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It-Land Japan: Wenn Romantisierung auf Realität trifft

von Katharina Busch

Seit einigen Jahren ist Japan das Reiseziel der Travelblogger, der mutigen Backpacker, der hippen Abenteurer und Freidenker, die auf der Suche nach maximaler Exotik ans andere Ende der Welt fliegen. Japan – das ist das Land der verrückten Werbung, Pokémon und tanzender Roboter. Der letzte fremde Fleck auf unserem Planeten?

Andere Kulturen inspirieren uns. Schon lange sind chinesische Schriftzeichen auf tätowierten Hälsen und frechen T-Shirts als modisches Statement zu finden, wir gucken amerikanische Filme, hören spanische Musik, gehen thailändisch essen. Das ist alles ganz normal und selbstverständlich. Sicher gibt es auch zu diesen Ländern kulturelle Unterschiede, aber irgendwie ist der Kulturschock in Japan halt am krassesten. Und zwar nicht, weil es kulturell weiter weg ist, als zum Beispiel andere asiatische Länder, sondern, weil dieses „abgefahrene Image“ Japans ganz gezielt vermarktet wird. Nur wird dadurch gleichzeitig ein Bild des Landes erschaffen, das zu Vorurteilen und falschen Vorstellungen führen kann, wenn man es zu ernst nimmt.

 

„Alles ist extrem modern“

 

Japan wird oft als Kulisse für SciFi-Filme benutzt, in denen fliegende Autos vor futuristischen Hochhäusern mit bunt flackernden Schriftzeichen auf pinken Leuchtreklamen vorbeirasen, um eine Atmosphäre zu erschaffen, die sich trotzdem nicht zu weit hergeholt anfühlt. In Wirklichkeit sind viele Teile Japans jedoch nicht stark modernisiert und gerade auf dem Land wirkt vieles oft eher überholt. Statt sprechenden Toiletten findet man außerhalb der Zentren Plumpsklos, traditionelle Holzhäuser statt Wolkenkratzern und Reisfelder statt Beton-Dschungel.

 

„Mangas und Animes sind kindisch“

 

Es ist vollkommen in Ordnung auch als Erwachsener noch Disney Filme zu gucken oder Superhelden zu mögen. Aber, wenn du öffentlich zugibst Animes zu gucken, wirst du direkt als noch-bei-Mutti-wohnender, bleicher Japan-Freak abgestempelt. Dabei sind die japanischen Animes auch nichts anderes, als das asiatische Äquivalent zum amerikanischem Zeichentrick. Auch wir sind mit teilweise extrem seltsamen Cartoons aufgewachsen: Darkwin Duck? Happy Tree Friends? Rockos modernes Leben? Sind alle ganz bestimmt nicht „normal“.

 

„In Japan isst man nur Sushi“

 

Es gibt viele falsche Vorstellungen über Sushi, allem voran, dass Sushi zum täglichen Speiseplan gehört. Auch, wenn Sushi in Japan um einiges günstiger ist als im Westen, bleibt es immer noch ein Essen für besondere Tage. Es werden nicht jeden Abend selber Lachs-Nigiri geformt, sondern wahrscheinlich gibt es eher Pasta. Denn, insbesondere seit der amerikanischen Besetzungszeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs, hat Japan viele kulinarische Einflüsse vom Ausland erhalten. Zum Frühstück wird mehr Toast gegessen, als das traditionelle japanische Frühstück, das aus Reis, einer Miso-Suppe und kleinen Beilagen besteht. Exotische Mutproben, wie Kugelfisch, können ganz leicht vermieden werden und sind auch für Japaner nichts Alltägliches.

 

„Alle sehen gleich aus“

 

Eines der absurdesten Klischees, die ich je über Japan gehört habe, ist, dass alle Japaner gleich aussähen. Noch nie habe ich irgendwo so viel Experimentierfreude, Mut und Kreativität gesehen, wie in der japanischen Street-Fashion. Während man in Deutschland schnell in zwei Kategorien (Hipster oder Fashion-Victim) eingeteilt wird, existieren in Japan etliche Subkulturen, mit ihren eigenen Trends und Ikonen, friedlich nebeneinander. Wenn man am Wochenende in Tokyos Fashion-Hochburg Harajuku unterwegs ist, kann man bunte 80’s Kleider, detaillierte Steam-Punk Outfits, Lolitas und Gothics (oder beides gleichzeitig) sehen oder etwas ganz Wildes dazwischen.

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Das Bild, dass Japan ein anderer Planet sei, unbegreiflich und furchtbar weit weg von allem, was man kennt, bringt Probleme mit sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde in Japan die Vorstellung, dass die Japaner eine homogene und einzigartige Rasse seien, absichtlich von der Regierung im Zuge der Nihonjinron-Bewegung propagiert, um das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Bevölkerung zu stärken. Die Folgen dessen sind auch heute noch spürbar; es gibt bemerkenswert wenig Ausländer in Japan, das Land gilt als „seltsam“, die japanische Denkweise sei „ganz anders“.

Viele Touristen kommen gerade deshalb nach Japan, um die Fremdartigkeit des Landes zu erleben. Tourismus kann sicherlich erheblich dazu beitragen, die Kultur begreiflich zu machen, jedoch feuert eine gezielte Vermarktung des Komischen eher noch die Auffassung an, dass die Japaner komisch seien, wenn in Wirklichkeit, viel weniger Unterschiede bestehen, als man denkt. Gegenseitiges Verständnis ist wichtig und wird immer wichtiger, wenn Fremdenfeindlichkeit und Extremismus in der Gesellschaft und Politik zunehmen. Vielleicht ist es an der Zeit über kulturelle Unterschiede hinwegzusehen und uns darauf zu besinnen, dass wir alle gleich sind. Egal, ob wir nun Animes schauen oder nicht.