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Über (Ent)Täuschung in der Liebe: Wenn aus Zuneigung Hass wird

Plötzlich ist er also da. Dieser tolle Mensch, der tolle, neue Lieblingsmensch. Alles, was er sagt, trägt und tut, ist toll: Tolles Lachen, tolle Sprüche, tolle Stimme,… Vielleicht wird aus dem „toll“ für kurze Zeit sogar ein „perfekt“ und wir fragen uns, wie ein Mensch so vollkommen sein kann. Er bereichert das eigene Leben so sehr, dass die Zeit ohne diesen Menschen trist und sinnlos erscheint. Logisch, Verliebten wird dieses Gefühl am ehesten bekannt vorkommen. Aber auch Freundschaft kann ähnlich intensive Ausprägungen von Zuneigung annehmen. Und auf einmal ist von dieser Zuneigung nichts mehr übrig. Das hysterische Lachen, die geistlosen Sprüche, die fistelige Stimme – es ist zum Kotzen.

Jedem Satz des Gegenübers folgt ein Schaudern, jeder Kommentar lässt den Blutdruck steigen und die vormals als charmant empfundenen Eigenheiten nerven ohne Ende.

Wenn aus Zuneigung Hass wird

Was muss passieren, dass der in unseren Augen wundervollste Mensch auf einmal zum Hassobjekt mutiert? Oftmals spielen verletzte Gefühle eine Rolle: Betrug, missbrauchtes Vertrauen oder Kränkung können Auslöser von Wut, Aggression oder sogar Hass sein. All diese Hintergründen haben eine gemeinsame Komponente, wie Paartherapeutin Andrea Bräu ZEITjUNG gegenüber verrät: Wir wurden enttäuscht.

Und erst im Austausch mit Frau Bräu wird die Bedeutung des Wortes wirklich deutlich: „Man täuscht sich am Anfang. Grundsätzlich hat man mit großer Wahrscheinlichkeit den Menschen einfach so gesehen, wie man es gerne hätte und nicht, wie er wirklich ist.“ Dieses Phänomen hat nichts mit Naivität oder Leichtgläubigkeit zu tun. Vielmehr ist es so, dass „der Verliebte quasi resistent für die Wirklichkeit ist“. An dieser Stelle spricht die Erfahrung vieler Sitzungen aus der Therapeutin. „Man verliebt sich also in eine Projektion bzw. eine Täuschung und sobald diese nachlässt, entsteht die ENTtäuschung.“

Die Täuschung kommt ans Tageslicht

Enttäuschung bedeutet also ernüchtert bzw. desillusioniert zu werden und unwillkürlich spielt sich die Metapher eines zerberstenden Spiegels vor dem inneren Auge ab. An dieser Stelle stellt man sich zwangsläufig die Frage, ob der Wortgebrauch in vielen anderen Zusammenhängen noch sinnvoll ist. Kann ich von dem Ausgang eines Wettkampfes, einer Klausur oder von mir selbst enttäuscht sein? War es von Mama früher richtig zu sagen, sie sei nicht sauer, sondern lediglich enttäuscht, dass sie von uns belogen worden war?

Scheinbar passt es auch in diesen Zusammenhängen. Denn erneut haben wir uns getäuscht: Entweder in dem, was wir von uns selbst erwartet hatten oder aber darin, dass wir darauf vertraut hatten, die Wahrheit zu erfahren.

Enttäuschungen sind hausgemacht

Nun ist „Hass“ ein sehr großes Wort und zu sagen, wir würden einen Menschen – zumal einen Menschen, der uns nahe stand – hassen, ist oftmals vermutlich dem anfänglichen Enttäuschungsschmerz geschuldet. Denn was wir unter keinen Umständen vergessen sollten, ist die Tatsache, dass der Enttäuschte sich ein Bild des Menschen gemalt hat, welches dieser gegebenenfalls überhaupt nicht vermitteln wollte bzw. erfüllen konnte.

Zu hohe Erwartungen an etwas oder jemanden zu stellen, vergrößern die Fallhöhe und somit auch den Aufprallschmerz. Wenn wir uns verlieben, mag folgender Hinweis schwierig einzuhalten sein, aber dennoch sollten wir uns stets bewusst sein, dass nichts und vor allem niemand perfekt ist.

Im Endeffekt ist eine Enttäuschung also irgendwie sogar etwas Gutes: Wir legen eine Illusion ab, wissen nun, wie der Hase wirklich läuft und leben nicht weiter mit einer Traumvorstellung. Das mag in den wenigsten Situationen ein Trost sein, aber immerhin etwas.