Pferderennen Girls

Selbstversuch: Pferderennen als letzte Bastion der Dekadenz?

Von Verena Schöbel

Pferderennen also. Eine der letzten Hochburgen feiner Noblesse, wo opulente Kopfbedeckung, Monokel und Fächer noch nicht aus der Mode sind, wo sich die höheren Gesellschaften auf einen Earl Grey oder einen Schampus treffen, wo das Geld so schnell die Besitzer wechselt wie die Pferde ins Ziel laufen. So zumindest in der Vorstellung, wenn man noch nie auf einem Pferderennen war. In diese Kategorie fiel ich bis zu diesem Sonntag.

Eine Fahrt zur Galopprennbahn Hoppegarten vor den Toren Berlins dauert gut 30 Minuten, man fährt durch Vororte, Einöde, vorbei an vielen Feldern. Am Bahnhof angekommen machte sich erstmal Enttäuschung breit: Horden von sichtbar wohlhabenden Mitfünfziger-Pärchen mit fulminanten Hüten und Anzügen habe ich erwartet, bekommen habe ich Familien mit Bumbum-Eis und Trekkingsandalen, bewaffnet mit Picknickdecken und Sonnenschirmen. Nun gut, die deutsche High Society fährt sicherlich nicht S-Bahn und Hoppegarten ist nicht in Ascot. Erstmal ankommen.

 

Mit der Kutsche zum Edeka

 

Auf dem Weg zur Rennbahn traben zwei Mädchen mit ihren Pferden an unserer Gruppe vorbei, Bibi und Tina, es ist alles wahr. Diese Stadt lebt den Pferdesport, denke ich mir, hier scheint das Pferd, die Kutsche, noch ein adäquates Fortbewegungsmittel zu sein, mit dem man auch mal beim örtlichen Edeka vorbeischaut, hier baut niemand nachmittags nach der Schule Mist, hier wird ausgemistet.
Das gesamte Gelände der Galopprennbahn umfasst 4,3 Quadratkilometer, das ist so groß wie die komplette Insel Reichenau im Bodensee, nicht dass ich da schon mal gewesen wäre. Es ist jedenfalls sehr, sehr groß. Ein riesiges Fressbuden-Areal, eine Kinderzone mit Ponyreiten und Hüpfburg, etliche Wettannahmebuden, die Besuchertribüne, die VIP-Tribüne, die Rasen-Stehplätze sowie die Picknickwiese direkt an der Rennstrecke. Wir entscheiden uns für Picknick, wir haben ja nicht umsonst die gute Bowle dabei und im Sitzen lässt sich auch viel besser das Programmheft mit Wettanleitung studieren.

 

„50 Euro auf Fantasia the Dutchess III bitte!“

 

Als Neuling im Pferde- und Wettgeschäft stellte ich mir Pferdewetten ungefähr so vor: Man geht zum Schalter, sagt etwas wie „50 Euro auf Fantasia the Dutchess III bitte“ und geht mit viel Glück als reicher Mensch nach Hause. Die Realität holt mich leider ein und sie ist sehr anstrengend. Wettscheine müssen ausgefüllt werden, die mich im ersten Moment an meine Steuererklärung erinnern und die war nicht schön. Ich lasse mir von erfahrenen Spielern die zwei simpelsten Varianten der gefühlt 387 Wettoptionen erklären, die Sieg- und die Platzwette, und belese mich parallel im Programmheft.

Acht Rennen gibt es an diesem Tag zu sehen. Euphorisch setze ich fulminante zwei Euro auf „Kimberley’s Dream“, eine Stute, die man laut Programmheft „nicht unterschätzen darf“. Das klingt schwer nach Geheimtipp. Kimberley’s Dream hat leider nicht so Bock und landet knapp hinter „Global Love“, Tochter von „Global Beauty“, auf dem vierten Platz. Bei den Pferden ist es scheinbar wie bei den Kardashians, der Vorname muss schon deutlich machen, zu welchem Clan man gehört.

