Warten Auf Antwort Liebe

Warten auf Antwort: Schreib‘ mir endlich!

Wir warten darauf, dass etwas passiert. Dass das eintritt, was wir uns gerade am meisten wünschen – selbst wenn wir uns diesen Wunsch nicht bewusst erlauben. In unserem Unbewussten tummeln sich all die unerfüllten Szenerien, die in der Zeit zwischen dem Wachsein und dem Hinübergleiten in den Schlaf geformt werden. Wir denken an den perfekten Job, der irgendwo zwischen den Stellenanzeigen auf uns wartet, an die Wegweiser, die uns hoffentlich aus unseren Sackgassen zurück auf den sicheren Weg bringen werden.

Am Wahnsinnigsten aber macht uns wohl das Warten auf ein Zeichen von dem Menschen, der so unverhofft in unser Leben getreten ist. Die Liebe, die sich verspätet, ist mit das Unerträglichste, was uns in unserem Alltag begegnen kann. Unsere Gedanken kreisen plötzlich um ein bis dato unbekanntes Wesen, von dem auf einmal unser zukünftiges Glück abzuhängen scheint. Die Entwicklung der Beziehung zu unserem neuen Lebenszentrum entscheidet darüber, ob wir gut drauf sind oder in Herbstmelancholie versinken. Und es stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass wir einem eigentlich völlig Unbekannten so viel Macht über uns zugestehen? Und wie lange lohnt es sich, darauf zu warten, ob aus dem bisherigen Niemand ein Jemand für uns wird?

„Lass uns nächste Woche was machen“

So schön war die durchtanzte Nacht vor drei Tagen. So schön, weil der Blick, den du durch den Raum geschickt hast, bei der richtigen Person ankam. So schön auch, weil sich ein längeres Gespräch ergab, ein erstes Kennenlernen, das sich in dein Bewusstsein gegraben hat und dich seitdem nicht mehr klar denken lässt. So schön auch das Ende der Nacht, das erst am darauffolgenden Morgen einzog und durch den Satz, „Lass uns nächste Woche was machen“, perfektioniert wurde. Anstatt dein Leben wie gewohnt weiter zu führen, erledigst du plötzlich alles nur noch halb so gern, weil der größte Teil deiner Gedanken an der anderen Person festklebt. Heimlich fragst du dich, wann es wohl endlich eine Fortsetzung eurer Geschichte geben wird und gehst bis dahin nur noch als Halbmensch deinen Tätigkeiten nach.

„Tick tack“ macht die Uhr an der Wand. Sie führt dir, fünf Tage nach besagter Nacht, stolz vor, wie unbarmherzig und unwiderruflich sie die Sekunden und Minuten deines Lebens löscht, welches du in ungeduldiger Liegeposition auf dem Bett neben deinem bockig-sturen, stummen Handy verschwendest. Das Warten ist eine Kunst, die Geduld eine Tugend. Unsere hektische Welt bewegt sich beständig auf einem Meer aus elektronischen und nicht elektronischen Wellen auf und ab. Es ist ein Rhythmus, dem wir uns nicht entziehen können, weil wir ihn schon längst verinnerlicht haben. Er ist es, der gleichzeitig Möglichkeiten an uns heranträgt und – bevor wir danach greifen können – sie wieder außerhalb unserer Reichweite spült.

Liebe ist kompletter Irrsinn

In Lena Anderssons Roman „Widerrechtliche Inbesitznahme“ durchlebt die Heldin Ester eine unerwiderte Liebe. Ihr Drei-Tage-Geliebter Hugo Rask gaukelt ihr zunächst Intimität und Gefühle vor, bevor er sie für eine Andere verlässt. Ester jedoch will nicht aufgeben, sie hält an der Beziehungssimulation mit Hugo fest, schreibt ihm SMS, ruft ihn an. In einem Interview mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin antwortet die Autorin auf die Frage, wieso sich Ester so sehr demütigen muss, mit: „Ester findet nicht, dass sie sich demütigt. Für sie ist es eine noble Sache zu lieben, ehrlich zu sein, offen mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Und hat sie nicht recht? Vielleicht haben wir so große Angst davor, gedemütigt zu werden, dass wir zu schnell zurückweichen, zu wenig wagen?“

Wie lange lohnt es sich eigentlich zu warten? Ob es sich überhaupt lohnt, ist nicht die Frage, denn in die Warteposition wird man passiv geschoben, der Stand-by-Knopf wird automatisch gedrückt, ohne dass man etwas davon ahnt. Das Warten beginnt schon in dem Moment, in dem man sich widerwillig von dem Anderen trennt, wobei man jedoch noch von wohligen Glücksnachwellen umspült ist. Dann, kurze Zeit drauf, schreibt man eine Whats-App-Bewerbung an die angebetete Person und befindet sich ab dem Zeitpunkt der abgeschickten Nachricht in einem Gefängnis aus Bangen und Hoffen. Erst eine Antwort kann den Pause-Zustand beenden, uns aufatmen und uns weiter das Spinnrad für unsere verrückten Träume betätigen lassen.

