Das Sozialkreditsystem in China: Zwischen Wirtschaftshilfe und Überwachungsstaat
China will sein Sozialkreditsystem weiter ausbauen: Geplant sind Reformen, die lokale Kreditplattformen besser vernetzen und Gesetzgebungen vereinheitlichen sollen. Diese Änderungen zielen darauf ab, das System auf Branchen wie Tourismus, Gesundheitsversorgung und Pflege auszudehnen. Aber ist das auch wirklich alles, was dahintersteckt?
In den letzten Jahren löste das chinesische Sozialkreditsystem im Westen viele Besorgnisse aus. Die größte Befürchtung war (und bleibt bis heute), dass es als Überwachungsinstrument dienen soll. Dem Standard zufolge sprach der ehemalige US-Vizepräsident Mike Pence von einem „Orwell’schen System“, das darauf abziele, „jeden Aspekt des menschlichen Lebens zu kontrollieren“. Ein umfassendes Netzwerk von Überwachungskameras und ein Punktesystem könnten zum Ziel haben, parteikonformes Verhalten zu belohnen – vor allem aber Aktionen zu sanktionieren, die gegen die Parteilinie gerichtet sind. Ein staatlich kontrolliertes Karma-Konto sozusagen.
Solche Sanktionen könnten von einem Entzug der Möglichkeit, Zug- oder Flugtickets zu kaufen, bis hin zu Hausarrest reichen. Vorausgesetzt, jemand unterschreitet die vorgeschriebene Punktegrenze.
Überwachung oder notwendige Kontrolle?
Allerdings wurde ein flächendeckendes Sozialkreditsystem in China, so wie es oft beschrieben wird, nie eingeführt. Zwar gibt es vereinzelt kleinere Pilotprojekte wie in Shanghai, wo zum Beispiel Gesichtserkennungskameras Passanten beim Überqueren von Ampeln überwachen. Ist die Ampel rot und es geht jemand trotzdem über die Straße, so wird das Gesicht der Person auf einem großen öffentlichen Bildschirm gezeigt. Und als in China noch die „Zero-Covid“-Politik in Kraft war, mussten Reisende beim Betreten eines Bahnhofs oder beim Kauf eines Zugtickets einen QR-Code scannen, der einen negativen PCR-Test bestätigte. Die Methoden mögen extrem sein, ihr Ziel ist aber nicht die Bestrafung ideologisch Andersdenkender. Ein allumfassendes Kontrollsystem ist bis heute nicht realisiert worden und war möglicherweise auch nie geplant.
Wirtschaftliche Gründe vorrangig
Der eigentliche Zweck des Sozialkreditsystems scheint im zweiten Teil des Namens zu stecken, nämlich „Kredit“: Vorrangig geht es nämlich darum, die Kreditwürdigkeit von Unternehmen zu sichern. Bislang erfolgt eine Kreditvergabe in China oft nach undurchsichtigen Kriterien. Staatsunternehmen werden bevorzugt behandelt, während Privatunternehmen für Gelder auf den „grauen Markt“ – einem halblegalen Schattenbankensektor – ausweichen müssen. Es ist nicht bekannt, wie groß dieser Markt ist, aber Schätzungen zufolge könnte er so groß sein wie die gesamte britische Volkswirtschaft.
Damit wäre das Sozialkreditsystem eher das chinesische Äquivalent zur deutschen Schufa. Offiziellen Zahlen zufolge sollen bereits rund 33 Millionen chinesische Unternehmen in diesem System erfasst sein, die nach Kriterien wie pünktliche Steuerzahlungen und dem Einhalten von Umweltauflagen bewertet werden. Zudem soll das neue System auch die Schuldensituation von Lokal- und Provinzregierungen transparenter machen.
Viel Lärm um nichts?
Obwohl das Sozialkreditsystem in seiner derzeitigen Form hauptsächlich wirtschaftlichen Zielen zu dienen scheint, sind die Instrumente für eine umfassende Überwachung vorhanden. In der von den Uiguren bewohnten autonomen Region Xinjiang ist sie sogar bereits Alltag, wie aus einer ZDF-Doku hervorgeht.
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