Liebeserklärung an: meinen Opa

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Lieber Opa,

zwischen jungen und alten Menschen liegen oft so viele Jahre, dass sie in Bezug auf einige Dinge einfach keinen gemeinsamen Nenner finden. Eine „generation gap“. Mag sein, dass das in vielerlei Hinsicht auch auf uns zutraf, Opa. Du konntest mit dem Internet überhaupt nichts anfangen. Ja, du warst schon überfordert, wenn du beim Fernseher aus Versehen auf „Mute“ gedrückt oder den Videotext aktiviert hast. Ebenso habe ich keine Ahnung davon, wie man ein Vogelhaus baut oder wie man ein Fenster repariert. Aber weißt du was, Opa? Man ist nicht dadurch ein guter Mensch, dass man sich mit Fernsehgeräten auskennt oder mit Werkzeug umgehen kann. Man ist es, weil man sich, in welcher Form auch immer, um seine Mitmenschen kümmert und einem das Wohlergehen der anderen am Herzen liegt. Und das war bei dir eindeutig der Fall, Opa.

Du warst zur Stelle, bevor der andere überhaupt wusste, dass er dich braucht

Dabei warst du unheimlich stur, eigensinnig und vor allem ungeduldig. Vielleicht muss man so sein oder man wird so, wenn man fast ein Dutzend Geschwister hat. Wenn wir irgendwohin fahren wollten und ausmachten, dass wir um acht Uhr losfahren, standest du um Viertel vor acht im Türrahmen und fragtest „Wo bleibt ihr?“. Aber…das warst einfach du. Das waren deine Ecken und Kanten, deine Markenzeichen. Du warst der ebenso zäheste Bursche wie hilfsbereiteste Mensch, den ich kannte. Wenn jemand dich um Hilfe bat, weil er einen Baum fällen oder eine Gartenhütte bauen wollte, dann warst du an Ort und Stelle, noch bevor derjenige überhaupt wusste, dass er deine Hilfe braucht. Du hast mir beigebracht, dass ein guter Mensch derjenige ist, der früh aufsteht und viel arbeitet. Das habe ich, möchte ich behaupten, von dir übernommen und bin daher stolz darauf, dass ich dein Enkelsohn sein durfte.

Eine längst vergessene, aber auch schöne Welt

Du bist 1934 in Oberschlesien geboren. Eine Region, in der damals irgendwie keiner so wirklich wusste, ob er nun eher Deutscher oder eher Pole ist. Letztendlich war das aber auch egal. Wichtig war doch nicht, was im Pass stand, sondern viel eher, wie man miteinander umging. Ich habe dir unheimlich gerne dabei zugehört, wie du von früher erzählt hast. Zum Beispiel, wie du deinen Nachbarn gefragt hast, ob du dir sein Pferd leihen kannst, weil du mit dem Pritschenwagen in die nächste größere Stadt fahren wolltest.

Oder wie ihr abends Ziegelsteine auf dem Ofen gewärmt und diese dann neben euer Bett gelegt habt, weil es im Winter in den Schlafzimmern ohne Heizung einfach eiskalt war. Oder auch, dass es ganz normal war, dass du deinen Nachbarn etwas davon abgabst, wenn ihr ein Schwein geschlachtet habt. Schließlich war es ja auch ganz normal, dass du von dem einen Nachbarn zwei Eimer Kirschen bekommen hast, wenn die Bäume in seinem Obstgarten Früchte trugen. Und von dem anderen zwei Laibe Brot, wenn er das Korn von seinem Feld verarbeitet hat. Das sind für mich Geschichten, die klingen ganz fern, wie aus einer anderen Welt. Eine längst vergessene und irgendwie raue, aber zugleich auch schöne und familiäre Welt.

