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Waldorfschule: Namen tanzen und Bäume umarmen

Lotti und ich, wir haben uns vor ungefähr 12 Jahren im Sportverein kennengelernt. Unabhängig davon, dass wir Freundinnen wurden, hatten wir schon immer etwas gemeinsam: unsere Schullaufbahn. Ich auf der Montessorischule, sie auf der Walddorfschule. Das unterschied uns von den anderen Mädchen in der Mannschaft, hat uns jedoch zusammengeschweißt. Denn in dem leicht elitären Sportverein war es nicht üblich, seine Kinder auf Schulen zu schicken, die andere Lehrmethoden bevorzugen. Das „normale“ Kind hatte nach der vierten Klasse den Übertritt auf das Gymnasium zu schaffen und dort die Schule in geregelten 12 Jahren abzulegen. Am liebsten natürlich mit top Noten um in die Fußstapfen der Mediziner- und Juristeneltern zu steigen. Und das wurde uns dort auch vermittelt.

 

Namen tanzen und Bäume umarmen

 

„Kannst du deinen Namen tanzen?“, oder „Lernt ihr überhaupt in der Schule?“ mussten wir uns sowohl von den „pädagogisch ausgebildeten“ Trainern, als auch von den kleinen nachplappernden Gören anhören. Uns ist schon früh ein dickes Fell gewachsen. Wohlgemerkt war es ja zu allem Übel die Entscheidung unserer Eltern, für die wir da gerade stehen sollten. Lotti hatte es dabei immer noch ein bisschen schwerer als ich. Ich konnte schnell sagen: „Quatsch, Namen tanzen, das macht man nur auf der Waldorfschule“ und war somit fein raus, aber Lotti war die Zielscheibe aller Vorurteile. Auch beliebt: „Ihr umarmt Bäume“, „Ihr schreibt nur mit Wachsmalkreide“, „die halbe Klasse hat eine geistige Behinderung“ und Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorfschule, war nach Wahl „Antisemit„, „Dogmatiker“, „Spinner“ und noch so einiges mehr. Diese leeren Behauptungen begegnen Lotti und auch mir noch heute. „Erst gestern hatte ich mit einem Kommilitonen eine lange Diskussion über die Waldorfschule“, sagt Lotti, als ich sie anrufe, um ihr Fragen für den Artikel zu stellen.

 

Anthropologie

 

Rudolf Steiners Lehre der Anthroposophie spricht im Kern jedoch von allem anderen als Rassismus oder Engstirnigkeit. Es geht um die soziale Dreigliederung, die sich an die Grundsätze der Französischen Revolution anlehnt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. So auch in der Waldorfschule: das Kind als Individuum wird durch kreativen Unterricht wie Musik und Kunst gefördert, die Klassengemeinschaft durch große Projekte und gemeinsame Praktika gestärkt und ein jedes Kind kann sich frei in seiner Begabung entwickeln. Leistungsdruck und Konkurrenz sollen in diesem System nicht die Motivation der Jüngsten sein.

Lotti hat nach der Schule schon so viele Erfahrungen auf verschiedensten Gebieten sammeln können, darum beneide ich sie heute noch. Steinmeißeln in Florenz, der Bau einer Schule in Rumänien, Feldmessen, Praktikum in einem Hutatelier, große Theater -und Tanzaufführungen. Die Liste lässt sich lange fortführen.