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Jonas, 25, schluckt Ritalin für sein Jura-Studium

Übermorgen ist die Abgabe deiner drei jeweils 15-seitigen Hausarbeiten. In den nächsten Wochen musst du um die vier Klausuren schreiben. An Schlaf ist nicht zu denken und du stehst unter Dauerstress. Der immer größer werdende Berg an Unikram sitzt dir im Nacken und du hast kein Plan, wie du dem Ganzen jemals gerecht werden sollst. Diese Art von Unistress ist uns wohl allen nur zu gut bekannt. Während die meisten von uns die Panikattacken über den Leistungsdruck einfach bei einer Flasche Wein wegspülen, greifen manche Studenten zu etwas anderem: Nämlich zum Pillendöschen. Ein Griff, und alle Probleme sind auf den ersten Blick gelöst. Die kleine weiße für die Konzentration, die witzige rosa-farbene für die 24h Nachtschicht in der Bib und zum Runterkommen dann die blaue Pille. Gehört so etwas wirklich zum Lernalltag an deutschen Unis?

Bessere Noten aus der Apotheke

Wir haben mit Jonas (Name von Redaktion geändert) gesprochen. Der Jura-Student hat Ritalin geschluckt, um seine Leistung zu steigern. Ritalin wirkt im Gehirn und senkt den Spiegel des Botenstoffs Dopamin, der für unsere Impulse zuständig ist. Wer Ritalin nimmt, stellt quasi sein inneres Impulssystem aus, er hat weniger Bedürfnis nach Nähe, braucht kaum Schlaf und verspürt weniger Hunger und Durst. Quasi wie Speed. In der Regel wird Methylphenidat Kindern mit der Aufmerksamkeitsstörung ADHS verschrieben. Dass man in Deutschland jedoch auch als gesunder Mensch irgendwie an verschreibungspflichtige Medikamente kommen kann, ist uns ja allen klar. So war es auch bei Jonas: über einen Freund und Arztsohn kam er an den Gehirnbooster.

Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer heißen Phase seines Studiums und war eigentlich immer ganz zufrieden mit seinem Lernpensum und seinen Fähigkeiten gewesen – aber nun wuchs ihm alles über den Kopf. So kurz vorm Examen kann man sich keine Fehler oder schlechten Bib-Tage mehr erlauben, alle um ihn herum schienen besser voran zu kommen als er, erzählt Jonas. Als der Leistungsdruck kaum mehr auszuhalten war, entschied sich der 25-Jährige eben Ritalin auszuprobieren. Im Freundeskreis oder unter Kommilitonen wurde schon öfter mal über Modafinil oder Ritalin gesprochen, die Wirkung sei phänomenal und perfekt für die stressige Examenszeit. Das Runterkommen sei auch gar nicht so schlimm.

Beliebte „Smart-Drug“

Jonas versteht schnell, warum die „Smart-Drug“ gerade unter Rechtswissenschaftlern so beliebt ist. Schafft er es im Normalzustand circa zwei Stunden am Stück konzentriert über den Gesetzestexten zu brüten, so sind es mit der Pille ohne Problem fünf bis sechs. Er merkt, dass er den ganzen Tag nichts isst oder trinkt und nicht mal bei der Raucherpause mit seinen Kommilitonen quatschen will. Es juckt ihm in den Fingern zurück in die Bib zu gehen und der Problemlösung näher zu kommen. Ritalin macht ihn effektiver, produktiver, fokussierter, aber auch – das wird Jonas immer mehr bewusst – asozialer. Nach den Bib-Tagen sitzt er zunehmend emotional abgestumpft Zuhause herum, er hat kein Bock sich mit Freunden zu treffen und versinkt in seinem kleinen Lernloch.

Asoziale Konzentration

Ihm fällt sein Zustand zwar auf, aber er kann nichts dagegen tun. Er kann nur an den nächsten effizienten Lerntag und die immer näher rückenden Prüfungen denken. Nach zwei Monaten intervenieren Freunde und stellen ihn zur Rede. Ihm wurde bewusst, dass der Uni-Erfolg in keinem Verhältnis zu seinem Sozialleben und einem gesunden Lebensstil steht, erzählt er. Diese studiengangsabhängigen Probleme hatte er schon vor seiner Ritalinphase häufiger, aber das leistungssteigernde Mittel verschlimmerte sie deutlich. Nach dem Absetzen stellt er fest, dass Ritalin kein Motivationsgeber ist und man durch die Einnahme auch kein neues Wissen erschaffen kann, sondern sich lediglich mehr im Lerntunnel befindet. Heute weiß er, dass er auch ohne die Pille konzentriert und strukturiert arbeiten kann und ihm ein Kaffee und ein bisschen Mate genügt.

Methylphendidat vs. Prokrastination

So wie Jonas geht es laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung vielen Studierenden in Deutschland. Im Wintersemester 2014/15 wurden Uni und FH-Studenten zu den Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung im Studium befragt. Besonders häufig wird laut der Studie bei den Jura- und Wirtschaftswissenschaftsstudenten und Wirtschaftsingenieuren zu den „Smart-Drugs“ gegriffen, um den Unistoff besser zu bewältigen. Ganz ohne Hirn-Booster kommen hingegen die Sportwissenschaftler aus. Aber mit der steigenden Semesteranzahl und dem Alter der Studenten wächst auch die Bereitschaft zum Hirndoping.

Die Forscher unterscheiden dabei zwischen „Soft-Enhancenden“ und „Hirndopenden“. „Soft-Enhancende“-Studis dopen ihr Hirn mit frei verkäuflichen, legalen Substanzen wie Koffeintabletten, Energy Drinks, Beruhigungsmitteln oder Schmerzmitteln. Hirndoper hingegen nutzen für ihre Leistungssteigerung in der Uni verschreibungspflichtige Medikamente und illegale Drogen. Von den Studierenden selbst haben 14 % schon mal leistungssteigernde Mittel konsumiert: der Studie nach gehören 6 % der Befragten zu den Hirndopenden und 8 % zu den Soft-Enhancenden.

Das Lernen lernen

Bei den Hirndopern spielt, so wie bei Jonas, vor allem der Unistress und die Fülle des Lernstoffes eine große Rolle. Leute, die sich im Studium dauerhaft überfordert und extrem gestresst fühlen, haben so ein höheres Risiko zu leistungssteigernden Mitteln aus der Apotheke zu greifen. Ein bisschen unibedingter Stress und anstrengende Lernphasen sind bei jedem Studi bis zu einem gewissen Grad normal. Wenn der Stress jedoch überhand nimmt und zum Alltag wird, dann heißt es: ändere was! Durch einen gut strukturierten Lernstil und ausreichend Organisation fällt dir der Unikram leichter.

Grundsätzlich sollte der Bib- und Unialltag an die eigene Leistungsfähigkeit angepasst sein und nicht durch Mittelchen aus der Apotheke gepusht werden. Denn das macht dich vielleicht kurzzeitig erfolgreich, aber langfristig unglücklich. Außerdem ist und bleibt Ritalin ein verschreibungspflichtiges Medikament, welches bei unsachgemäßer Einnahme wirklich gefährlich sein kann.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz