Teller mit Plätzchen

Oh, it’s that time of the year again: Über Fat-Shaming während der Weihnachtszeit

Jedes Jahr wieder stehen sie vor uns: Teller voll mit Keksen, Schokolade und Pralinen und mit ihnen die wiederkehrenden Diskussionen über Körperbilder und Vorurteile: Du bist schon so dick, willst Du das wirklich essen? Du hast doch so eine gute Figur, willst Du die damit jetzt ruinieren? Eine Antwort darauf könnte sein: Esst doch so viel Schokolade wie Ihr wollt und lasst einander einfach in Ruhe.

Wer in diesen Tagen Instagram oder Facebook öffnet, wird neben beladenen Weihnachtsbäumen, rankenden Lichterketten und dem hundertsten Rabattcode auch nach relativ kurzer Zeit Posts finden, die sich mit Gewichtszunahme beschäftigen; Corona oder Weihnachten sind in der Regel der Anlass: Überspitzt vermitteln sie in etwa folgendes: Wir dürfen über die Feiertage bloß nicht zu viel essen, weil wir dann fett werden, fett sind, fett gewesen sein werden. Fett sein, das will doch niemand.

Denn: Übergewichtige Menschen werden in westlichen Kulturkreisen beleidigt, ausgegrenzt, attackiert. Und wann könnte die Gefahr größer sein, dem Heißhunger anheimzufallen, als über die Festtage?

Das Problem mit dem Dick sein

Fettleibigkeit ist nicht gesund. Adipositas zieht Folgeerkrankungen nach sich[1], Herzkrankheiten und überlastete Gelenke stellen keine Seltenheit dar. Das Problem liegt allerdings nicht in der Krankheit als solcher, sondern in unserer Sozialisierung und unserem Umgang damit. Nach einer im Mai erschienen Studie der WHO ist jede*r fünfte Jugendliche in Deutschland übergewichtig[2] , adipöse Schulkinder haben eine 63 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit gemobbt zu werden, weil sie eine andere Körperform aufweisen als die Mehrheit in der Klasse.[3] Oft ziehen sich Erfahrungen mit Diskriminierung bis weit ins Erwachsenenleben hinein. Zwei Drittel der Befragten einer Studie der Uni Leipzig assoziieren Dicksein mit Faulheit und übermäßigem Nahrungskonsum, es fallen zudem Eigenschaften wie „unförmig“, „langsam“ oder „schwach“.[4] Oft werden Kritik oder Beleidigungen nicht nur von Externen geäußert, sondern auch von Menschen aus dem nahen Umfeld[5], sodass nicht einmal Freunde und Familie in diesem Punkt als mentaler Rückzugsort angesehen werden. Die psychischen Folgen für die Betroffenen können mitunter gravierend ausfallen.[6]

Wer schlank ist, bekommt nicht sein Fett weg

Schlank zu sein ist hingegen mit einer Art Freifahrtschein gleichzusetzen. Du kannst unter dem Radar „Kritik am Aussehen“ weitestgehend verschwinden, wenn Dein Körpergewicht der Norm entspricht. Du fällst nicht direkt auf, wenn Du das nicht möchtest. Deine Physiognomie wird also entweder gar nicht bemerkt oder in der Regel rein positiv konnotiert: Du bist schlank, also bist Du gesund, fit, wahrscheinlich diszipliniert und verdienst mehr.[7] Bist Du allerdings dünner als die Norm, gerätst Du am anderen Ende der Skala verstärkt ins Blickfeld, wirst schnell als „Hungerhaken“ oder „Strich in der Landschaft“ tituliert, Dir könnten Probleme in Deinem Essverhalten unterstellt und Deine Attraktivität abgesprochen werden. Warum nehmen wir uns eigentlich heraus, Körperbilder zu beurteilen? Warum können wir nicht einfach aufhören, die Physiognomie anderer Menschen als Einschränkung oder Störung zu empfinden und dem Drang nachzugeben, diese Körper auch noch kommentieren zu müssen?

Ein Kompliment, das keins ist

Du weißt nicht, warum Deine Arbeitskollegin Gewicht verloren hat. Sie könnte tatsächlich versucht haben, abzunehmen. Vielleicht hat sie aber auch psychische Probleme und keinen Appetit. Vielleicht hat sie Liebeskummer, vielleicht gibt es Probleme mit einer Person aus dem nahen Umfeld, vielleicht läuft es im Job nicht rund oder sie trauert. Du weißt es nicht. Aussagen wie „Die paar Kilo weniger stehen Dir echt gut!“ oder „Hast Du abgenommen? Sieht mega aus!“ mögen in den meisten Fällen zwar nett gemeint sein, sind aber absolut nicht das, was angemessen wäre. Du könntest alternativ Bezug nehmen auf die Ausstrahlung der Person, Komplimente lassen sich auch formulieren, ohne das Gewicht mit einzubeziehen.

Weißt Du, ob der Mensch, den Du gerade als „fett“ tituliert hast, nicht vielleicht auch trauert? Ob eventuell Medikamente zu Gewichtszunahme geführt haben? Oder ob diese Person vielleicht schlicht so aussieht, weil sie so aussieht? Nicht jeder Mensch, der nicht der normschönen Sehgewohnheit entspricht, treibt damit automatisch keinen Sport und liegt faul mit 16 Tüten Chips den ganzen Tag auf dem Sofa. Genauso wenig geht die sehr schlanke Arbeitskollegin ihrem Gewicht nach auf jeden Fall jeden Tag um 6 Uhr joggen und isst nur Salat. Stereotype sitzen meist sehr fest in unseren Gehirnen. Wir sollten lernen, sie besser zu erkennen und in einigen Fällen zu konterkarieren.

Dieser Text ist keine Brandrede gegen humorvolle Posts. Er soll Erinnerung sein, ein Gedankenanstoß zu mehr Reflexion der eigenen Werturteile und Denkmuster. Vielleicht löst er in dem einen oder anderen Kopf vor dem nächsten Erstellen eines Fatshaming-Memes ein kleines „Stopp“-Schild aus, vielleicht spart sich der eine oder die andere unter dem nächsten Instagram-Post den beleidigen Kommentar genauso wie Oma Inge ihren ach-so-gut-gemeinten Ratschlag, wenn Ihr ihr den Text unter die Nase haltet. Falls nicht: Es ist völlig legitim und auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass das eigene Körpergewicht nicht zur Diskussion steht. Ein Kommentar zu Eurem Gewicht überschreitet eine persönliche Grenze und das muss niemand akzeptieren. In diesem Sinne: Frohe Festtage!


[1] https://www.euro.who.int/de/health-topics/noncommunicable-diseases/obesity/news/news/2017/10/world-obesity-day-understanding-the-social-consequences-of-obesity

[2] https://idw-online.de/de/news747694 / https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/332091/9789289055000-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y

[3] https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/351026/WeightBias.pdf S.2

[4] https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/doppelte-last-2012-10-22/

[5]Puhl RM, Moss-Racusin CA, Schwartz MB, Brownell KD. Weight stigmatization and bias reduction: perspectives of overweight and obese adults. Health Educ Res. 2008;23(2):347–58. In: https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/351026/WeightBias.pdf

[6] https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/351026/WeightBias.pdf

[7] https://www.iza.org/publications/dp/7947

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