Projekt A

Anarchismus kann mehr sein als ein Anarcho-A an einer Wand

Beim Wort Anarchismus denke ich an das „Anarchismus-A“, das auf Stromkästen und auf Züge geschmiert ist und an schlecht gelaunte Punks mit grünen Irokesen und Doc Martens, die am Bahnhof Dosenbier trinken. An Jugendliche, die alles scheiße finden und randalieren, weil es zu ihrer Attitüde passt. Mein Bild vom Anarchismus ist also eindeutig negativ behaftet.

Den Anarchismus als Lebensentwurf und eine Bewegung, die wirklich etwas verändern will, habe ich nicht wirklich auf dem Schirm. Mit dem weit verbreiteten Bild des Anarchismus als pubertäre Phase und chaotische Aggressivität wollen Marcel Seehuber und Moritz Springer aufräumen. Projekt A, der Dokumentarfilm der beiden Regisseure „eröffnet viel mehr den Blick auf eine Bewegung, die das Unmögliche fordert, an den Grundfesten unserer Gesellschaft rüttelt und gerade deshalb das Augenmerk auf zentrale ungelöste Fragen unserer Zeit lenkt. Der Film handelt von einer politischen Bewegung, ihrer Theorie und den Menschen, die sich für deren Verwirklichung einsetzen.“

Seehuber und Springer nehmen uns in ihrem Film mit zum Internationen Anarchistischen Treffen in der Schweiz, zeigen uns Aktivisten, die gegen Atomkraft und das kapitalistische Bankensystem ankämpfen, verschiedene anarchistische Projekte in Spanien und Griechenland, aber auch solidarische Landwirtschaften, wie das Kartoffelkombinat in München, die mit Anarchismus auf den ersten Blick nicht wirklich viel zu tun haben.

 

Anarchismus als Befreiungsschlag?

 

„Anarchie ist, wenn kein Mensch über den anderen herrscht“, drückte Horst Stowasser es einfach aus. So weit, so gut. Wieso ist das Thema aber auf einmal wieder relevant? „Ich glaube, es treibt ganz viele Menschen das Gefühl um, dass unsere Welt im Argen liegt und dass es ganz viele Dinge gibt, die nicht richtig laufen. Man fragt sich natürlich, wie man die Dinge anders machen kann. Der Anarchismus ist da ein sehr reizvoller Ansatz, weil er das System an sich in Frage stellt und das natürlich erstmal einen großen Raum öffnet und wie eine Art Befreiungsschlag sein kann“, erzählt Moritz Springer im Gespräch mit ZEITjUNG.

Ist die Idee einer anarchistischen Lebensweise in den letzten Jahren also populärer geworden? Die Regisseure finden: Ja. „In Griechenland kann man das sehr genau sehen, dass die Bewegung seit 2008 sehr sehr stark gewachsen ist, da gibt’s eine große, junge anarchistische Bewegung. Man sieht es natürlich auch an dieser Vielzahl an Projekten, wenn du zum Beispiel das Mietshäuser Syndikat nimmst oder dir die solidarischen Landwirtschaften anschaust. Ich denke, dass man das schon ganz klar so sagen kann.Der Begriff des Anarchismus ist außerdem ein bisschen salonfähiger geworden. Es gibt mehr Leute, die sich dazu „outen“ und auch in der Presse wird der Anarchismus nicht mehr nur mit dem steinewerfenden Punks in Verbindung gebracht“.

Jetzt könnte man meinen, dass des anarchistische Lebensideal eigentlich nur in Ländern wie Griechenland und Spanien Anwendung findet, wo die Arbeitslosenquote über 20 Prozent liegt und die Stimmung in der Gesellschaft sehr angespannt ist. Dort wäre natürlich der Druck, etwas verändern zu müssen, größer, sagen Marcel und Moritz. „Aber auch in Deutschland ist es ja so, dass die Art des Lebens nur manche zufriedenstellt.“ Das stimmt wohl. Wir arbeiten fünf Tage die Woche von morgens bis abends, um konsumieren zu können, sitzen abends vor dem Fernseher und gehen am nächsten Tag wieder in die Arbeit. Viele von uns sind überlastet, die meisten leben nur fürs Wochenende. Haben wir also keinen Anlass zum Anarchismus? „Die Gründe, warum man hier in Deutschland eine solidarische Landwirtschaft macht, ist vielleicht nicht der, dass man es sich im Supermarkt nicht leisten könnte, sondern es sind andere Gründe. Aber passieren tut auch in Deutschland, der Schweiz oder Holland viel“.