Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.

Von Lena Jarzyna.

Der Schweiß tropft mir von der Stirn auf mein Notizbuch. Immer wieder fliegt dieselbe nervige Fliege um meinen Kopf. Meine Kehle ist trocken, was ich nicht ausschließlich der letzten Partynacht zuschreibe. Sondern auch der schwülen, heißen Luft hier oben im Norden Thailands. Dementsprechend mühevoll ist es, den Worten des Mönches, der vor mir sitzt, die nötige Aufmerksamkeit entgegen zu bringen.

Die Frage nach dem Warum, ist überflüssig

Phra KK (Phra ist thailändisch und bedeutet Mönch) sitzt im Schneidersitz, in seinem traditionellen orangefarbenen Mönchsgewand vor uns – einer Gruppe von circa 20 Leuten, die alle an der Meditationslehre interessiert sind. Einige haben schon Jahre lange Erfahrung, andere wollen zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum meditieren, so wie ich. Eine Woche werde ich die Vipassana Meditation praktizieren. Warum ich das mache, wurde ich eigentlich von niemandem gefragt und darüber bin ich auch froh. Meditation ist etwas sehr persönliches. Eine Zeit, in der ich mich ausschließlich mit mir beschäftige, meinen Gefühlen, Emotionen und Gedanken. Meinen Geist befreie, mein mentales Gleichgewicht wieder herstelle und Ruhe finde.

Die goldenen Regeln

KK führt uns in die Grundkenntnisse des Buddhismus ein. Er erklärt, dass er kein Lehrer ist und auch den Buddhismus nicht lehrt, er teilt lediglich seine Erfahrung. Eine sehr schöne Ansicht wie ich finde. Es gibt drei wichtige Regeln, an die sich jeder Buddhist hält und nach denen jeder Mensch leben sollte.

Richtig sprechen. Du sollst die Wahrheit sagen und du sollst auf die richtige Wortwahl achten im Gespräch mit deinen Mitmenschen.
Richtig handeln. Behandle dich selbst und deine Mitmenschen mit Respekt und Güte. Versuche immer dein bestes Ich zu sein.
Richtig leben. Ernähre dich vegan, nimm keine Drogen oder Genussmittel zu dir und beschränke dich nur auf das Nötigste an materiellen Dingen.

Den „monkey mind“ zur Ruhe bringen

Abschließend können wir Fragen stellen für die sich der Mönch viel Zeit nimmt. „Jetzt könnt ihr noch miteinander reden, aber sobald wir in den Bergen in der MCU Buddhist University ankommen, werdet ihr schweigen“. KK lächelt freundlich in die Runde und erfreut sich offensichtlich an den leicht skeptischen Blicken, die wir uns alle gegenseitig zuwerfen. „Ihr müsst euren „monkey mind“ zur Ruhe bringen. Heute haben wir alles im Überfluss, nur keinen Seelenfrieden. Kein Handy, kein Laptop, keine Musik, keine Gespräche. Nur du und dein Geis, im Einklang. Ihr werdet sehen.“ Okay. Ich versuche in Gedanken die Stunden zu zählen, die ich am Tag mit Social Media verbringe und komme sehr schnell zu dem Entschluss, dass mir ein radikaler Entzug vermutlich mal ganz gut tun wird.

Ruhe, bitte!

