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Konfetti: Das Zauberpulver einer Generation

Als ich den Club verlasse, sehe ich sie auf dem Boden: unzählige Konfettischnipsel. Schon wieder. Wenn das Licht bereits angegangen und das alternde Durchhaltevermögen eingeschlafen ist, kommen die kleinen bunten Kreise zum Vorschein. Der Radius kaum größer als ein ungelenker Tanzschritt. Lieblos zertrampelt und gleichmäßig einmassiert in die braune Schmiere, die Alkohol und Schweiß aus jedem Clubboden zu destillieren wissen. Das Konfetti wirkt darin wie die geheime Zutat eines faden, weil mächtig trendigen und gesunden Vollkornteigs der Erwartungen, Überraschungen und Enttäuschungen der letzten Nacht.

Obwohl Kritiker wettern, dass die Papierschnipsel ihren Zenit der Coolness bereits überschritten haben, gibt es sie also noch: die unverbesserlichen Konfetti-Optimisten, die daran glauben, dass der bunte Regen irgendwie alles besser macht. Vielleicht können sie auch gar nicht anders. Denn hinter dem inflationären Konfetti-Gebrauch zwölfjähriger Cro-Fangirls verbirgt sich eine Tradition, die nicht besser zu uns passen könnte.

 

Als Konfetti unseren Alltag infiltrierte

 

Wann genau Konfetti eigentlich zum Zauberpulver unserer Generation geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich irgendwann zwischen MC Fitti, der zehnten enttäuschenden Liebelei und dem letzten legendären Suff. Also schon vor Ewigkeiten. Aber was steckt hinter dem Phänomen „Konfetti“? Und warum überhaupt Konfetti und keine Luftschlangen?

Denn letzteres teilt sich zumindest den Ursprung mit den bunten Schnipseln. Angefangen hat alles – Überraschung! – beim Fasching. Inspiriert von den Süßigkeiten („confetti“) auf dem venezianischen Karneval kreierte der Berliner Buchbindermeister Paul Demuth im 19. Jahrhundert beide Formen papiergewordener Ekstase, heißt es in der Entstehungsgeschichte. Patentieren ließ sich Demuth allerdings nur die Luftschlangen.

Jahrzehnte später ist es sicher auch der Festivalkult, durch den das Konfetti die Luftschlange einholt. Denn ausgehend von Festivalgeländen in aller Welt haben das bunte Papier und weitere mit Nostalgie aufgepumpte Gegenstände wie Seifenblasen, Glitzer, Masken und Einhörner unseren Alltag infiltriert. So wurde etwa der Hashtag #unicorn in den letzten 30 Tagen auf Twitter 11.246 Mal verwendet. Kanzlerin #merkel nur 24.297 Mal öfter. Auch das Magazin NEON schreibt in der aktuellen Ausgabe: „Das Einhorn hat den Sprung in die ironisch gebrochenen Sphären der Popkultur geschafft.“

 

Die Faszination inspiriert zahlreiche Start-ups

 

Aus dieser neuen Welle der Begeisterung entstehen sogar zahlreiche Start-up-Unternehmen. Am aktuellsten ist sicherlich „Ship your Enemies Glitter„. Das Konzept des 22-jährigen Gründers, Matthew Carpenter ist so simpel wie genial: Der Kunde ordert Glitzer zur Adresse seines Feindes, der das Paket öffnet und daraufhin bis an sein Lebensende Glitzer aufputzen muss. Dabei hat der Australier die Faszination für Glitzer, Konfetti und Co. allerdings unterschätzt. Schon nach 24 Stunden muss er das Bestellformular offline nehmen, und später verkauft er sein Unternehmen. 2,5 Millionen Besucher habe die Website bis dahin gehabt, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Carpenter selbst begründet den Hype gegenüber dem Guardian so: „Die Menschen scheinen jede Menge Feinde zu haben.“

Die Gründer des Projekts „Konfettifreunde“ dagegen haben das Potenzial ihres bunten Gutes schnell erkannt, wie sie gegenüber ZEITjUNG erzählen. „Konfettifreunde.de ist ein kreatives Projekt von Konfetti-Enthusiasten für Konfetti-Liebhaber und noch Unentschlossene“, heißt es auf der Website. „Wir sind offen gegenüber allem und jedem, werfen überall Konfetti, schießen mit Konfettipistolen und Konfettikanonen das bunte Glück in dein Leben, […] eskalieren auf jeder Party, verbreiten gute Laune und machen Stimmung und Menschen glücklich.“ Für das Projekt geht die Faszination „Konfetti“ aber auch über den Partygag und „MC Fitti Fanboys oder Leute, die Herrn Guetta für den weltbesten DJ halten“ hinaus. In den Blogbeiträgen der Konfettifreunde geht daher besonders darum, Konfetti in unerwartete Kontexte zu setzen und so die Ernsthaftigkeit der Dinge zu unterwandern. Aber was erwarten wir uns nun vom Moment in dem das bunte Papier unsere aufgeregt schwitzige Hand verlässt?

