Matriarchat Gesellschaft Patriarchat Gegenteil Macht

Matriarchat ist nicht das Gegenteil von Patriarchat

Von Simone Mauer

Die meisten Menschen leben in einer patriarchal geprägten Gesellschaft. Vati ist Familienoberhaupt, sorgt finanziell für die Familie, gibt den Namen an seine Nachkommen weiter und hatte zumindest in der Vergangenheit auch wirtschaftlich und gesellschaftlich ein bisschen mehr zu melden als Mutti. Patriarchat eben… klar, ist ja auch nichts Neues. Was aber soll denn jetzt genau dieses sogenannte Matriarchat sein? Weiberherrschaft – oder wie muss man sich das vorstellen?

Die Frage ist berechtigt, denn zum Thema Matriarchat gibt es nicht sehr viele Bücher oder Forschungsansätze, teils auch weil die klassische Wissenschaft das Thema in der Vergangenheit eher ignoriert hat. Matriarchat bedeutet jedenfalls nicht die Herrschaft von Frauen über Männer. Eigentlich haben es beide Geschlechter in dieser Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens ganz gut getroffen. Herrschaft und Macht spielen generell untergeordnete Rollen, daher kommt es auch zu keinen Machtkämpfen zwischen den Mitgliedern. Die Geschlechter werden gleichwertig behandelt, auch wenn sie verschiedene Aufgaben erledigen. Den Männern geht es genauso gut wie den Frauen und umgekehrt – kein Geschlecht wird als minderwertig oder weniger fähig betrachtet. Eigentlich eine ganz angenehme Vorstellung. Finden übrigens auch die wenigen Männer einer matriarchalen Gesellschaft, die ihre Form des Zusammenlebens gegenüber dem scheinbar allgegenwärtigen System des Patriarchats verteidigen.

 

Sharing is caring

 

Matriarchale Gesellschaften bauen auf dem Prinzip der Mütterlichkeit auf und halten daher besonders folgende Werte sehr hoch: Fürsorglichkeit, Pflegen, Nähren und Friedenssicherung. Kennt man ja noch von der eigenen Mama. Die hat ja schließlich auch immer gut darauf aufgepasst, dass es einem an nichts gefehlt hat. Mehr zu besitzen als die anderen ist im Matriarchat übrigens ganz und gar nicht erstrebenswert. Was dagegen immer geht, ist schenken und teilen. Aus diesem Grund wird die Anhäufung von Gütern bei nur einem Clan, nur einer Familie oder einer Person nicht gerne gesehen.  Hat eine Familie also mal zufällig ein bisschen zu viel über, wird ein großes Fest geschmissen und der Rest der Gemeinschaft eingeladen. So bleiben die Güter schön im Umlauf und keiner hat am Schluss aus Versehen zu viel oder zu wenig. Es gilt das Prinzip: Die Stärkeren helfen den Schwächeren, damit alles in Balance bleiben kann.

 

In Indonesien wird das Matriarchat gelebt

 

Die größte heute noch existierende matriarchale Gesellschaft bilden die knapp sieben Millionen „Minangkabau“ auf dem indonesischen Sumatra. Recht erstaunlich ist, dass bei ihnen die Frau eine zentrale gesellschaftliche Stellung hat und Häuser, Böden und Grund ausschließlich den weiblichen Mitgliedern gehören, sie aber gleichzeitig gläubige Moslems sind. Hört sich im ersten Moment so an, also ob das nicht zusammenpassen könnte. Die Minangkabau selbst erkennen in ihrer Kultur, die sich sehr auf die nährende Mutter Natur bezieht, und in ihrem islamischen Glauben jedoch keinen Konflikt. Das Matriarchat war zuerst da. Die Religion haben die Minangkabau erst später übernommen und dabei, wie es scheint, viel von dem, was anderswo zum Islam dazugehört, beiseitegelassen. Nach der Hochzeit in einer Moschee zieht der Bräutigam beispielsweise in das Haus der Mutter seiner Braut. Ehemänner werden von ihren Frauen daher auch „Gast in meinem Haus“ genannt. Das Prinzip, dass alle weiblichen Familienmitglieder unter einem Dach zusammen wohnen bleiben, macht einen großen Teil der Macht der Frauen im Matriarchat aus, sei es bei den Minangkabau in West-Sumatra oder in anderen matriarchalen Gesellschaften.

 

Soziale vs. biologische Vaterschaft

 

Auch im matriarchalen Zusammenleben der sogenannten Trobriander wird Mutterschaft und Vaterschaft und das Zusammenleben der Generationen anders organisiert als in westlichen Gesellschaften. Trobriander nennt man die Bewohner einer pazifischen Inselgruppe nordöstlich von Australien. Das auch bei uns bekannte Wort „Bluts“-Verwandtschaft hat bei den Trobriandern beispielsweise eine ganz andere Bedeutung: Sie glauben, dass nur die Mutter rein blutsverwandt zu ihrem Kind sein kann. Nur durch das Blut und den Körper der Mutter kann nämlich auch der neue Leib des Kindes entstehen und genährt werden. Biologische Vaterschaft spielt bei ihnen daher keine große Rolle. Viel wichtiger sind die Beziehungen zwischen Müttern und ihren Kindern oder auch Geschwistern, da sie die gleiche Mutter haben. Das bedeutet aber nicht, dass es bei den Trobriandern keinen Platz für väterliche Gefühle gibt. Die soziale oder gefühlte Vaterschaft zwischen einem Mann und den Kindern seiner Schwester ist bei den Inselbewohnern sehr wichtig, denn Bruder und Schwester haben ein und dieselbe Mutter. Die Nichten und Neffen eines Mannes sind daher wie eigene Kinder für ihn. In der matriarchalischen Gesellschaft auf den Trobriand-Inseln glauben die Mitglieder zudem an Wiedergeburt und Ahnen. Frauen und Mütter haben auch hier eine ganz besondere und zentrale Rolle: Nur sie sind in der Lage, den Geist verstorbener Ahnen in sich aufzunehmen und ihn sozusagen in einen neuen Menschen hinein zu gebären.

 

Es geht definitiv nicht um Macht

 

Gerade die Sache mit der Wiedergeburt und dem Ahnenkult hört sich ziemlich abgefahren an und auch andere Verhaltensnormen im Matriarchat sind auf den ersten Blick nicht sofort nachvollziehbar. Fest steht, dass ein Matriarchat nicht das Gegenteil eines Patriarchats ist und es nicht darum geht, dass ausschließlich Frauen das Sagen haben. Der Begriff Matriarchat stammt vom lateinischen Wort für Mutter ab. Und damit ist eigentlich schon viel gesagt: Es dreht sich alles irgendwie um Mutter Natur, um Mütterlichkeit und nicht zuletzt darum, dass die Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern sehr intensiv gelebt wird und sie daher das Zentrum des Zusammenlebens bildet. Kann man sich also was abschauen von diesem mysteriösen Matriarchat?