Warum Wut auch nur eine Form von Angst ist
Verschiedene Arten von Wut
Natürlich kann keine Rede davon sein, dass hinter jedem Wutanfall immer Angst steckt. Schließlich gibt es ganz verschiedene Gründe, aus denen man wütend werden kann.
Wenn man beispielsweise wütend ist, weil man im Club zum zehnten Mal auf primitivste Art und Weise angebaggert oder begrabscht wurde, hat diese Wut sicher wenig mit Angst zu tun, sondern damit, dass man sich schlicht und ergreifend über das nicht vorhandene Benehmen der betreffenden Person aufregt. Dasselbe, wenn man auf der Straße dumm von der Seite angequatscht oder beleidigt wird. Es gibt viele Dinge, über die man sich aufregen kann – und ja, auch diese Dinge können dazu führen, dass man ausrastet. Aber emotional betrachtet geht es dabei meistens trotzdem um Kleinigkeiten.
Aber diese andere Art der Wut, die sich nicht einfach mit Hilfe des Wortes „ausrasten“ beschreiben lässt, befindet sich emotional auf einem komplett anderen Level. Es ist eine tiefliegende Wut, die deshalb so tiefliegend ist, weil sie sich aus unseren intimsten Ängsten speist.
Angst als Ursprung von Wut
Wenn man wütend auf seine*n Partner*in ist, weil er*sie seinen*ihren Jahresurlaub lieber mit Freund*innen verbringen möchte, dann ist man wütend, weil dadurch die tiefe Angst getriggert wird, zu kurz zu kommen. Oder auch die Angst, nicht gut genug zu sein – und der Gedanke, dass der*die Partner*in aus diesem Grund lieber mit anderen Leuten verreisen will.
Wenn man wütend ist, weil der*die Partner*in nicht aufhört zu fragen, ob man nicht lieber mit ihm*ihr etwas unternehmen möchte anstatt mit Freund*innen auszugehen, ist man nicht wegen dieser Tatsache wütend, sondern weil man Angst hat, eingeengt und kontrolliert zu werden.
Angst vor Ablehnung, Angst vor dem Verlassenwerden, Angst vor Kontrolle – Was Menschen wütend macht, ist so individuell, weil jede*r verschiedene Ängste in sich trägt. Häufig kann man überhaupt nicht nachvollziehen, warum eine andere Person wütend reagiert – genauso wie andere Menschen häufig nicht verstehen können, warum man selbst wegen einer vermeintlichen Kleinigkeit so an die Decke geht.
Oft stecken hinter Wut nicht nur irgendwelche Ängste, sondern die Ängste, die sich in unserer Kindheit in uns manifestiert haben. Denn häufig sind es im Prinzip immer dieselben Sachen, die uns wütend machen – bloß in verschiedenen Variationen, die aber letztendlich alle ein und dieselbe Angst ansprechen.
Welche Angst allerdings bei allen „wütenden“ Menschen vorhanden ist, ist die Angst davor, sich Ängste einzugestehen. Denn Wut ist ein Schutzmechanismus, der dafür sorgt, dass wir die Angst nicht zulassen müssen – weder vor anderen noch vor uns selbst.
Meiner Erfahrung nach besteht der erste und wichtigste Schritt, den man tun muss, um seine Wut abzulegen darin, sich seine Angst einzugestehen. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich meine Ängste anerkannt habe, konnte ich an ihnen arbeiten – und von da war ich plötzlich weitgehend befreit von dieser tiefliegenden Wut, von der ich mein halbes Leben lang geglaubt habe, sie sei ein Teil von mir.
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Bildquelle: Noah Buscher on Unsplash, CCO-Lizenz