Schlaue Menschen traurig

Warum sind kluge Menschen so oft unglücklich?

„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein“ – das hat der englische Philosoph Stuart Mills gesagt. Was das bedeutet? Mehr oder weniger heißt es, dass Menschen nicht glücklich werden können, wenn sie lediglich animalischen Grundbedürfnissen oder sinnlichen Freuden nachjagen. Und vom Tier unterscheidet uns der Geist, freie Handlungsentscheidung, Talent und die Liebe. Natürlich lässt sich über den Unterschied zum Tier diskutieren (ja, der Schabrackenschakal liebt und lebt monogam!) – aber Fakt ist doch, dass der Mensch durch seinen Geist auch nicht nur zum Glück finden kann. Je mehr Weitblick wir im Leben erfahren, desto reflektierter beurteilen wir Handlungen und Umstände – desto eher machen uns Zustände oder Verhaltensweisen anderer unglücklich. Je gebildeter, reicher und erfahrener wir sind, kann es uns wahrscheinlich passieren, dass wir wesentlich weniger zufrieden mit unserem Leben werden.

Raj Raghunathan, Marketing-Professor an der University of Texas, hat ein Buch über besagtes Phänomen geschrieben. If You’re So Smart, Why Aren’t You Happy? heißt sein Werk und beschäftigt sich mit der Frage, warum viele kluge Menschen zwar wissen, was sie glücklich machen kann, sie aber die Umsetzung tatsächlich nicht befriedigt.

 

Besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.

 

Er nennt das Beispiel des Bedürfnisses „der Beste“ in etwas zu sein. Überragende Ziele erreichen zu wollen, ist ein absolut legitimer Wunsch – nur ist fraglich, wie wir und andere das Phänomen bewerten. Ist der Beste derjenige, der am meisten Fachkompetenz verfügt? Derjenige, der am sozial verträglichsten ist? Oder derjenige, der im Endeffekt am meisten Zuspruch durch sein Umfeld bekommt?

Beachten wir all diese Komponenten merken wir: es ist verdammt schwer zu urteilen, da die Maßstäbe immer mindestens zweiseitig sind. Hier verhält es sich anders als in der Mathematik: Je mehr wir mit einbeziehen, desto weniger eindeutig kann unser Ergebnis werden. Ergo sind wir tatsächlich am verzweifeln, da wir den Zustand nie wirklich glasklar visieren können. Wir ziehen daraus unsere Konsequenzen und tendieren deshalb oft zu vorgegeben Maßstäben zur Bewertung von Umständen – der Beste ist der mit den meisten Auszeichnungen. Oder der, der am höchsten bezahlt wird. Gleichzeitig wissen wir aber, dass dahinter doch meisten mehr ist und uns diese adaptierte Herangehensweise auch nicht zum Glück führt – zumindest nicht dauerhaft.

Bekommst du eine fette Gehaltserhöhung, weil du wirklich der Supergeilste im Job bist, macht dich das die ersten Monate glücklich. Aber lass mal ein halbes Jahr vergehen… du wirst merken, dass du dich an den Umstand gewöhnt hast. Dein Glück ist schon wieder relativ, Euphorie schon längst verflogen. Um wieder happy zu werden, müssten deine Vorgesetzten schon nochmal mit mehr Kohle ankommen. There you are again.

 

Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.

 

Ja gut, äh. Wie entkommen wir dem Ganzen? Vielleicht müssen wir etwas mehr darauf horchen, was wir wirklich gut können. Was bereitet uns Freude – und zwar soviel, dass es absolut irrelevant ist, ob wir die besten darin sind? Denn in diesem Fall tendieren wir dazu, genau die Dinge zu machen, die uns erfüllen. Verfolgst du diese Dinge lang und intensiv genug, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass du dich so oder so in Ebenen katapultierst, wo der Fame und das Geld fließen wie Wasser aus der Leitung – überspitzt formuliert. Zumindest ist das die schönere Variante als etwas nur aus Prinzip zu verfolgen und dabei denken, es handelt sich dabei um lifegoals.

Raj Raghunathan nennt drei Komponenten, die sich bei dieser Glückserfüllung einstellen – Kontrolle, Zugehörigkeit und Freiheit. Und er fügt eine vierte hinterher: Die Weltanschauung, die wir mitbringen. „You actually perform better if you don’t put yourself under the scarcity mindset, if you don’t worry about the outcomes and enjoy the process of doing something, rather than the goal.“ Wir übersetzen in den Alltag: Gehen wir joggen, dann macht es uns glücklicher, wenn wir es für die Bewegung per se machen. Nicht unbedingt, um damit zwangsläufig abzunehmen. Genießen wir den Moment des Laufens, die Schritte auf dem Asphalt und den Gedankenstrom währenddessen, dann werden wir immer wieder laufen gehen wollen – und das fitter werden kommt quasi Hand in Hand. Und Raghunathan fügt an: „To be happy is at some level pretty simple. It requires doing something that you find meaningful, that you can kind of get lost in on a daily basis.“

Für uns können wir folgendes daraus ziehen: Ja, es ist eine Bürde, so verdammt klug zu sein. Aber wenn wir all unsere Klugheit bündeln für das, was uns wirklich liegt, kommen auch die Intelligentesten unter uns zum wahren Glück – und das klingt doch vielversprechend.

 

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Bildquelle: Brooke Cagle via Unsplash unter cc0-Lizenz