Nach der allgemeinen Fragerunde geht unser Trip los, wir verlassen Chiang Mai und fahren etwa eine Stunde, beengt im Tuk Tuk gen Norden. Dort angekommen, treffen wir einen weiteren Mönch mit dem Namen Son. „Ab jetzt bitte nicht mehr sprechen, es ist sehr wichtig, dass alle schweigen“ bittet KK uns nochmal und Son bekräftigt durch ein Nicken die Aussage des alten Mönches. Dann werden wir auf unsere Zimmer verteilt, Frauen und Männer schlafen getrennt. Ich teile mir ein Zimmer mit Arica aus Hawaii. Mehr erfahre ich erst mal nicht über meine Zimmergenossin, da wir uns für die nächsten Tage anschweigen werden. Die Zimmer sind sauber, mit eigenem Bad und dem nötigsten ausgestattet. Die Mönche händigen uns noch Kleidung aus – wir tragen alle einheitlich weiß. Etwas später ertönt ein Gong, der jedes Mal erklingt, wenn wir zum meditieren gerufen werden. Wir nehmen auf Sitzkissen in einem großen Raum Platz. KK und Son erklären, dass es drei verschiedene Arten der Meditation gibt. Sitzend, liegend und gehend. Bei der Meditation im Sitzen, mit der wir beginnen, soll ich mich auf meine Atmung konzentrieren, versuchen den ganzen Lärm und die ablenkenden Gedanken zu ignorieren. Schon nach den ersten drei Minuten blicke ich zur Uhr und frage mich bereits das erste Mal was ich hier eigentlich mache. Ich bin von mir selber genervt, rutsche auf meinem Kissen hin und her, meine Beine sind eingeschlafen und mein Rücken tut weh. Ich meditiere weiter, und weiter, versuche mich auf meine Atmung zu fokussieren. Nach einer halben Stunde endlich die erlösenden Worte von KK, dass wir unsere erste Runde Meditation überstanden haben. Wirklich entspannt fühle ich mich danach nicht, aber wie so vieles im Leben will auch die Meditation geübt sein. Abschließend Chanten wir alle zusammen. Wir singen buddhistische Lieder und Mantras. Der ganze Raum ist erfüllt und eine zauberhafte Stimmung entsteht.
Unser Abendessen nehmen wir in getrennten Räumen von den Mönchen zu uns. Uns wird erklärt, dass Mönche nicht essen um Freude dabei zu verspüren, sondern um ihren Körpern nur das Wichtigste zukommen zu lassen. Okay, dafür bin ich ein viel zu großer Fan der europäischen Esskultur, als dass ich nach diesem interessanten Grundgedanken langfristig leben könnte. Es ist komisch mit all diesen Menschen aus der ganzen Welt in einem Raum zu sitzen und keiner sagt ein einziges Wort, hier und da mal ein verlegenes Lächeln, aber das war es dann auch schon. KK erklärt uns anschließend noch bei einer Tasse Tee, dass wir am nächsten Morgen um fünf Uhr aufstehen, eine kurze kalte Dusche nehmen sollen, um unseren Geist aufzuwecken und uns dann zum meditieren treffen. Danach gibt es den Almosengang, was das bedeutet erfahren wir am nächsten Morgen.
Punkt fünf Uhr läutet der Gong, eine kurze kalte Dusche später, versammeln wir uns alle wieder zum meditieren. 30 Minuten lang. Dieses Mal fällt mir die Meditation schon viel leichter, was auch daran liegen könnte, dass ich noch halb schlafe. Kurz bevor ich dann tatsächlich einschlafe, gehen wir nach draußen in den großen Innenhof. Die frische Morgenluft tut gut, die Vögel zwitschern bereits, die Sonne geht langsam auf und die Welt ist noch ruhig. KK und Son bekommen von uns Schalen mit Reis oder Bananen gereicht. Mönche sind auf sogenannte Almosen angewiesen, da sie kein Geld verdienen dürfen. Sie genießen aber hohes Ansehen bei den Einwohnern. Diese geben den Mönchen gerne Essen und kleine Geschenke, im Gegenzug hoffen sie auf gutes Karma. Anschließend gehen auch wir Frühstücken.
Nach einer kurzen Pause, erklärt uns KK wie wir im Gehen und im Liegen meditieren. Beim Gehen ist es besonders wichtig, dass wir sehr aufmerksam in unseren Bewegungen sind, nicht dass wir aus Versehen auf eine Ameise oder so treten. Also gehe ich in Zeitlupe und barfuß über den noch kühlen Boden und wenn ich auf einen spitzen Stein trete, dann harre ich trotzdem in dieser Bewegung aus. Disziplin ist ein wichtiger Bestandteil des buddhistischen Gedankenguts.
Im Liegen zu meditieren gefällt mir am besten, ist aber nur sinnvoll, wenn ich hellwach bin. Die Verlockung einzuschlafen, ist einfach zu groß. Ich liege ganz gerade auf dem Boden und bewege mich nicht, meine Aufmerksamkeit gilt wieder meiner Atmung. Den restlichen Tag verbringen wir mit Mediation und Chanten, dann gibt’s Abendessen und am nächsten Tag das Gleiche. Eigentlich meditieren wir jeden Tag von morgens fünf Uhr bis abends neun Uhr und sonst haben wir nicht viel zu tun. Also schreibe ich in mein Buch, gehe spazieren oder entspanne.

