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Alltagsrassismus: „Wo kommst du (wirklich) her?“

Man nehme einen beliebigen Ort, eine beliebige Tageszeit, einen beliebigen Wochentag und lasse zwei Menschen das erste Mal miteinander kommunizieren. Jedes Mal aufs Neue erlebt man dann wie sich der Vorhang für die eigene Selbstinszenierung hebt. Wie versucht wird, das, was man Charakter und Persönlichkeit nennt, durch unsere Materialität – in meinen Augen alles schöne, einzigartige Körper – ins beste Licht zu rücken.

Bühne auf für die Glanzlichter des Studiums, die Eskapaden der Nacht oder auch sonst alles, was uns zwischen Gut und Böse als interessante Individuen auszeichnet, mit dem wir uns identifizieren lassen wollen. Und zwischen dem Auschecken des Beziehungsstatus und philosophischem Gelaber versteckt sich Frage 3 aus dem Handbuch für Small Talk „Und wo kommst du eigentlich her?“.

 

Aber ich meine, wo kommst du wirklich her?

 

Und dann steht diese so lapidar hineingeworfene Floskel mitten zwischen mir und dem anderen, zum 4388 Mal in meinem Leben. Ich – gut sozialisierte Bürgerin – weiß natürlich worauf diese Frage abzielt: auf die absolute Verwirrung über meine Person und die Identitätsverknüpfung mit einer biografischen Herkunft.

Man könnte mit der im Ausweis stehenden Adresse antworten, der Wohnung in die man heute eventuell zurückkehren wird. Oder mit dem Ort, an dem man aufgewachsen ist. Oder mit jenem, an dem man geboren wurde. Oder mit dem Land, das die Eltern einst verließen, in dem sie geboren wurden, in dem sie sich kennengelernt haben. Oder mit der Region, die für den eigenen Akzent verantwortlich ist. Selten ist der geografische Punkt auf jede dieser Teilfragen der Gleiche. Wie oft war meine Wahl, meine Antwort, unbefriedigend. Aber ich meine, wo kommst du wirklich her? Oder wo kommen deine Eltern her?

 

Ist Herkunft und Heimat das Gleiche?

 

Aber so ein bisschen Bedeutungsoffenheit, das ist doch nett und kribbelnd und macht so ein Kennenlernen aus? Nein, diese Frage hat nichts mit einem netten Flirt und Interesse zu tun. Denn sie wird gestellt, weil mindestens Exotik, ein Euphemismus für Fremdheit, vorausgesetzt wird. Man katapultiert seinen Smalltalk quasi direkt in die Zone eines alltäglichen Rassismus. Irgendwie unangebracht, wenn man bedenkt, dass jede fünfte Person in Deutschland einen so genannten Migrationshintergrund hat. Und eigentlich sind wir alle inzwischen so mobil, dass kaum jemand noch dort lebt, wo er auch geboren wurde.

So unschuldig, so charmant man seine Neugierde auch verpackt, streng genommen ist das immer noch ein Artefakt eines Rassegedankens, in dem Deutschland nur blond und blauäugig zu sein hatte. Herkunft kann Identität bedeuten, aber Identität bedeutet oft viel mehr als eine geografische Stecknadel auszusagen vermag. Die Gleichung Herkunft = Heimat = Ich ist zu simpel.

 

Wo gehen wir hin? Wo treiben wir hin?

 

Und in diesen ersten Momenten eines Kennenlernens, willst du dich sicherlich nicht als rassistischer Neandertaler outen, sondern viel mehr wissen, wer dein Gegenüber ist. Aber dann frag auch: Wer bist du? Ich weiß, dass Kennenlernen manchmal einem Eiertanz gleicht, den wir mit banalen Choreografien zu meistern versuchen. Aber trotzdem würde ich mir mehr Sensibilität für die kleinen Details und Wendungen in Gesprächen wünschen.

Denn würden wir uns eher darüber unterhalten, wohin wir gehen wollen – in diesem Moment, in unserem Leben, vielleicht sogar gemeinsam, wohin uns unsere Werte und unsere Sehnsüchte treiben – und nicht woher wir kommen, dann haben wir die Möglichkeit uns wirklich kennenzulernen und nicht nur Bilder von imaginären Landkarten abzugleichen.

 

Bildquelle: Lilit Matevosyan via cc0 Lizenz

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