Wie beeinflusst Religion die Großzügigkeit?
Religiöse Menschen sind nicht generell großzügiger als Atheisten – mit einer Ausnahme: Wenn sie die religiöse Zugehörigkeit der Empfänger kennen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Linköping University. Die Untersuchung wurde in Schweden, den USA, Ägypten und dem Libanon durchgeführt und zeigt, dass Menschen vor allem gegenüber Angehörigen der eigenen Religion mehr Großzügigkeit zeigen.
Die Forscherinnen Hajdi Moche and Nathalie Hallin (im Bild), beide an der Fakultät für Verhaltenswissenschaften der Linköping University tätig, wollten klären, ob der Glaube tatsächlich die Großzügigkeit beeinflusst. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Judgement and Decision Making veröffentlicht. Gemeinsam mit ihren Kollegen führten sie drei Studien durch, die zeigen sollten, wie sich Großzügigkeit je nach Kontext verändert.
Experimente in Schweden, den USA und dem Nahen Osten
In der schwedischen Teilstudie mit 398 Teilnehmenden verteilten diese in mehreren Runden fiktives Geld an hypothetische Empfänger. Die Empfängerinformationen umfassten dabei unter anderem Hobbys, politische Überzeugungen und in einer Runde auch deren Religion. Am Ende beantworteten die Teilnehmenden Fragen zu ihrer eigenen religiösen und politischen Einstellung.
In den meisten Runden zeigte sich kein Unterschied zwischen religiösen und nicht religiösen Personen. Als jedoch die religiöse Zugehörigkeit der Empfänger bekannt war, änderte sich das Bild: Religiöse Personen spendeten häufiger an Angehörige ihrer eigenen Glaubensrichtung. Überraschenderweise bevorzugten auch Atheisten ihre eigene Gruppe, obwohl diese nur durch den gemeinsamen Unglauben verbunden ist. Hallin erklärte: „Ich war tatsächlich überrascht, weil Atheisten keine gemeinsame ideologische Basis haben.“
Ähnliche Ergebnisse in den USA und im Nahen Osten
Die Ergebnisse aus den USA, Ägypten und dem Libanon stimmten mit den schwedischen Beobachtungen überein. Mit über 700 Teilnehmenden in den USA und etwa 600 in Ägypten und dem Libanon zeigten sich ähnliche Muster: Religion hatte den stärksten Einfluss auf die Großzügigkeit, und alle Gruppen neigten dazu, ihre eigenen Mitglieder zu bevorzugen.
Besonders in den USA fielen muslimische Teilnehmende durch eine stärkere Großzügigkeit gegenüber anderen Muslimen auf, verglichen mit Christen und Atheisten. In Schweden deuteten die Daten zwar auf ein ähnliches Verhalten hin, doch die Zahl muslimischer Teilnehmender war zu gering, um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern. Im Nahen Osten wiederum gab es keine Unterschiede zwischen Christen und Muslimen. Ob dies an kulturellen Normen oder anderen gesellschaftlichen Faktoren liegt, bleibt unklar.
Der Einfluss von Religion auf Gruppengefühl
Moche und Hallin untersuchten auch, ob es Unterschiede zwischen den verschiedenen Religionen gibt. Die Teilnehmenden wurden dazu in drei Gruppen unterteilt: Christen, Muslime und Atheisten. Während die Muslime in den USA stärker zur eigenen Gruppe hielten, konnte in Ägypten und dem Libanon kein signifikanter Unterschied zwischen Christen und Muslimen festgestellt werden. Atheisten spielten in diesen Ländern aufgrund ihrer geringen Anzahl keine relevante Rolle.
Großzügigkeit jenseits von Geld
Die Forscherinnen betonten, dass Großzügigkeit in vielfältigen Formen existieren kann. Neben Geld könnten Zeit, Zuwendung oder Fürsorge ebenfalls als Formen von Großzügigkeit gelten. „Ob Religion wirklich dazu anhält, vor allem finanziell großzügig zu sein, bleibt eine offene Frage“, sagte Moche. Gleichzeitig könne es als positiv gewertet werden, dass Menschen überhaupt großzügig sind, auch wenn sie dabei eine Bevorzugung der eigenen Gruppe zeigen.
Die Untersuchung der Linköping University zeigt, dass religiöse Zugehörigkeit einen starken Einfluss auf soziale Verhaltensweisen haben kann, ohne dass dies zwangsläufig universelle Großzügigkeit bedeutet.
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Bild: Die Forscherinnnen Hajdi Moche and Nathalie Hallin. © Thor Balkhed / Linköping University