Narzissmus Beziehung Gewalt Psychologie Emotionen

Warum wir an Beziehungen zu Narzissten zerbrechen

„In anderen Beziehungen war ich auch genervt, ich war wütend, traurig, frustriert, alles. Aber ich war immer noch ganz. Und das ist wohl der große Unterschied. Diese Beziehung hat mich zerstört.“ Ich blicke nach rechts. In der goldenen Herbstsonne scheint die äußere Hülle unversehrt. Aber das ist auch die Krux an emotionalen Verletzungen – es bilden sich keine Schrammen auf der Haut, keine dunkelvioletten Blutergüsse überziehen Gliedmaßen. Und doch erzählt mir mein Gegenüber von emotionaler Gewalt, Abhängigkeit und einer Beziehung mit einem Narzissten.

Spieglein, Spieglein an der Wand

Selbstverliebtheit, Egozentrismus, Größenwahn – das sind die Charakteristika von Narzisst*innen. Wegen der Abwesenheit eines aus sich selbst heraus konstruierten Selbstbildes, wurde dies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als pathologische Störung verstanden. Erst durch den Spiegel der Gesellschaft bekommen Narzisst*innen ein Konzept von sich selbst. Deswegen brauchen sie die ständige Bewunderung und das Lob von außen, der kleinste Funken Kritik würde die ideale Fassade bröckeln lassen.

Gleichzeitig, um dieses zerbrechliche Bild zu schützen, gehören Aggression und Selbstüberhöhung zu den Symptomen der Störung. In Kombination mit fehlender Empathie– Narzist*innen sind schließlich die Sonne, um die sich alles dreht – leiden vor allem ihre Nächsten emotional darunter.

Wenn ein Mensch zur Droge wird

Doch was heißt das nun für die Liebe zu so jemandem? Gewalt in Beziehungen ist nach wie vor ein Tabuthema. Erst recht, wenn die Misshandlungen psychisch sind, kann die Umwelt mit diesen nebulösen, unsichtbaren Wunden schwer umgehen. Es gibt wohl keinen Gradmesser dafür, wann etwas schmerzhaft oder zerstörerisch ist, wenn man die Scherben nicht sieht. Dazu kommt, dass Grausamkeiten selten mit ausgeschlagenen Zähnen und Veilchen beginnen, sondern mit Hochgefühlen und einem intensiven Liebesrausch. So erinnert sich mein Gegenüber daran, dass die Anfangsphase der reinste Honeymoon war. Fantastischer Sex, Komplimente, Aufmerksamkeit, spannende Aktivitäten, Endorphine, das Objekt der Begierde wird zur ganz persönlichen Glücksdroge.

Dr. Heinz Golling, Psychotherapeut in München, sieht in solchen absoluten Verschmelzungen das Problem. Diese Phase der Rauschhaftigkeit und Faszination suggeriert, dass zwei Individuen vollends ineinander verschmelzen. Gefunden haben sich allerdings nur psychische Komplementäre, die sich durch die Beziehung ganz und glücklich fühlen. Hilflose Prinzessin trifft Prinz, der sie vor Ungeheuern und Verantwortung rettet, ist so eine Kombination. Oder Mutter Theresa und Bad Boy. Doch wie jede Phase endet auch Wolke 7 irgendwann, der öde Alltag wird Realität und die Idealisierung zerbricht. Zurück bleibt eine narzisstische Kränkung und die Sehnsucht nach einem Wunschzustand, der sich aber einfach nicht mehr herbeizaubern lässt. Schuld daran ist dann natürlich der andere. Wer sich selbst eher als Masterpiece versteht als als unperfekt-perfekte Skizze, sieht den Handlungsbedarf ganz klar beim anderen.

Eine Beziehung mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Diese Schuldzuweisungen sind der Grund für die darauf folgenden emotionalen Misshandlungen und Verletzungen. Das Waffenrepertoire ist dabei bunter als jedes Supermarktregal: von offener Aggression, Liebesentzug und Abwertungen, über Beleidigungen, Manipulationen und Lügen, bis hin zu Isolation, passiv-aggressivem Verhalten und Abhängigkeit.

In der Retrospektive ist allerdings das omnipräsente Zweifeln an der Realität am schlimmsten für mein Gegenüber. „Es ist das Gefühl von Kaugummi im Kopf. Alles ist zäh und klebrig, und man weiß schon lange nicht mehr, was richtig oder wahr ist.“ Diese Partnerschaften werden so zur realen Interpretation der Stevenson-Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Denn während in der Öffentlichkeit alles perfekt scheint, können die eigenen vier Wände zur persönlichen Hölle werden. Gegebenheiten werden unterschiedlich erinnert. Und irgendwann ist nicht mehr klar, wer hier wen manipuliert: Ist es der oder die Partner*in, die hier Misstrauen sät, oder gönnt das Umfeld einem nur nicht diese Liebe?

Egal, ob jemand täglich das Blut vom Fußboden wischt oder die Scherben seinen eigenen Egos zusammenkehrt – wer sich selbst in einer Gewaltbeziehung findet, sollte natürlich Hilfe und vor allem das Weite suchen. Der erste Schritt ist dabei überhaupt zu erkennen, dass emotionale Misshandlungen nicht Teil einer Partnerschaft sein sollten und man stattdessen wieder eine eigene, gewaltfreie Version von Normalität findet.

Warum Identitäten am Beziehungsende zerbrechen

Doch trotz aller guter Ratschläge und aller Wunden ist es schwer, sich aus diesen Beziehungen zu lösen. Dr. Heinz Golling erklärt im Interview mit ZEITjUNG, dass in diesen Gewaltbeziehungen beide Partner*innen narzisstische Anteile haben. Das Gefühl von Ganzheit und die Überwindung der inneren Leere werden scheinbar innerhalb der Beziehung überwunden. Doch deshalb fühlt sich jede Trennung wie das emotionales Zerbrechen der eigenen Identität an.

Anstatt zu sagen, dass wir an Beziehungen kaputt gehen, wäre es demnach korrekter zu fragen, ob wir jemals komplett waren. Und das ist vielleicht ein grundsätzlicher Gedanke, um sich gegen die pandemische Ausbreitung narzisstischer Tendenzen aufzulehnen: Wie können wir lernen, mehr bei uns zu sein, uns mehr aus uns selbst heraus zu definieren als über unsere Umwelt und ihre Reaktion auf uns?