Du hast dich nie beschwert und den anderen gezeigt „wie man das richtig macht“

1979 bist du mit deiner Familie in die neue/alte Heimat Deutschland ausgewandert. Da warst du 45 Jahre alt. So etwas macht in solch einem Alter nur jemand, der an die anderen denkt. Du wolltest, dass deine Kinder (und später die Enkelkinder) es einmal besser haben, als du. Du hast hier ein Haus gebaut, du hast weiter malocht, du hast dich bis zuletzt um alles zu kümmern versucht. Fast 30 Jahre lang litt deine Ehefrau, also meine Oma, unter Parkinson. Du hast dich jeden Tag um sie gekümmert: Essen kochen, Wäsche waschen, Tabletten sortieren. Und du hast dich nie beschwert. Als dann irgendwann ein Pflegedienst hinzukam, um dich zu unterstützen, hast du sie nicht einfach machen lassen. Du hast den Pflegerinnen als Erstes gezeigt, „wie man das richtig macht“. Erst dann durften sie ihre Arbeit machen. Typisch Opa.

„Da hast du“: Du warst rau und fürsorglich zugleich

Du hast zusammen mit Oma in unserem Haus über uns gewohnt. Knapp 25 Jahre, bis ich aus- und mehrere hundert Kilometer in ein anderes Bundesland wegzog, haben wir also zusammen in einem Hause gelebt. Das prägt. Jeden Morgen hast du deine Runde im Garten gemacht. Blumen gegossen, Unkraut gejätet, die Katzen verscheucht. Einkaufen fahren, ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad, dann wieder etwas im Garten machen. Egal, ob nun die Sonne schien oder Regen fiel.

Ob bewusst oder unterbewusst, hat sich dadurch bei mir festgesetzt, dass man gewisse Dinge einfach macht, weil sie gemacht werden müssen. Dann hinterfragt man schlichtweg nicht, sondern erledigt sie einfach. Und manchmal noch mehr als das. Ich werde nie vergessen, dass du an manchen Tagen, wenn du gesehen hast, dass meine Mutter nicht da war und sie dadurch für meinen Vater kein Mittagessen kochen konnte, oben für ihn eine Portion extra kochtest. Natürlich völlig unnötig. Aber auch unheimlich sorgsam und lieb. Du kamst dann langsam die Treppe hinunter, in der Hand dieser kleine Topf, randvoll gefüllt mit Nudelsuppe. Noch warm hast du den Topf auf den Herd gestellt, herüber zu meinem Vater geblickt und gesagt „Da hast du“. So warst du, Opa: Rau und fürsorglich zugleich.

Auf einmal hat es dein Körper einfach nicht mehr geschafft

Jetzt bist du nicht mehr da. Du warst nie sterbenskrank, dein Tod kam plötzlich. Ich habe noch vor wenigen Wochen mit dir telefoniert, da war eigentlich alles wie immer. Ein paar Tage später kamst du mit starkem Husten ins Krankenhaus, Lungenentzündung. Dann griff diese Entzündung auf den zweiten Lungenflügel über. Dein Körper war von dem ganzen Husten und Keuchen so schwach, dass er es am Ende einfach nicht mehr geschafft hat. Das Beatmungsgerät wolltest du nicht benutzen. Logisch. Ich kenne dich doch. Ich bin mir sicher, du warst der Meinung, dein Körper hat gefälligst selbst zu atmen. Wenn er es nicht mehr schafft, ist er selbst schuld und muss mit den Konsequenzen leben. Und sei diese Konsequenz der Tod.

Es ist fast so, als hättest du es hier ohne Oma nicht mehr ausgehalten

Meine Oma, deine Ehefrau, ist noch nicht lange tot, gerade mal knapp neun Monate. Es ist fast so, als hast du es hier ohne sie nicht mehr ausgehalten. Ich bin mir sicher, kurz vor deinem Tod hast du gedacht „Resa, ich komm‘ schon.“

Über dir stehen für mich wahrlich nicht mehr viele, Opa. Würde ich an Gott glauben, wären es er, Jesus und meine Eltern. Ich weiß nicht, ob du jetzt irgendwo bist, und falls ja, wo und mit wem. Aber eins ist sicher: Sollte es dort einen Garten geben, muss sich niemand Sorgen machen, dass dort Unkraut wuchert.

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Bildquelle: stevepb von pixabay.com