Hassobjekt: 1,60 Meter breite Matratzen, das Ende der Liebe

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: 1,60 Meter.

20 Zentimeter

20 Zentimeter trennen den Traum vom Albtraum. 20 Zentimeter Schaumstoff-Federkern-Matratze machen aus Gut Böse, aus Zukunft Vergangenheit und aus Rotwein Sangria. Die Matratze ist das Herzstück einer jeden Wohnung, ach was, eines jeden Lebens. Auf ihr verbringt man die meiste Zeit, man weint auf ihr, versinkt auf ihr in Geschichten und verliebt sich. Auf nichts freut man sich nach einem langen Tag mehr, als darauf, sich auf ihr einzurollen. Sie fängt einen auf, wenn man, etwas schummerig vom Alkohol der ersten Feier, auf sie fällt. Sie bietet den festen Boden, wenn man den seinen verliert.

1,40 ist für Nähe gemacht…

Irgendwann zerrt man sie dann aus dem Kinderbett und rein in eine erste eigene Wohnung. Da liegt sie dann, meistens etwas verloren, auf dem kalten Boden. Menschen nehmen auf ihr Platz, kommen, bleiben und gehen wieder. Man trinkt viel, raucht viel und macht sonst allerlei Dummheiten. Wie ein gutmütiger Freund bleibt sie liegen, lässt alles auf sich und mit sich machen. Irgendwann kommt dann das Menschlein, das bleiben soll. Hierfür sind die 140 Zentimeter gemacht, für Nächte in denen man so eng verschlungen schläft, dass man vergisst, wo der eigene Körper aufhört und der andere beginnt. Muss man ja auch, Platz gibt es nun mal keinen auf ihr. Zumindest nicht für zwei Personen. Keinen Platz zum Umdrehen, dafür aber ganz viel Platz für Geschichten und Abenteuer. Irgendwann möchte man das nicht mehr. Irgendwann fühlt man sich eingeengt. Deswegen steht man früher oder später im Möbelhaus und sieht sich nach Alternativen um. Es ist aber nicht nur die alte Matratze, die aussortiert wird, es ist ein Lebensgefühl. Es ist das auf dem Boden schlafen, das nicht-mehr-brauchen als die Matratze und ein Gegenüber, das sie erst bequem macht. Auch dieses Gefühl wird verbreitert, allgemeiner gemacht, ausgetreten. Angepasst an ein angepasstes Leben.

…1,60 nicht

Man möchte mehr Platz, für sich, zum Schlafen, außerdem hat der andere ja auch immer ganz fürchterlich geschnarcht. 1,60 Matratzen sind der Anfang vom Ende. 20 Zentimeter mehr und man steht bereits mit einem Bein in der Ehe und der zukünftigen Enthaltsamkeit, 160 Zentimeter, der Keuschheitsgürtel für die, die sich dem offensichtlichen Zölibat der 2 Meter Matratze noch nicht hingeben wollen, aber bereits zu spießig für 1,40 sind. Mehr Platz im Bett bedeutet mehr Platz für Entfremdung. 20 Zentimeter stehen manchmal wie eine Mauer zwischen einem. Wie sollte man mit dem Rücken zu jemandem einschlafen, wenn man dann leider aus dem Bett fällt. Bei 1,60 geht das natürlich, man kann sich einwandfrei hin- und her-wälzen, man könnte ja beinahe schon über Megaphone von den entgegengesetzten Enden des Bettes kommunizieren.

Mit 20 Zentimetern mehr beginnt die Intoleranz

20 Zentimeter befeuern die Intoleranz. Zugegeben, ständig ineinander verschlungen zu schlafen, kann die Nerven strapazieren. Den Morgenatem im Gesicht, ständige diverse Gliedmaßen an Orten, wo sie schmerzen. Auf 1,40 lautet die Devise: akzeptieren. Den anderen so annehmen, wie er ist. 1,60 ist immer auch ein Zeichen – du nervst mich. Ich brauche Abstand. 20 Zentimeter mehr sorgen dafür, dass man das Verständnis für den Anderen verliert.

1,60 ist so viel mehr als 20 zusätzliche Zentimeter. 1,60 sind Knirschschienen, Schlafanzughosen und gescheiterte Lebenspläne. 1,60 ist ein Abfinden. 1,40 schmeißt man ins Auto und fährt ans Meer. 1,60 ist hier, um zu bleiben, 1,60 hat sich festgelegt mit dieser unerträglichen Lebensegalität: das passt jetzt schon so, aber dann zumindest bequem. 1,60 hat sich aufgegeben.

1,60, die Schultüte einer Beziehung

Das Erste, was man sich als nicht-mehr-ganz-so-frischgebackenes Paar zulegt, ist eine größere Matratze. Danach kommen die erste gemeinsame Wohnung, ein Bausparvertrag, ein schönes Teeservice und Kinder. 1,60 ist der Anfang des Ernst des Lebens, ein bisschen wie die Schultüte einer Beziehung. Ist ja alles schön, gut und erstrebenswert – irgendwann. Nur ab 1,60 geht es mit der Romantik bergab. Ab hier kann es nur noch breiter werden. Darauf folgen irgendwann 2 Meter, und dann früher oder später getrennte Schlafzimmer, „was unserer Beziehung so RICHTIG gut tut!!!!“. Nein. Nein, Nein, Nein. Meinetwegen, kauft euch größere Matratzen. Gibt ja auch so viele wunderbare Dinge, wofür man sie verwenden kann. Man kann sie anstelle eines Esstisches verwenden. Man könnte sie zum Sofa umfunktionieren, oder zum Arbeitsplatz. Man kann damit anderen Menschen ein Zuhause geben. Man kann darauf für einen Marathon trainieren, Musik machen oder Bestseller-Romane schreiben. Aber bitte bleibt dabei, auf 1,40 zu schlafen.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz