Muße und Bulletjournaling

Bullet Journal: Warum wir wieder analoge Kalender nutzen

Sie zeichnen, sie schraffieren, sie skribbeln, sie doodeln, sie malen, sie planen, sie gestalten: Bullet Journaling ist ein riesen Trend. Ob auf Youtube, Instagram oder Pinterest, überall findet man Kreative, die ihre Notizbücher bunt gestalten. Bullet Journaling wurde vor einigen Jahren von dem New Yorker Graphiker Ryder Carroll erfunden. Er suchte einen Weg seinen Alltag trotz ADHS-Beeinträchtigung effizient und strukturiert zu gestalten. Carrolls System wurde begeistert aufgegriffen und von einer Community im Netz in kreative Höhenflüge weiter entwickelt. Dominierende Element sind dabei das kreative Austoben und die Organisation des eigenen Alltags. Warum Muße wieder in ist und was Selbstoptimierung damit zu tun hat.

Kalligraphie, Monatsplanung und Kolorieren

Nicole Lommel zeichnet in aller Ruhe Wassermelonen auf eine Seite, koloriert sie in rot, das Wort Mai prankt auf der Seite. Nicole betreibt den Blog und Youtube-Kanal Ladies Lounge und gestalte hauptberuflich ihr eigenes Bullet Journal. Ihre gepflegten Hände zeichnen die Umrisse nach, während sie mit ruhiger Stimme aus dem Off erklärt, was sie genau macht. Nun wechselt sie die Seite und beginnt einen detaillierten Monatsplan aufzustellen. In feinsäuberlicher Kalligraphie beschriftet sie ihren Kalender. Sogenannte Habit Tracker, also Kalender, die ihre Gewohnheiten festhalten und Like-Zähler schließen sich auf den nächsten Seiten an. „Soweit ich zurück denken kann, habe ich eigentlich schon immer gerne gezeichnet und gemalt- andere gingen in den Sportverein, ich in die Malschule“, sagt Nicole, „Später hatte ich im Alltag nicht mehr die Zeit mich der Kreativität so ausführlich zu widmen. Über die Youtuberin Amanda Rach Lee bin ich dann auf das Bullet Journaling gestoßen.“

Amanda Rach Lee ist eine der bekanntesten internationalen Bullet-Journaling-Youtuberinnen. Ihre Videos werden Millionenfach geklickt, ihre Entwürfe gelten als Inspirationsquelle für ihre zahlreichen Follower. Sie gilt als eine der großen Trendsetterinnen im Bullet-Journaling-Universum. Auf den sozialen Medien ist Bullet Journaling ein riesen Trend, besonders auf den visuellen Netzwerken Instagram, Youtube und Pinterest. Allein der Hashtag #bulletjournal bringt 3,6 Millionen Ergebnisse auf Instagram, der Hashtag #bulletjournalideas immerhin 133.000 Beiträge. „Ich habe meinen Youtube-Kanal 2017 gestartet, vorerst auch noch mit anderen Themen. Doch mittlerweile ist das Bullet Journaling zentrales Thema meiner Selbstständigkeit. Das hätte sich nicht so entwickelt ohne den Austausch an Ideen mit der Community. Insgesamt habe ich das Gefühl diese Online-Community ist unglaublich positiv. Einen richtigen Hasskommentar habe ich noch nicht bekommen. Scharfe Kritik vielleicht schon aber noch nicht so richtigen Hass.“

New Yorker Garfiker entwickelte Bullet-System

Der New Yorker Grafiker Ryder Carroll ist sozusagen Quell des Bullet-Journal-Trends. Ryder leidet seit seiner Kindheit an ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) und hatte daher auch im Erwachsenenalter große Probleme seinen Alltag zu strukturieren und Wesentliches von Unwichtigem zu unterscheiden. Er entwickelte ein System, das auf verschiedenen Punkten (engl. bullets) basiert. Es erlaubte ihm seine Termine, Erledigungen und Wochen zu planen, säuberlich festzuhalten und somit zu gliedern. Das Bullet Journal war geboren.

Mittlerweile wurde Ryder Carrolls System von vielen aufgegriffen und weiter entwickelt. Während er minimalistisch bleibt und sich auf die wesentliche Organisation seines Alltags konzentriert, hat sich eine ganze Community auf den sozialen Medien gegründet, die dem ganzen eine kreative Komponente beifügt. „Ich habe mir zuerst gar keine Gedanken über den organisatorischen Aspekt gemacht, also dass das organisatorisch total sinnvoll ist und praktisch. Die Gestaltung ging recht schnell, aber bis ich gemerkt habe, was für ein Organisationstalent ist, hat es echt eine Weile gedauert. Heute plane ich damit meinen kompletten Arbeitsalltag. Ich bin selbstständig beziehungsweise in der Gründungsphase und verbringe viel Zeit im Home Office, das heißt ich organisiere mich komplett alleine. Das Bullet Journal ist wirklich mein täglicher Begleiter“, sagt Nicole Lommel. „Dadurch, dass jeder Monat selbst gestaltet wird, muss ich mir gar keine kreativen Freiräume mehr schaufeln, sondern sie gehören zu meiner alltäglichen Routine“. Neben einem effizienten Organisationssystem und kreativen Freiräumen gehört für Nicole eine dritte Komponente dazu: „Es beginnt schon, dass man innehält und sich überlegt, was ist eigentlich wichtig ist in den kommende Wochen. Die Reflexion und das Besinnen auf das Wesentliche“. Die 26-Jährige ist überzeugt, dass das die Lebensqualität verbessert: „Tatsächlich klingt das vielleicht too much zu sagen, es bringt mehr Lebensqualität. Aber alleine, dass man reflektiert und sich fragt, was ist wirklich wichtig, was steht wirklich an, das ist ein ganz wichtiger Aspekt vom Bullet Journaling. Das verändert natürlich das Leben, wenn man viel mehr reflektiert und seine Zeit mit den Dingen verbringt, die wichtig sind.“

Muße als Ausgleich zu beschleunigtem Zeitalter

Warum gibt es überhaupt diesen analogen Trend in unserem digitalen Zeitalter? „Wir merken alle, dass unser Alltag sehr hektisch und vollgestopft ist und, dass wir alle digital viel unterwegs sind“, erläutert Nicole, „Da fehlt uns ein Ausgleich dazu. Und ein Bullet Journal ist von der Grundidee her etwas Analoges. Ich denke die drei Faktoren der Selbstoptimierung, der kreativen Auszeit und der Reflexion sind die Komponenten, die ausmachen, dass viele Menschen merken, etwas mit Muße zu tun, schafft einen Ausgleich und tut ihnen gut.“

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Bildquelle: Unsplash mit CCO Lizenz.