Aber was passiert, wenn wir keine Antwort bekommen? Wenn wir vergeblich nach dem kleinen grünen Zeichen auf dem Display unserer Smartphones spähen? In der Wartehalle von Flughäfen oder Bahnhöfen gibt es Anzeigen, die einem verraten, wie lange man auf die nächste Reisemöglichkeit zu warten hat. Aber wie ist das im echten Leben, wo keine Minutenanzahl einem vorgibt, wie lange es noch dauern wird, bis man endlich weiß, woran man ist? Es ist nie zu spät anzufangen, heißt es. Aber wann ist es zu spät aufzuhören? Wann ist der Punkt überschritten, an dem man hätte erkennen müssen, dass die Supermarktkasse, an der man schon seit ewigen Zeiten ansteht, längst geschlossen hat? Und man eine andere Spur hätte wählen sollen, an der man endlich das erstehen darf, was man sich ausgesucht hat?

Zu viel Fantasie

Die Phantasie ist ein Problem. Träume lassen sich unendlich weiterspinnen und die Spinnereien im eigenen Kopf nehmen so viel Raum ein, wie wir ihnen zugestehen. Nur blöd, dass die Spinnweben, aus denen unsere Visionen der Zukunft zusammengesetzt sind, auch unseren Realitätssinn einwickeln. Wir erkennen nicht mehr, wann es genug ist, wann wir aufhören sollten, Botschaften zu versenden, die ungehört vom Nichts eingesaugt werden.

Auch Ester schafft es nicht, Hugo gehen zu lassen. Sie ist zwar laut Andersson eine logisch denkende Person, aber: „Liebe hat nichts mit Rationalität zu tun. Sie steht außerhalb der Rationalität. (…) Vernunft und Logik sind nicht wirklich Teil der Liebe. Sie strebt nach dem Vergnügen und ist unberechenbar.“ In Anderssons Buch gibt es einen Freundinnen-Chor, der Ester warnt und versucht, ihr mit Ratschlägen aus ihrer selbstfabrizierten Tragödie zu helfen. Aber wie auch im echten Leben erreichen diese Freundinnen die Protagonistin nicht.

Das Ende unserer Kopfkino-Szenarien wird oft auf grausame Weise von der angebeteten Person herbei gerufen. Durch eine klare Antwort am Tag sieben nach der wunderbar durchtanzten Nacht oder durch anhaltendes Ghosting ist plötzlich klar, dass wir allein geträumt haben: Unser Glück wird eben doch nicht durch die andere Person vervollständigt werden. Irgendwie haben wir das Signal verpasst, dass die Supermarktkasse unserer Wahl eigentlich unbesetzt ist und wir gebeten werden, an einem anderen Tag mit einem anderen Korb voll neuer Hoffnungen, Erwartungen und Träume wieder vorbeizuschauen.

Das Problem vom richtigen Ende

Je länger wir auf den erlösenden Ton aus dem stummen Mund unserer Smartphones warten, je häufiger wir in den leeren Schlund unserer elektronischen Briefkästen starren, je öfter wir statt dem erlösenden Nicken ein ungesagtes Nein vernehmen, desto mehr prägt sich uns die Lehre ein: Das Warten ist scheiße, eine reine Zeitverschwendung und führt zu nichts. Die Hirngespinste, die Wunschbilder, die sich während der Wartezeit in unsere Köpfe schleichen, scheitern an der Realität. Aber richtig aufhören können wir trotzdem nicht.

Auch Ester hat dieses Problem: Sie kann von der Geschichte mit Hugo nicht lassen. Sie hatten eine fantastische Zeit zusammen und obwohl sie ihn schließlich nicht mehr an sich binden will, will sie dennoch wissen, wieso es nicht sie war, die ihn hätte halten können. Andersson erklärt das Verhalten ihrer Heldin folgendermaßen: „Ester ist in einem klaustrophobischen Zustand, aus dem sie nicht heraus kann. Dabei will sie Hugo nicht mehr. Sie möchte nur noch verstehen, was passiert ist, um sich von ihm lösen zu können. Dass sie das nicht schafft, daran ist Hugo mitschuldig.“ Denn dieser verweigert ihr jedwede Erklärung: „Er hätte sagen können: Schau, ich habe ein anderes System, ein anderes Verständnis unserer Situation. Er hätte ihr helfen können, indem er aufrichtig ist, damit sie sich selbst helfen kann. Aber er ist feige.“

In einem Gedicht von William Butler Yeats heißt es:

Doch weil ich arm bin,
habe ich nur meine Träume.
Die Träume breite ich aus vor deinen Füßen.
Tritt leicht darauf,
du trittst auf meine Träume.

In dem schwedischen Roman „Widerrechtliche Inbesitznahme“ gibt es keine Lösung für das Problem, wie lange man auf jemanden warten soll, wann es Zeit ist, mit der Traumspinnerei aufzuhören. Es findet keine Antworten darauf, ab wann es genug ist, ab welchem Zeitpunkt man sich endgültig zum Idioten macht und sich unter seinem Wert zu verkaufen versucht. Doch selbst wenn wir diesen Zeitpunkt überschreiten sollten – wir merken es irgendwann. Wenn wir unsere Enttäuschung und die Wut weggewischt haben, können wir unsere zertretenen Träume aufsammeln, sie aufheben und pflegen und weiter an ihnen spinnen. Um dann, mit den neu entstandenen Zukunftsvisionen, doch vielleicht irgendwann an der richtigen Kasse zu landen.

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Bildnachweis: Franca Gimenez unter CC by 2.0