 

Wie Spielsucht funktioniert

 

Vierter Platz, nun gut, beim nächsten Mal klappt es bestimmt besser, denke ich und merke jetzt schon, wie Spielsucht funktioniert. Während ich neben einer Kolonie aus behüteten Rentnern an meiner Bowle nippe und meinen Schein ausfülle, läuft schon das nächste Rennen. Elf Pferde rasen an uns vorbei. Mit 30 Sekunden Abstand hechtet das zwölfte hinterher, der Sattel hängt schief zur Seite, es hat seinen Reiter irgendwo im „Dahlwitzer Bogen“ abgeworfen. Ein Raunen geht durch die Menge. Doch Entwarnung: Jockey Andrasch Starke, wohl ein Star der Szene, sitzt im nächsten Rennen schon wieder im Sattel eines anderen Pferdes. Die Einheit von Pferd und Reiter, das eingespielte Team, welches sich blind vertraut – es ist ein Mythos. Hier reitet jeder mit jedem, ein treuloses Business.

Rennen Nummer Fünf. Ich setze drei Euro, diesmal auf zwei Pferde, Auenstern und Silvery Moon. Die Experten, die im Programmheft zu Wort kommen, sehen beide ganz klar im „Endkampf“. Ein paar Minuten später laufen beide als letzte ins Ziel. So langsam keimt der Verdacht auf, dass dieses Programmheft nur geschrieben wurde, um naiven Wettanfängern wie mir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Es funktioniert blendend. Auch in den nächsten Rennen setze ich unbedarft weiter und werde heute mit 0 Euro Gewinn nach Hause gehen.

 

Hoppegarten, was warst du schön

 

Der wahre Kenner, so wird mir erklärt, wettet sowieso nur auf das Hauptrennen. Es ist heute das sechste Rennen, der „Große Preis von Berlin“. Neben mir steht ein nahezu kurios schlecht gekleideter Herr mit einer Currywurst in der Hand und einem Mini-Sonnenschirm auf dem Kopf. Ich dachte diese Symbiose aus Hut und Schirm, die irgendwie an eine Ballermann-Bierdosen-Konstruktion erinnert, sei schätzungsweise 1997 ausgestorben, der Anblick macht mich betroffen.

„Ädväntscha macht det“, sagt dieser scheinbare Kenner der Szene. Er meint „Amorous Adventure“, ein Pferd, das überhaupt nicht danach aussieht, auch nur irgendein amouröses Abenteuer bisher erlebt zu haben. Es trabt gelangweilt Richtung Startbox und wird ein paar Minuten später vorletzer werden. Wer kann es dem Tier verübeln, bei 34 Grad und keinem Fleckchen Schatten. Wir sehen uns mitleidig an. Rennen Nummer sieben, es wird mein letztes an diesem Tag. Noch einmal schnell an den Fressbuden eindecken, 14 Mini-Donuts für drei Euro, da kann man nicht meckern, dazu einen Eiskaffee, der nach Schlamm aussieht. Ich setzte auf ein Pferd mit dem völlig absurden Namen „Fair Trade“, was angesichts der in dieser Branche üblichen Summen, die für so ein Tier über den Ladentisch gehen, fast schon eine sympathische Selbstironie beinhaltet.

Namenstechnisch bietet diese Runde nochmal so einiges: „Fair Trade“ muss sich gegen „Angel Moon“, Sohn von „Angel Dragon“, und „Flying Dreams“, Tochter von „Flying Wings“, durchsetzen. Wenige Chancen werden dagegen dem Hengst „It’s A Privilege“ ausgerechnet, der extra aus den Niederlanden angereist ist. Es bleibt vergebens: Angel Moon gewinnt und verweist damit auch Fair Trade auf den zweiten Platz. Ich fahre knapp 15 Euro ärmer nach hause, aber Hoppegarten, was warst du schön.

Hier könnt ihr euch noch die Bilder anschauen: