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Wieso Rechtschreibung verdammt sexy ist

Eigentlich ist die Welt sehr gut geordnet, zumindest in Deutschland. Auf manche Dinge hat man sich mit der Zeit einfach geeinigt: Die mit dem schrecklichen Dialekt leben im Osten, der Rest im Westen. Der Sandmann ist gut, Hitler böse. Morgens Aronal, abends Elmex. Sollen wir weitermachen? Brüste: hot. Schwarzbrot: not. Uniformen sind sexy – die Einheitstristesse von Bibliothekarinnen definitiv nicht. Und schreibt jemand „Ich hasse Hassen“, ist das eben nicht das Gleiche wie „Ich hasse Hasen“; ein einziger scheuer Buchstabe kann aus einem konfrontationsscheuen Philanthropen einen Tierquäler machen. Rechtschreibung hält unsere Sprache im Zaum. Doch auch da herrscht Konsens: So sinnvoll sie sein mag, richtig attraktiv ist diese Korinthenkackerei nicht. Der Duden hat den Sexappeal eines Ziegelsteins. Oder der Ziegelstein den eines Duden?

Ein Liebesbrief an alle Grammar Nazis und Kommapolizisten

Stopp! Hier muss endlich jemand eingreifen. Das Image der Orthographie – nicht zu verwechseln mit Ornithologie, ihr wisst schon, das mit Vögeln – muss endlich abgestaubt werden! Wer schon einmal eine SMS bekommen hat mit der Frage, ob sich das „süse Girl“ von gestern Abend denn nicht mal auf einen Kaffee treffen will, wird mir zustimmen, dass eine korrekte Schreibweise sogar verdammt sexy ist. Leute, die dir Nachrichten noch in Groß- und Kleinschreibung und fehlerfreier Interpunktion schicken, sind eine aussterbende Rasse; heutzutage kann man sich doch über jeden freuen, der noch in ganzen Sätzen schreibt. Und genau deshalb gilt es jetzt, den Ruf der Rechtschreibung systematisch zu restaurieren.

Das hier geht an alle leidenschaftlichen Grammar Nazis und Kommapolizisten, an alle Pioniere der Orthographie, die jeden Tag kämpfen gegen die Smiley-Inflation in deutschen Chatverläufen! Das hier ist ein Liebesbrief an die Rechtschreibung. In Rechtschreibung (uh, so meta).

Vom orthographischen Rülpser und anderen Verbrechen

Die Täterprofile sind dabei so vielgestaltig wie ihre Vergehen: Es gibt den Klassiker – den Fall nämlich, das man „das“ und „dass“ verwechselt und sich dass auch nicht merken wird, egal wie oft ein Klugscheißer entsprechende Webseiten (www.dasdass.de) unter seinen Beitrag postet. Es gibt diejenigen, die Präpositionen kategorisch aus ihrem Wortschatz streichen, besonders gut lässt sich das in der Nähe von Burger King und Bahnhöfen beobachten, wo sich halbstarke und vollpubertierende Capträger ihre Satzfetzen vor die Füße werfen wie vergammeltes Hackfleisch: „Gehst du heute Fitness?“ – „Nee (Digga), bin Fahrschule!“ Es gibt die Leute, die Doppel-, Trippel-, ja sogar Quadrupel-Ausrufezeichen benutzen und immer den Anschein machen, als seien sie ständig aufgeregt, euphorisch oder hätten Blutdruck auf Hundertachtzig, das macht mich wahnsinnig!!! Im achtzehnten Teil der Scheibenwelt-Romanreihe von Terry Pratchett wird einer der Charaktere durch ebensolche Satzzeichenvergewaltigung irritiert und bemerkt: „A sure sign of someone who wears his underpants on his head“. Und noch schlimmer als gar keine Interpunktion sind eigentlich nur die Leute, die eine Handvoll Kommata scheinbar beliebig zwischen ihre Sätze streuen und einem dann Phrasen präsentieren, deren Rhythmus sich liest, als säße man auf einer jahrhundertealten transsibirischen Eisenbahn. Wie kommen manche Menschen nur darauf, penetrant Als-Sätze zu kommatieren? Nichts ist störender, als ein Komma mitten im Satz – ich nenne es liebevoll den orthographischen Rülpser.

Und wer schließlich erkannt hat, dass ihn die deutsche Rechtschreibung gnadenlos zu Boden zwingt, sieht bunte Bildchen und zähnebleckende Zwinkerfratzen als letzten Ausweg und läuft in der Smileyleiste seines Messengers Amok. Anders kann ich mir den aufgeregten Analphabetismus mancher Emoticon-Liebhaber zumindest nicht erklären. ;) Vielleicht ist die deutsche Grammatik so verdammt kompliziert, um die Spreu noch vor dem Inhalt auszubremsen.

Die Schönheit der Rechtschreibung

Aber apropos Inhalt – um vom Hasspamphlet endlich zur versprochenen Ode zu kommen: Die deutsche Sprache mag sperrig sein und verwirrend, sie ist manchmal unübersichtlich und die Rechtschreibung macht es einem nicht immer leicht, alle Wörter gleicherweise zu mögen (Fronleichnam zum Beispiel, das ist nicht „Froher Leichnam“ und man wünscht sich dementsprechend an diesem Tag auch nicht „Happy Skelett“). Doch so muss es nicht sein, es ist wie immer im Leben alles eine Frage der Perspektive. Wer damit umgehen kann, ist ähnlich sexy wie jemand, der mühelos mit einer Bohrmaschine hantiert oder Fußbälle dantelt. Rechtschreibung ist nichts Streberhaft-konservatives, sondern zeigt, dass der Andere nicht nur halbwegs intelligent ist, sondern sich für sein Gegenüber auch die Zeit nimmt, seine Gedanken ordentlich zu verpacken.

Wer sich darauf einlässt, wird sie irgendwann alle dressieren können: den Schrägstrich, der sich träumerisch auflehnt gegen das Chaos dieser Welt. Die Kommata, die durch Sätze fliegen wie schwirrende Ordnungshüter. Aufgewühlte Ausrufe- und ratlose Fragezeichen. Bindestriche, die beziehungsscheuen Satzgliedern ein bisschen Raum geben, anhängliche Klammern und kompromissbereite Semikola; den immer ein bisschen versnobten Apostrophen und all die Lücken und Leerzeichen.

Den Punkt, der allem so wunderbar bestimmt ein Ende setzt.

P.S.: Natürlich sind wir uns hier bei ZEITjUNG bewusst, dass ein Liebesbrief an die Rechtschreibung ziemlich hohen Druck auf uns ausübt. Falls ihr auf dieser Seite Rechtschreibfehler findet, ist das stets nur zu eurer Sicherheit – wir geben uns damit zufrieden, nur zu 90 Prozent unwiderstehlich sexy zu sein. Für die viele Fanpost hätten wir nicht genug Praktikanten.