Wieso wir Konzertfilmen hassen

Hassobjekt: Konzertfilmer – die Antichristen der Livemusik

Text: Melanie Rojahn; Illustrationen: Lotte Düx

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer Montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Konzertfilmer“. Unser Hass wird von der fantastischen Lotte Düx illustriert.

Kunst liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Schwierig wird das Ganze, wenn besagte Kunst und besagtes Auge durch eine Wand aus Smartphones voneinander getrennt sind. Gingen unsere Mitbürger für den Niederriss einer Mauer noch vor wenigen Jahrzehnten auf die Straße, errichten wir diese heute neu: Eine Mauer aus Displays und Ignoranz. Anders ist es nicht zu beschreiben, was vermehrt auf Konzerten jeglicher Art zu beobachten ist.

Die Idealvorstellung eines gelungenen Konzertes ist doch die folgende: Viele verschwitzte Menschen wogen im Rhythmus ein und desselben Sounds, der übersteuerte Bass gibt den Takt des Pulses vor und die Typen auf der Bühne zerreißen sich fürs Publikum. Voller Vorfreude auf den Blick in ein Meer der Euphorie schaut man in die Menge. Doch das visuelle Echo ist schmerzhaft wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung: Statt in strahlende Gesichter blickt man in abertausende Handykameras. Zugegeben: Auch diese strahlen Etwas aus, dessen Folgeschäden noch nicht endgültig erforscht sind.

Sobald das Licht gedimmt, der erste Akkord angestimmt und das Security-Personal angsteinflößend ernst wird, zücken die ersten Zuschauer ihre Smartphones und verfolgen die anschließende Show durch das scheinbar immer größer werdenden Display. Ranzoomen, rauszoomen, Sepiafilter,… Zahlreiche Effekte, die so viel geiler sind als die profane Lightshow, die dem Veranstalter lediglich einen sechsstelligen Geldbetrag und den Bühnentechniker eine dreijährige Ausbildung gekostet hat.

Kamerakind 2.0

Ein wenig erinnern die Hobbyfilmer an das Kamerakind aus „1,2 oder 3“. Eine Sendung, in der Kinder auf der Suche nach der richtigen Antwort zwischen drei Toren umherirren. In jeder Folge darf ein Kind, welches dem Herumirren nicht würdig ist, die anderen – offensichtlich cooleren – Kinder beim Spaßhaben filmen. Und das trifft auch in den Konzerthallen ziemlich gut zu: Die Loser-Kids filmen die coolen Kids beim Spaßhaben.

Denn offensichtlich interessiert viel weniger das Geschehen auf der Bühne, weshalb die Kamera meistens auf den Besitzer selbst und die tolle Stimmung um ihn herum gerichtet ist. Später wird diese cineastische Meisterleistung in den sozialen Medien geteilt, um die ganze Welt am eigenen abgefahrenen Leben teilhaben zu lassen.

Sicht- und spaßbehindert

Bis hierhin könnte man noch meinen: Warum aufregen? Bietet diese Spezies doch wahnsinnig gutes Lästerpotential. Jaja, schon richtig. Allerdings darf nicht vergessen werden, wie sehr die Umstehenden unter diesen Profiambitionen leiden. Irgendein Smartphone verhindert immer die freie Sicht auf die Bühnentotale. Richtig dreiste Konzertfilmer stützen ihren Ellbogen irgendwann auf der Schulter des Vordermannes ab. 120 Minuten können aber auch wirklich lang und zäh sein (von mehrtägigen Festivals ganz zu schweigen). Zum Betätigen des Zooms braucht man ja leider auch meistens zwei Hände, sodass das Halten der Getränke in den Zuständigkeitsbereich der Begleitung fällt. „Schließlich filme ich ja für dich mit!“

Besondere Beachtung verdient das Festhalten interaktiver Momente. Der Klassiker: Die Band fordert die tobende Menge zum Hinhocken auf. Alle wissen: „Das wird fett, beim Einsetzen der Gitarre springen wir alle gemeinsam in die Höhe!“ Nur ist „alle gemeinsam“ schon lange nicht mehr. Mindestens ein Wannabe-Lubezki bleibt stehen und filmt die Übrigen beim Hinhocken und Rumhüpfen. Sichtbehinderer und Spaßbremse in Personalunion.

Alzheimer durch übermäßige Smartphonenutzung?

Die Fachpresse vermutet es ja schon lange: Smartphones fördern Gehirnschäden. Konzertfilmer geben irgendwie Anlass dieser Hypothese sorgenvolle Aufmerksamkeit zu schenken. Fragt man diese Menschen auf dem Heimweg nämlich nach ihren Lieblingssongs des Abends, skippen sie erst einmal durch ihre Aufnahmen, weil sie sich an nichts erinnern können. Plötzlich einsetzende Alzheimer? Demenz? Wie gefährdet sind wir wirklich? Die eigentliche Tragik ist aber: Durch die Bedienung und die verschiedenen Einstellungen des Handys schwindet die Aufnahmefähigkeit für das eigentliche Bühnengeschehen.

Im Endeffekt sind diese Geschöpfe nur zu bemitleiden. Zahlen einen Haufen Kohle und stehen sich vor dem Einlass die Beine in den Bauch, um ganz nah dabei zu sein. Und wenn die Kamera dann eine miese Brennweite hat, sieht es so aus, als hätte man in der letzten Reihe gestanden. Aber vermutlich wäre dort auch der viel bessere Platz gewesen. Ist die Chance auf ein anständiges Video nämlich aussichtslos, erlebt man das Konzert auch wirklich live und nicht erst als Video on Demand.