Toleranz? Ja, aber nicht bei Transsexualität

Einen Punkt, an dem Toleranz endet, gibt es immer. Auch in der jungen, Bioprodukte kaufenden, sich als grenzenlos offen darstellenden und gar so linksliberalen Generation Y – unserer Generation. „Grenzenlos aufgeklärt“, seien wir alle, „offen für Neues, tolerant, sogar den Untoleranten gegenüber“, sagte mir eine Freundin letztens, als ich ihr vom Thema dieses Artikels erzählte: Transsexualität.

Dass grenzenlose Toleranz ein Wunschdenken derer ist, die glauben, dass unsere Generation die erste überhaupt ist, der es vielleicht an Jobchancen und Wohnraum mangelt, nicht aber am vollumfassenden Tolerieren, zeigt sich auch bei denen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als dem, mit dem sie zur Welt gekommen sind. Oder denen, die sich überhaupt keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

 

Eine offene Gesellschaft – oder doch nicht?

 

Das beweist eine neue Umfrage, durchgeführt von der Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. Die Befragten: Menschen mit geschlechtlichen Normvariationen. Also die einzigen, die, geht es um das Thema Transsexualität, über die Offenheit der Gesellschaft um sie herum wirklich Aussagen treffen können. Die Ergebnisse sind beunruhigend, zeigen sie doch nicht nur das Unverständnis, dem Transsexuelle in allen Lebensbereichen begegnen – sondern auch die Intoleranz, die in allen Altersgruppen und allen sozialen Schichten auftritt.

In den Bereichen Privatleben, Ausbildung/Beruf, Medien und Politik sehen sich Transsexuelle diskriminiert. Egal, wie gebildet das Gegenüber ist, egal, welche Partei es wählt. „Andere wollen Deutungshoheit über das Thema, obwohl sie selbst nicht ‚betroffen‘ sind. Sie wollen bestimmen, ob ich Mann oder Frau bin“, lautet eine Stimme aus der Umfrage.

 

Schubladendenken von klein auf

 

Und da kann man noch so aufgeklärt sein, das Schubladendenken wird uns allen von klein auf mitgegeben. Eine einfarbige Hose ist entweder gelb oder grün, beides zugleich aber … da hört das Vorstellungsvermögen auf. Die eingangs erwähnte Freundin geht montags auf Demos gegen Pegida und zeigte sich wütend und schockiert, als die AfD bei den Landtagswahlen derart viele Stimmen erhielt. Sie sagt aber auch Sätze wie: „Eine klassische Familie zu haben, mit Mama und Papa, das finde ich schon wichtig.“ Anders formuliert hätte sie sagen können: „Die klassische Familie ist etwas ganz Zentrales und Wichtiges in diesem Land. Etwas, das geschützt werden muss.“ Diesen Satz sagte AfD-Hardliner Björn Höcke am 14. April 2015 bei „Menschen bei Maischberger“.

Das letzte Tabu sei endlich gebrochen, hört man oft. Das vordergründig Schlimme für Transsexuelle sind gar nicht die Menschen, die sie nicht akzeptieren. Denn mehr als jeder andere sind sie gewohnt, auf Widerstände zu stoßen. Das Schlimme sind Menschen, die sie zwar akzeptieren, aber nur, wenn sie die Spielregeln festlegen dürfen – also die klare Trennung zwischen Mann und Frau. Äußerst verletzend ist es für Transsexuelle, wenn sie mit dem „falschen“ Geschlecht angesprochen werden und das passiert ihnen überall: an Unis, beim Arzt, im Job. Und genau diese kleinen Stiche schmerzen am meisten, wenn es um das Zentrum dessen geht, was man fühlt. Gerade die Geschlechtszugehörigkeit macht einen verletzlich. Sie ist es, die einem als Person zu Selbstbewusstsein verhilft. Über sie definiert man sich.

 

Mit den Menschen sprechen und nicht über sie

 

Im Fazit der Studie heißt es, man solle mit den Menschen sprechen und nicht über sie. Denn unsere meinungsstarke Generation bildet sich – natürlich – auch Meinungen über Themen, die sie nicht direkt betreffen. Ein Dialog mit Betroffenen findet selten statt. Es muss ein Lösen vom Geschlecht ans sich stattfinden, ein Lösen weg von der Frage: „Und als was wurdest du geboren?“ Denn das spielt keine Rolle. Es geht um das, was die Menschen tief in sich fühlen. Das, was sie für sich entschieden haben.

Ähnlich wie in den USA hat sich in den letzten Jahren formell viel getan für die Rechte von Transsexuellen. Seit 2014 existiert eine interministerielle Arbeitsgruppe, die etwaige Änderungen des TSG (Transsexuellengesetz) erörtert. Sicherlich ein wichtiger Schritt, dennoch ist der Zustand in Deutschland weit entfernt von dem, den sich viele Transsexuelle wünschen.

 

Noch immer ist kein drittes Geschlecht anerkannt

 

Es ist noch immer ein Kampf und es existiert diesbezüglich keine rechtliche Absicherung, wenn man eine Hormontherapie beginnen will oder eine Operation (der Begriff Geschlechtsumwandlung ist per se schon diskriminierend) durchführen lassen will. Noch immer benötigt es ein gerichtliches Verfahren, will man sein Geschlecht ändern. Und noch immer ist das TSG ein spezielles Gesetz, ausgegliedert von bestehendem Gesetz.

Das TSG und seine Tücken beklagen in der Umfrage viele. Noch immer sei unmöglich, ein drittes Geschlecht eintragen zu lassen. Es tue sich nichts, obwohl das Bundesverfassungsgericht 2008 eine Reform verordnet hatte. Das liegt daran, dass diverse hohe Politiker sich gegen Forderungen wie ein drittes Geschlecht oder auch die Integration der Existenz von Transsexualität in den Schulunterricht sträuben wie gegen eine schlimme Krankheit.

 

Kampf gegen Windmühlen

 

Das liegt aber auch daran, dass das Thema an der Öffentlichkeit vorbeigleitet, dass sich niemand wirklich einsetzt für die Transsexuellen in diesem Land und gegen die diskriminierenden Zustände. „Sie sollen jedes Recht bekommen, das sie wollen, aber im Schulunterricht hat Aufklärung darüber nichts zu suchen, finde ich.“ Wieder die Freundin, die die AfD nicht ausstehen kann. Michaela Freifrau Heeremann von Zuydtwyck sagte im Maischberger-Talk: „Wir dürfen sexuelle Ausnahmen nicht zur Norm machen. Zumal das gerade kleine Kinder extrem verstört.“ Die Aussage ist dieselbe: Transsexualität hat dem Unterricht fern zu bleiben.

Und plötzlich wird klar: Im Jahr 2016 ist es ein Kampf gegen Windmühlen, Transsexualität vom grauenhaften Siegel des Abnormen zu befreien. Grenzenlos ist nicht die Toleranz, sondern die Intoleranz.

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Bildquelle: Matthew Wiebe unter CC0 1.0