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Warum ich Rory Gilmore heute die Freundschaft kündigen würde

Anmerkung: #thelastfourwords werden nicht gespoilert. Alles andere schon. Wer die vier Netflix-Folgen noch nicht gesehen hat, sollte den Artikel deshalb vielleicht nicht lesen.

Ich war vorbereitet gewesen. Die erste Netflix-Folge lief in meinem Wohnzimmer am späten Freitagnachmittag, begleitet von einer Tasse Kaffee und nebenher aß ich aus freudiger Nervosität so viele Oreos, bis mir schlecht wurde. Ein guter Anfang für den Sechs-Stunden-Marathon der Neuauflage einer Ära, den Gilmore Girls.

Ab Folge zwei gab es vietnamesisches Take-Out, dazu Rotwein, später folgten die obligatorischen Snacks und ich stieg auf die Drinks in meiner Hausbar um. Aus Gründen. Denn ich war auf alles vorbereitet gewesen. Nur leider nicht auf das.

 

Ich kann dich verstehen, Rory.

 

Immer, wenn in meinem Leben etwas schief läuft, schleiche auf leisen Sohlen nach Stars Hollow. Damals wie heute. Denn genau das ist es, was die Serie so ausmacht: Der Wohlfühl-Charakter. Das Wissen, dass nicht nur am Ende alles gut wird, sondern auf dem Weg dorthin bereits alles gut ist. Liebeskummer und verzwickte Männergeschichten, ein umgefallener LKW, randvoll gefüllt mit Gurken im Hochsommer, die Frage, wie Eliteschule und Ivy-League-College finanziert werden können – jedes Problem wird schon irgendwie gelöst. Der Weg dorthin ist dabei immer lustig, skurril und vor allem sympathisch.

Während ich mit Mitte 20 vor allem gerne die Staffeln sah, in denen Rory bereits in Yale studierte, fing ich an, sie wirklich zu mögen. Obwohl sie so unglaublich anders war. Ein bildhübsches Mädchen, ein in vielen Bereichen ziemlicher Spätzünder, eine junge Frau, die von sich selbst sagt, dass sie in zwei Welten lebt („one is full of books“), war oberflächlich betrachtet manchmal schwer nachzuvollziehen – doch die Autorin Amy Sherman-Palladino schaffte es mit so leichter Raffinesse, Rorys Charakter sympathisch zu zeichnen, dass ich gerne mit ihr befreundet gewesen wäre.

Wir lachten und weinten über dieselben Dinge und wenn sie beim Spring Break sich immer noch so verhielt wie eine Dreizehnjährige, die aus Versehen bei einem Familienfest am Bierglas des Onkels nippte, so lächelte ich innerlich und dachte mir jedes Mal: „Ach ja. Das ist halt eben unsere Rory.“ Indem gleichen Tonfall und mit dem gleichen seligen Lächeln auf den Lippen, wie ganz Stars Hollow es tat.

 

Rory, sprich mit mir!

 

Dass Rory erwachsen wurde in den Zeiten, in denen Gilmore Girls längst abgedreht war, ist klar. Und auch obwohl Darstellerin Alexis Bledel nach wie vor wie Anfang 20 aussieht, fand ich es schön, Freitagabend zu sehen, wie die heutige Generation in die Handlung eingeflochten wurde: Rory und ihre drei Telefone, eins für private Zwecke, eins für die Arbeit, eins, das nur in Stars Hollow Netz hat. Rory, der verschiedene Türen offen stehen und sie sich genau deswegen nicht entscheiden kann. Rory, die eine Affäre mit Logan hat, der wiederum verlobt ist, und sie sich darüber herzlich wenig Gedanken macht. Halt. Um wen geht’s?

Yep, um Rory. Um unsere Rory. Und um das, was mir in diesen vier Folgen – neben so vielen anderen Dingen – am meisten fehlt: Der Einblick in ihr Innenleben, das hier und da mal angerissen wird; das ist aber alles.

Keine stundenlangen Gespräche in Luke’s Diner über Zukunftsängste, Gewissensbisse oder darüber, dass Rory pleite ist, während sie munter einen Transatlantikflug nach dem anderen bucht. Sie gibt kaum etwas preis darüber, wie es ihr wirklich geht und warum sie tut, was sie tut, beispielsweise im Alter von 32 eine Beziehung zu führen mit jemandem, den sie nie trifft, über den sie nie redet, an den sie (anscheinend) nie denkt. Wer macht so was und – wie geht das überhaupt?