 

Eine Tradition von Balz, Rebellion und Dopaminvergeudung

 

Meine Freundin M (Konfetti-Optimistin) hat eine einfache Erklärung für das Phänomen. Sie sagt, all das hänge mit einem simplen Glauben zusammen: Begegnung mit aufregender Person X wird gewährleistet durch Zuführen von buntem Papier. Das Konfetti muss ja schließlich auf irgendwem landen. Ein super Erstkontakt also. Vielleicht sogar ein Balzritual. Während M’s Theorie mächtig nach Aufmerksamkeitshurerei klingen mag, scheint sie damit ziemlich richtig zu liegen. Denn schon Johann Wolfgang von Goethe, der die Tradition des Konfettiwerfens genauer untersucht hat, erkannte: „Wahrscheinlich hat einmal zufällig eine Schöne ihren vorbeigehenden guten Freund, um sich ihm unter der Menge und Maske bemerklich zu machen, mit verzuckerten Körnern angeworfen, da denn nichts natürlicher ist, als dass der Getroffene sich umkehre und die lose Freundin entdecke, dieses ist nun ein allgemeiner Gebrauch, und man sieht oft nach einem Wurfe ein Paar freundliche Gesichter sich einander begegnen.“

Natürlich spielt auch die Nostalgie eine Rolle. „Es weckt das Kind in dir zu neuem Leben“, heißt es auf der Website der Konfettifreunde. Dabei ist es nicht die Tatsache, dass wir als Kind immer Konfetti verstreut haben, die unsere nostalgischen Gefühle weckt. Es ist die Tatsache, dass wir es eben nicht getan haben. Und sich heute in etwas zu suhlen, das unsere Eltern als „Dreckmacher“ beschimpft und verboten haben, ist ein ziemlich befriedigendes Gefühl.

Daneben geht es beim Konfettiwerfen auch um das Genießen eines Augenblicks, wissen die Autoren Hans-Jörg Knobloch und Helmut Koopmann: „Gemeinsam ist den karnevalistischen Aktionen das Augenblickhafte, Plötzliche und gleichzeitig das sich Auflösende, Verschwindende, in Nichts Zusammenfallende.“ Als uns Poetry-Slammerin Julia Engelmann zum Ausbruch aus dem Alltag ermahnt und gesäuselt hat „Lasst uns Dopamin vergeuden“, muss sie also von einer kurzfristigen Konfetti-Ekstase gesprochen haben. Auch das Team der Konfettifreunde findet, dass es bei der Faszination für das bunte Papier um den Ausbruch aus dem Alltag geht. Sich und die Welt einmal nicht so ernst nehmen. Jedenfalls für einen kurzen Moment. Denn im symbolischen Sinne macht das bunte Glück alles besser. „Dabei müssen allerdings Grenzen gewahrt werden. Konfetti macht weder Aids besser, noch würde jemand ernsthaft behaupten, „Konfetti macht die Jungs vonner Boko Haram besser“.

 

Konfetti passt einfach gut zu uns

 

Am Ende wird nur allzu deutlich, wie gut die Tradition und Bedeutung des Konfettiwerfens eigentlich zu uns passt. So sehr wir uns auch gegen die Stereotype der Generation Y wehren. Den Alltag einmal weniger ernst nehmen, der Rausch des perfekten Augenblicks, der Wunsch nach einer aufregenden Begegnung in der Menge und all die nostalgischen Gefühle – das klingt schon ein wenig nach uns, oder? Denn häufig setzen wir viele Hoffnungen in eine Nacht. Die eine legendäre Nacht. Immer mit der Angst, das Schicksal könnte uns doch wieder übel mitspielen und die vielversprechende Party floppen. Also machen wir es eben genau wie mit dem faden Vollkornteig. Fügen die geheime Zutat, das Zauberpulver hinzu. Eine gute Faust voll für unser Glück, denken wir. Dazu ein kleiner Jubelschrei – nur zur Sicherheit.

 

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Bildquelle: Jannik Nitz unter CC BY 2.0