Fremdgehen: Vielleicht war es keine große Sache, doch das gesellschaftliche Stigma sagt etwas anderes. Bild: Pexels

LiebesLeben: Fremdgehen – das universale Tabu?

In der allgemeinen Wahrnehmung wohl irgendwie schon. Es fängt bereits beim Wording an: Fremdgehen. Fremd-gehen. Erstens suggeriert das Wort, dass der*die Partner*in für das Vertraute, Bekannte, Heimische steht, bei dem man bleiben sollte – aber stattdessen entschließt man sich, in die Fremde zu gehen. Beim Altbekannten zu bleiben ist positiv konnotiert, in die Fremde zu gehen ist negativ konnotiert. Interessant ist auch der Wortbestandteil gehen an sich. Denn es scheint im allgemeinen Verständnis zu bedeuten, dass der*die Partner*in tatsächlich für immer geht und direkt über alle Berge ist, nur weil er oder sie mal einen Ausflug in neue Gefilde gemacht hat.

Das andere geläufige Wort fürs Fremdgehen lässt sich zwar nicht so gut in seine Einzelteile zerlegen, ist aber nicht weniger negativ konnotiert und dramatisch: Betrügen. Jemanden zu betrügen bedeutet, diese Person aufs Übelste zu hintergehen. Tut man das wirklich, wenn man mal etwas mit jemand anderem hat? Betrügt man jemanden nicht höchstens dann, wenn man ihn anschließend belügt – also verheimlicht, dass man beispielsweise eine andere Person geküsst oder mit ihr geschlafen hat? Und selbst dann gibt es noch die Möglichkeit, dass man es nicht verschweigt, weil es eine große Bedeutung hatte, sondern eben, weil es überhaupt keine Bedeutung hatte und man den*die Partner*in nicht wegen etwas absolut Unwichtigem verletzen möchte. Nicht, dass ich Unehrlichkeit befürworten würde – ich bin immer dafür, mit offenen Karten zu spielen. Aber ich finde es wichtig, auch Empathie für die Gründe aufzubringen, die Menschen haben, wenn sie ihrem*ihrer Partner*in etwas nicht erzählen. Denn gerade weil es in unserer Gesellschaft so stigmatisiert ist, jemand anderes als den*die Partner*in zu begehren, läuft man in einer monogamen Beziehung wahrscheinlich immer Gefahr, die andere Person zu verlieren, wenn sie erfährt, dass man etwas mit jemand anderem hatte.

Aber zurück zum Wording: Ein weiteres gutes Beispiel ist die Bezeichnung untreu sein. Spielen wir das Ganze doch mal durch. Angenommen, man ist seit zwei Jahren in einer Beziehung und hatte in dieser Zeit dreimal etwas mit einer anderen Person als dem*der Partner*in. Ist man denn wirklich untreu, weil man in zwei Jahren insgesamt drei „schwache“ Momente hatte? Wie lang sind zwei Jahre, und wie schwer wiegen dagegen wenige Minuten oder Stunden?

Die Wörter, die wir benutzen, um auszudrücken, dass jemand etwas mit einer anderen Person als dem*der Partnerin hatte, sind durchweg sehr negativ konnotiert und geben der Sache möglicherweise viel mehr Bedeutung, als sie letztendlich hat.