Was ist deine Dharma?

Trotzdem bin ich irgendwie unruhig und habe das Gefühl, dass ich nicht abschalten kann, also suche ich am dritten Tag das Gespräch mit KK. Wir dürfen zwar nicht untereinander reden aber wenn wir Fragen haben oder Hilfe brauchen steht uns KK zur Seite. „Wie schaffe ich es, dass ich mich besser konzentrieren kann? Dass ich ruhiger werde?“ frage ich ihn. „Was ist dein Dharma – deine Wahrheit?“ stellt KK mir als Gegenfrage. „Wieso bist du hier?“ Ich überlege kurz, ich weiß warum ich hier bin, aber bis jetzt habe ich es noch nicht laut ausgesprochen. „Ich bin hier zum Heilen“ sage ich ihm. Er nickt mir zu. „Es wäre besser wenn du über einen längeren Zeitraum meditieren würdest, es heißt, dass nach acht Tagen dein Geist bricht, danach wird dir das Meditieren leichter fallen. Konzentriere dich jetzt erst mal auf die folgenden drei Schritte. Leiden – Was ist der Grund für dein Leiden? Was kann dein Leiden beenden? Und dann beende dein Leiden. Mache dir darüber Gedanken, schreibe es auf, verinnerliche es, lass es gehen.“
Tag vier, ich meditiere am besten im sitzen, draußen, irgendwo alleine, ich sitze und denke an nichts und das für ganze zwei Stunden – ohne Unterbrechung, ohne mich viel zu bewegen oder meine Augen zu öffnen. Nachdem ich mir über die Worte des Mönches ausgiebig Gedanken gemacht habe, funktioniert das Meditieren immer besser. Und am fünften Tag habe ich das Gefühl, dass ich meinen Körper so gut unter Kontrolle habe, dass es mir fast nichts mehr ausmacht mehrere Stunden zu sitzen und meine Gedanken auszuschalten, auch das Sprechen fehlt mir nicht. Keine Fragen, jeder kümmert sich um sich selber. Keine Entscheidungen treffen, keine Pläne machen. Einfach Ruhe. Gerne würde ich noch länger bleiben, aber unsere Zeit hier oben in den Bergen von Chiang Mai neigt sich dem Ende.

Ruhe, Weisheit und Frieden

Am späten Nachmittag verabschiede ich mich von KK und Son. Ich bedanke mich bei KK für seinen Rat, der mir sehr geholfen hat. „Du musst eins noch wissen.“ Er schaut mich eindringlich an. „Wenn du jemanden verlierst, verliert dich jemand.“ Für einen Augenblick stehe ich einfach nur da, denn mir fehlen die Worte, also nicke ich ihm zu, verbeuge mich leicht und steige dann in das Tuk Tuk. Auf dem Weg zurück in die Stadt, schweige ich weiterhin, denn die letzten Worte des Mönches, die er mir mit auf den Weg gegeben hat, wiegen tief.
Seit ich zurück zuhause bin, in meinem manchmal sehr hektischen Alltag, denke ich gerne zurück an diesen magischen Ort in Thailand, an dem ich einen Platz der Ruhe, der Weisheit und ein bisschen inneren Frieden finden konnte.

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Bildquellen: Unsplash unter CC0 Lizenz