screenshot-tatort

Hassobjekt: Das Tatort „Public Viewing“

Es scheint, als müssten nach den Rauchern demnächst die Gesprächigen vor den Türen der Lokalitäten ihren Aktivitäten frönen. Um der allgemeinen Unruhe Einhalt zu gebieten, schnappe ich mir das Tablett von Theken-Willi und verteile eine neue Runde Popcorn – Puh, Unheil abgewendet. Viel mehr als die Handlung fasziniert mich die Reaktion des buntgemischten Publikums: Haltlos wird an Fingernägeln gekaut, das Bier des Nebenmannes ausgetrunken und mit gedämpfter Stimme um die Wette gehaspelt. Die Menschen scheinen ernsthaft mit dem Ermittlerteam mitzufiebern. Spannender als ein Elfmeterschießen ist das – obwohl das Endergebnis deutlich leichter vorauszusagen ist.

Ich schau mir das Elend noch bis zum Ende mit an. Denn erstaunlicherweise löst sich diese Zusammenkunft leidenschaftlicher Spoiler pünktlich mit dem Abspann auf. Danach kommen die Tagesthemen, aber dafür hat schon niemand mehr ein Fünkchen Aufmerksamkeit übrig. Die zurückliegenden 90 Minuten waren einfach zu anstrengend. Die Spielzeit hegt in mir die Hoffnung, dass die Zuschauer eigentlich doch ein Fußballspiel erwartet hatten – aber die anschließende Diskussion über den brillanten Schauspielereinsatz machte diese Hoffnung schnell wieder zunichte.

 

„Der Mörder ist immer der Gärtner“

 

Fassungslos schaue ich den Teilzeit-Kriminologen beim Aufbruch zu. Sie sind zufrieden mit sich und ihrer Leistung. War doch direkt abzusehen, dass der Krankenpfleger des Großonkels des Opfers Schuld am Sturz in den flachen Teich des Stadtparks war. Auch die Pokerrunde packt zusammen und ich sehe mein Busgeld für die Rückfahrt durch die Tür verschwinden. Mit einem Schulterzucken und Reinhard Meys „Der Mörder ist immer der Gärtner“ auf den Lippen nehme ich meine Jacke und verlasse diese eigentlich charmante Kneipe, die mittlerweile sowohl optisch als auch olfaktorisch eher an ein heruntergekommenes Rotlicht-Kino erinnert: Es riecht nach gezuckertem Öl und nervösen Schwitzen. Der Prozess des Fernsehens scheint nun also ein gesellschaftliches Ereignis geworden zu sein. Wie jämmerlich. Reichen die Chatrooms nicht mehr aus, in denen Fans der Serie ihre eigenen fiktiven Charaktere ermitteln lassen können?

Auf meinem Fußweg nach Hause mache ich mir viele Gedanken über das Dasein als Polizist oder Gerichtsmediziner oder Tatort-Produzent oder Tatort-Mordopfer-Schauspieler. Letztendlich komme ich zu dem Schluss, dass für den Sonntagabend dringend eine neue Örtlichkeit her muss. Sorry, Theken-Willi!

 

Das könnte Dich auch interessieren:

 

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

Titelbild: Screenshot  Bildquelle: endless autumn unter CC BY-SA 2.0