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Brexit: Das Geschäft mit der Angst

Unfassbar. Unfuckingfassbar, dass eine Mehrheit der Briten sich im letzten Juni tatsächlich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden hat. Über eine Million Menschen mehr waren gegen einen Verbleib in der EU als die Pro-EU-Wähler. In einer Zeit, in der die Welt immer mehr zusammenwächst, spalten sie sich damit ein Stück weit von der Welt ab. In der Wahlkampagne des Leave-Lagers ging es ja um die Unabhängigkeit, um die Eigen- und Selbständigkeit eines Landes vor den anderen Ländern. Das ist eine Flucht in den Nationalismus, getragen von der Hoffnung, dass die Nation der Briten sich in der Welt wird behaupten können, dass man „better off“, also besser dran sein wird, wenn man sich auf seine eigene Identität verlassen kann.

 

Die Pfunde purzeln..

 

Ich habe damals Freunden gesagt, die EU werde weiter bestehen, Großbritannien aber vielleicht nicht. Das zeigt sich darin, dass die Mehrheit der Schotten und Nordiren gegen den Austritt aus der EU gestimmt hat. Wir erinnern uns: Im September 2014 fand ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien statt, bei dem die Schotten für ein Zusammenbleiben stimmten. Jetzt fühlen sich aber viele Schotten übergangen, ihre Stimme für die EU scheint nicht zu zählen und so wird es bald zu einer Neuauflage dieser Abspaltungsfrage kommen. Nordirland, die britische Exklave auf der irischen Insel, wird jetzt eine wirkliche Grenze zu Irland errichten müssen, obwohl auch hier die Mehrheit für einen Verbleib in der EU stimmte. Man wird zwischen den irischen Nachbarn nicht mehr so einfach hin- und herreisen können wie bisher und man wird Zölle für den wechselseitigen Handel zahlen müssen.

Das britische Pfund hat am 23. Juni 2016 so viel Wert verloren wie noch an keinem einzelnen Tag zuvor. Wirtschaftsexperten hatten auch klar vorausgesagt, dass die ökonomischen Auswirkungen eines EU-Austritts verheerend sein würden – für Großbritannien, nicht für die EU. Trotz all dieser Fakten votierten die Menschen für einen Austritt aus der Gemeinschaft. Warum?

 

Ein Wahlkampf ohne Fakten

 

Ein Grund liegt im Wahlkampf; darin, wie er geführt wurde. Der Chef der Britischen Unabhängigkeitspartei (UKIP), Nigel Farage, sagte  ernsthaft, dass „diese Experten“ doch auch nicht immer recht hätten und stellte ihre Eignung, sich überhaupt zu den Themen zu äußern, die sie beherrschen (bei Ökonomen also beispielsweise die Wirtschaft), infrage. Wenn ich einen neuen Haarschnitt brauche, rufe ich aber doch auch keinen Klempner an, sondern einen Experten für Frisuren – also einen Friseur.

Die Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten für die komplexen Fragen, die die moderne Welt aufwirft. Zu behaupten, ihnen diese Antworten geben zu können, ist jedoch unehrlich, unehrenhaft und unwahrhaftig. Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten, schon gar keine einfachen Lösungen. Und doch erwarten die Menschen genau das von der Politik: dass sie Komplexität reduziert, also Schwieriges einfach und verständlich macht. Und der Politiker, der den Menschen die beste Lösung verkauft, wird gewählt – selbst wenn diese Lösung gar keine ist. Diese Lektion haben die Brexitianer verinnerlicht, konsequent danach gehandelt und ihren ganzen Wahlkampf danach ausgerichtet. Sie haben Emotionen geschürt und bedient, um ihre Ziele zu erreichen – um jeden Preis. Man nennt das auch Populismus.

Und die Gegenseite, die Pro-Europäer, haben das nicht getan. Sie haben das Komplexe nicht vereinfachen können zu griffigen Parolen, die die Menschen da abholen, wo sie sind und die ihnen Lösungen anbieten und Hoffnung für die Zukunft machen. Populismus kann man indes auch für die helle Seite nutzen, wie US-Vizepräsident Joe Biden es im letzten Obama-Wahlkampf tat: „Bin Laden is dead, General Motors is alive“, war seine Parole, um die Erfolge von Obama zusammenzufassen. Der islamistische Terrorismus und die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, aufs einfachste reduziert in zwei Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen.

 

Mit der Angst als Motor wurde der Brexit erfolgreich als die politische Lösung von Problemen verkauft, die mit Europa nichts zu tun haben

 

Der feste Glaube an die große Angst davor, dass man seine eigene Identität in einem zusammengewachsenen Europa nur verlieren kann, ist höchst irrational und lässt sich mit Argumenten eigentlich so leicht zerstreuen und zerpflücken. Aber die Angst sitzt tief und das nicht nur in Großbritannien. Diese Emotionen, diese Angst, haben sich die Brexit-Befürworter eiskalt zunutze gemacht. Sie haben auf der Klaviatur der Gefühle gespielt und so die Menschen ganz direkt und unmittelbar erreichen können. Denn die Angst kann einen lähmen. Eigentlich soll sie einen ja beschützen, damit man in einer gefährlichen Situation nicht lange nachdenkt, sondern wegrennen und sein Leben retten kann. Aber bei dieser Abstimmung hatte man eigentlich genug Zeit, um in Ruhe nachzudenken und eben nicht blind vor Angst drauflos zu rennen.

Man hätte sich auch von anderen, nicht ganz so lauten Emotionen leiten lassen können: von der Hoffnung, von der Zuversicht, von Freude. Diese Gefühle hätten die EU-Befürworter schüren müssen, um die Menschen zu erreichen. Doch die bloßen, nackten Zahlen haben in ihrer technischen Kühle die Menschen nicht so erreichen könne wie der beliebte Querkopf Boris Johnson, Londons ehemaliger Bürgermeister. Statt eigene Akzente zu setzen, hat man meist nur auf den Gegner reagiert und versucht, dessen Punkte zu widerlegen. Dadurch stärkt man aber nur den Gegner, weil man sich mit seinen Punkten auseinandersetzt und ihm die Deutungshoheit und Richtungsangabe der Debatte überlässt. Die Politik hat es versäumt, die Botschaft von Frieden und Sicherheit, für die die EU ja auch steht, den Menschen als echte Lösung zu verkaufen. Man hat stattdessen versucht, den Leuten ebenfalls Angst zu machen, mit all den Untergangsszenarien, die im Falle des Brexits auf das UK zukommen würden.

 

Angst mit Hoffnung bekämpfen

 

Es war der Versuch, Angst mit Angst zu bekämpfen. Er ist gescheitert, er musste scheitern. Europa braucht Befürworter, die Angst mit Freude und Hoffnung bekämpfen, Europa braucht Menschen, die es verstehen, Politik mit diesen Emotionen zu machen. Die EU bringt uns Frieden, freies Reisen und eine starke Wirtschaft. Ich will dabei bleiben. Und ich will Politiker*innen sehen, die den Leuten genau das jetzt verkaufen.

 

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Bildquelle: freestocks.org unter cc0 1.0