu oft auf die Schnauze gefallen und hab dann beschlossen, dass es fürs Erste reicht. Mittlerweile ist das lange her, die Wunden hatten also alle berühmt berüchtigte Zeit der Welt, um zu heilen. Nur hatte ich dieselbe Spanne, um mich an das Leben allein zu gewöhnen. Ich habe mich eingenistet in meinem Alleinsein. Ich muss keine Treffen planen, auf niemanden Rücksicht nehmen, die Bettdecke gehört nur mir und ich kann tun und lassen, was ich will. Mittlerweile bin ich so lange allein, dass die Vorstellung einer festen Beziehung für Beklemmungen sorgt. Ich weiß, dass ich mich nicht aufgebe, wenn ich eine Partnerschaft eingehe und dass ich weiterhin als Individuum existieren werde. Trotzdem ist der Gedanke an mich +1 absolut seltsam. Sich etwas vorzustellen, das man noch nie erlebt hat, ist eben doch nur träumen. Und nach einer besonders fantasievollen Nacht fühle ich mich auch konfus und wirr. Ähnlich geht’s mir, wenn ich mir „das Mehr“ mit jemandem vorstelle. Leider mache ich das nur allzu gerne und ich höre meine Freunde panisch kreischen: „Nicht! Du denkst zu viel! Du musst es langsam angehen lassen!“, während ich mir meine Hochzeit ausmale. Das Verrückte ist ja, wie dermaßen romantisierend mein Kopfkino läuft, während ich in der Realität schon bei einer Verabredung zum Kaffee kalte Füße bekomme. Mit dem Kennenlernen ist es bei mir ein bisschen wie beim Fahrradfahren. Früher bin ich ein paarmal gestürzt, dann hab ich’s gelassen und deshalb etwas verlernt. Und heute traue ich mich nur noch mit Stützrädern raus. Stützräder, die zwar neue Verletzungen verhindern, aber auch alle Freiheit nehmen. Es ist also höchste Zeit, sie wieder abzunehmen und einfach einmal loszufahren. Denn ja, ich habe Angst vor Nähe. Aber noch viel mehr vor keiner.

 

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz