Ich Du Es Abschaffung Geschlechter

Ich, Du…Es? Über die Abschaffung der Geschlechter

Frauen werden benachteiligt. Sie verdienen durchschnittlich 22% weniger als Männer, sind in Führungspositionen trotz der umstrittenen Frauenquote nur zu 22,5% vertreten, aus der Lohnungleichheit von heute wird die Rentenlücke von morgen. In der Politik wird vieles versprochen und wenig umgesetzt, zu viele Frauen finden sich nach wie vor im Zwiespalt zwischen Kindern und Karriere. Das ist ein Problem. Eine erste Lösung gegen dieses und viele andere geschlechtsspezifische Probleme schlagen die Kritiker der sogenannten „ZweiGenderung“ vor: Sie lehnen die zweigeschlechtliche Grundkonzeption der Gesellschaft ab, also die Unterteilung der Sprache in männlich oder weiblich.

 

Genderneutrale Gesellschaft braucht genderneutrale Sprache

 

Jemand, der sich seit Jahren für mehr Neutralität in der Sprache einsetzt, ist Lann Hornscheidt, die eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität in Berlin hat. Das bedeutet im Klartext, dass Lann sich durch Anreden wie „Liebe(r) Lann“ oder „Frau oder Herr Hornscheidt“ in eine Rolle gedrängt fühlt, der Lann sich nicht zugehörig fühlt. Lann Hornscheidt fühlt sich weder als Mann noch als Frau noch als irgendwas dazwischen. Lann fühlt sich als Lann und möchte, dass das auch in der Gesellschaft und in der Sprache respektiert wird. Damit sich auch diejenigen Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, mit der Sprache identifizieren können, hat Lann Hornscheidt vor etwa zwei Jahren die „x“-Form vorgeschlagen, in der sämtliche Wortendungen und Pronomen aufgelöst werden, die auf ein Geschlecht hinweisen. Das könnte dann zum Beispiel folgendermaßen aussehen: „Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht, dass es unglaublich ist, wie die Universität strukturiert ist, dass es nur so wenige Schwarze /PoC Professxs gibt“. Jemand, der studiert, hat also in jemandes Vortrag darauf aufmerksam gemacht, dass nur sehr wenige schwarze Menschen Professuren innehaben. Sieht scheiße aus und hört sich scheiße an.

 

Studentx, Chefx, Papstx?

 

Trotzdem ist die „x“-Form zurzeit die einzige Art, sich völlig geschlechtsneutral auszudrücken. „Alle anderen Sprachformen wie das Binnen-I in StudentInnen oder der Unterstrich in Student_innen sagen Folgendes: Es gibt Frauen und Männer und dazwischen vielleicht noch ein paar andere Leute. Die X-Form sagt erst mal nur: Da ist eine Person. Das könnte sprachlich viel grundlegender das Geschlecht als wichtige Kategorie in Frage stellen. Das X durchkreuzt herkömmliche Personenvorstellungen“, sagt Lann Hornscheidt, die als Antje Hornscheidt geboren wurde, gegenüber dem Spiegel.

 

Ja, es stimmt: Wir unterteilen gerne. Wir kategorisieren und spezifizieren, was das Zeug hält. Aber ist das wirklich so schlimm? Bei dem Gedanken, diesen ganzen Text ohne Pronomen und andere männliche oder weibliche Zuweisungen schreiben zu müssen, bin ich doch ganz schön froh um jedes „die“ oder „der“. Dass Diskriminierung aber nicht nur in den Köpfen vor sich geht, sondern oft auch völlig unbewusst in unseren Sprachgebrauch übergeht, ist nur den wenigsten von uns klar. Ein gutes Beispiel dafür nennt Hornscheidt in einem Interview mit der Zeit: „Ob ich heute sage, wir haben ein Flüchtlingsproblem oder wir haben ein Rassismusproblem, ist ein total großer Unterschied. Soziale Kategorien sind immer Folgen von Diskriminierung“. Dabei ist die „x“-Form, wie alle von Hornscheidts Theorien, immer nur ein Vorschlag, ein Angebot und niemals eine Vorschrift. Auf ihrer Website schreibt Lann: „Wenn Sie mit Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen wollen, verwenden Sie bitte respektvolle Anreden, die nicht Zweigeschlechtlichkeit aufrufen. Bitte vermeiden Sie zweigendernde Ansprachen wie “Herr ___”, “Frau ___”, “Lieber ___”, oder “Liebe ___”. Es gibt nicht die eine richtige und gute Anrede, sondern es bedarf respektvoller neuer Anredeformen – ich freue mich auf Ihre kreativen anti-diskriminierenden Ideen“. Zugegeben, dem nachzukommen ist gar nicht so einfach und erfordert das Überdenken unserer altbekannten Höflichkeitsformen. Trotzdem ist es nur eine höfliche Bitte, auf die Lann Hornscheidt einen Shitstorm erntete, der bis hin zur Androhung von Vergewaltigung reichte. Wieso haben die Leute ein solchen Problem mit Hornscheidts Forderungen?

 

 

Brauchen wir ein Geschlecht für unsere Identität?

 

 

Der Großteil von uns kann das Problem mit der ZweiGenderung wahrscheinlich nicht wirklich nachvollziehen. Abgesehen von Ungerechtigkeiten und Klischee-Überladungen fühlen wir uns dann doch meistens ganz wohl mit unserem Geschlecht. Auch ich bin froh, eine Frau zu sein und würde nicht gerne Mann sein wollen – auch wenn ich dann eventuell bessere Chancen auf ein höheres Gehalt hätte, keine Unmengen für Kosmetik ausgeben müsste und auf Festivals gemütlich an den Zaun pinkeln könnte, anstatt stundenlang vor einem Dixi-Klo anzustehen. Die Unterteilung in zwei Geschlechter ist für uns das Natürlichste der Welt, wir wachsen seit jeher damit auf, dass es Mann und Frau gibt und dass sich beide oft gar nicht mal so ähnlich sind. Eine Frau oder ein Mann zu sein, ist meistens wesentlicher Bestandteil unserer Identifikation.

 

Anders ist das zum Beispiel bei Alda. Alda lebt in Island, ist ihres Zeichens Fotografx und bezeichnet sich selbst als „non-binary“, also weder weiblich noch männlich. „Ich identifiziere mich als genderqueer und gelegentlich auch als gender fluid – das bedeutet, dass sich meine geschlechtliche Identität von Zeit zu Zeit verändert. Die meiste Zeit fühle ich mich aber neutral, weder als Mann noch als Frau, sondern als etwas komplett anderes“, erzählt Alda gegenüber ZEITjUNG. „Ich denke, geschlechtsspezifische Bezeichnungen und Pronomen sind wichtig, besonders für Transsexuelle und Frauen, denn sie können ein Weg sein, die eigene Identität zu stärken. Aber ich glaube auch, dass neutrale Pronomen und Bezeichnungen sehr wichtig sind und dass wir daran arbeiten sollten, diese geläufiger zu machen und zu verbreiten“.

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Sexualität ist konstruiert

 

Aber wie sieht es eigentlich mit der Sexualität aus? Wenn man sich selbst weder als Mann noch als Frau fühlt, zu wem fühlt man sich dann hingezogen? Und wenn die Kategorisierung in Mann und Frau eigentlich nur vom Menschen konstruiert ist, gilt das dann auch für die Sexualität? Ist es im Grunde nur gesellschaftlich konstruiert, dass viele von uns entweder Männer oder Frauen lieben? Sind wir dann alle ein bisschen bi?

Alda glaubt, dass Sexualität – genau wie das Geschlecht – konstruiert ist. „Das heißt nicht, dass Sexualität etwas Schlechtes ist. Es bedeutet nur, dass wir aufhören müssen, die Geschlechter als etwas natürliches anzusehen – wir haben uns diese Bezeichnungen und das, was sie bedeuten, ausgedacht. Also haben wir auch die Macht, diese Bezeichnungen und ihre Bedeutung zu ändern. Der Begriff „homosexuell“ – der ja als „angezogen vom anderen Geschlecht“ definiert wird – wirkt irgenwie veraltet, wenn man akzeptiert, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Wenn ich weder Mann noch Frau bin, wer oder was ist dann dieses andere Geschlecht? Kann ich mich dann überhaupt als heterosexuell bezeichnen? Könnte mein Partner? Ich persönlich finde Leute sexuell anziehend, die künstlerisch sind, offen, abenteuerlustig und sexuell dominant“.

 

Probleme suchen, wo keine sind?

 

Es ist leicht, die Kritiker der ZweiGenderung als lächerlich abzutun. Als Menschen, die sich selbst Probleme schaffen, wenn es gerade nicht genug anderes zu tun gibt. Schwerer ist es, sich ernsthaft mit den Gedanken dieser Leute auseinanderzusetzen und sich eine Welt vorzustellen, in der es niemanden interessiert, ob du Mann oder Frau bist. Und noch schwerer ist es, sich in Menschen wie Lann oder Alda hineinzuversetzen. Sich vorzustellen wie es ist, wenn man sich keiner der gängigen Rollen zugehörig fühlt und dauernd bemerkt, dass es für einen noch nicht mal in der Sprache einen Platz gibt. „Wenn ich anfange, von mir selbst im neutralen Geschlecht zu sprechen, sind viele Leute erstmal überrascht. Gott sei Dank war bis jetzt fast jeder sehr aufgeschlossen. Manchmal fragen die Leute unangebrachte Fragen, aus purer Ignoranz heraus, aber im Endeffekt meinen sie es nur gut. Die meisten Leuten versuchen, sich meine Pronomen zu merken und das neutrale Geschlecht für mich zu benutzen. Es macht so einen großen Unterschied, wenn ich höre, dass die Leute es versuchen, auch wenn sie Fehler machen. Das macht mich immer sehr glücklich“.