Evan Hansen steht alleine in einem Gang. Bil: Universal

DEAR EVAN HANSEN: Der Kampf mit Depressionen

ZEITjUNG: Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet – warum werden solche Erkrankungen trotzdem oft tabuisiert und wenig thematisiert? 

Prof. Ulrich Hegerl: Da müsste man erst mal fragen, welche psychischen Erkrankungen meint man denn. Es gibt ja eine lange Reihe völlig unterschiedlicher psychischer Erkrankungen: Essstörungen, Alzheimer-Demenz, Borderline Persönlichkeitsstörungen, Zwangsstörungen, Spinnenphobie, Schizophrenie und vieles mehr. Wenn man das alles in einen Topf wirft, so trägt man bereits einen Teil zur Stigmatisierung bei, weil man die einzelnen Erkrankungen nicht ernst nimmt. Wenn wir nun über Depressionen reden, dann erschwert es das Stigma oft, sich Hilfe zu holen. Eine wichtige Quelle des Stigmas und auch der Selbststigmatisierung ist die Fehlannahme, dass Depressionen vor allem eine Folge von schwierigen Lebensumständen sind, von Überforderung, von Stress, von Verlusterlebnissen. Und wenn man diese Vorstellung hat – über 90 Prozent der Menschen glauben das – dann erlebt man eine Depression als persönliches Versagen, da andere ja auch mit solchen Problemen zurechtkommen. Nur man selber sei zu schwach. Man erkennt eben nicht, dass es eine Erkrankung wie jede andere ist und dass diese weniger von äußeren Umständen abhängt als oft angenommen. Hat man das Pech, die Veranlagung zu Depressionen mitbekommen zu haben, dann wird man meist mehrfach im Leben in eine depressive Phase rutschen, auch wenn es einem von außen betrachtet gut geht. Die Depression sucht sich immer die negativen Punkte im Leben, vergrößert diese und rückt sie ins Zentrum, sodass der Erkrankte und die Mitmenschen glauben, diese seien die Hauptursache.  

ZEITjUNG: Wie erkennt man frühzeitig, dass man vielleicht selbst von Depressionen betroffen ist? 

Prof. Ulrich Hegerl: Man kann sich zunächst auf der Seite der Stiftung Deutsche Depressionshilfe über diese Erkrankung informieren. Dann lernt man auch, dass sich Depressionen anders anfühlen als der Zustand nach Rückschlägen oder bei Überforderung. Die Menschen berichten oft, dass sie innerlich wie versteinert sind, keine Gefühle mehr wahrnehmen können, gleichzeitig aber völlig erschöpft und müde sind, jedoch nicht im Sinne von schläfrig, sondern eher im Gegenteil: Es ist ein Zustand mit hoher innerer Anspannung, so als ob man permanent vor einer wichtigen Prüfung stehen würde. Einschlaf- und Durchschlafstörungen sind auch fast immer vorhanden, auch Appetitstörungen mit Gewichtsverlust. Das Essen schmeckt einfach nicht mehr. Viele Betroffene sagen, dass sie sich in diesem Zustand selbst nicht mehr wiedererkennen.