Zum Heiland mit Jennifer Rostock: „Immerhin wählen 80% nicht die AfD“
In diesem Zusammenhang ist ja auch interessant, dass der Justizminister Heiko Maas gerade massiv kritisiert wird, weil er in einem Tweet die Arbeit der Band Feine Sahne Fischfilet gelobt hat. Könnt ihr da eine Einschätzung geben: Sind Feine Sahne Fischfilet wirklich gefährlich, weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden und linksextreme Textpassagen haben?
Christoph: Das ist lächerlich. Das ist eine Band, die in ihrer Heimat wirklich sehr viel arbeitet und einen Wahnsinnsbeitrag beim Kampf gegen Rechts leistet. Meistens sogar im Dialog mit den Menschen, mit Kunst, Kultur, Musik und im zwischenmenschlichen Austausch. Und meinetwegen haben die fragwürdige Textzeilen mit „Steine auf die Bullen“, das liest man dann gerne unter Spiegel Online-Artikeln von Leuten, die sich sonst nie mit der Band auseinandersetzen würde – aber das steht in keinem Verhältnis zum positiven Beitrag, den die Jungs leisten.
Jennifer: Wir haben uns darüber auch oft mit Monchi unterhalten. Dass seine Musik sehr politisch ist, weiß ja jeder, und natürlich ist Monchi auch jemand, der aus der linken Ecke kommt. Aber bei den Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern, bei denen wir dabei waren, wurde vieles sogar bewusst unpolitisch gehalten. Wir und sie wollen gar nicht für irgendwelche Parteien werben, aber stattdessen Aufklärung leisten und einfach ins Gespräch kommen. Das ist nicht mal so, dass man deswegen Feine Sahne Fischfilet einer politischen Farbe zuordnen könnte.
Ist im Zusammenhang mit diesem politischen Engagement womöglich auch eure neue LP „Genau in diesem Ton“ entstanden?
Jennifer: Naja, die Platte ist ja stellenweise politisch, aber in erster Linie ging es uns um dieses Gefühl, die Faust zu ballen und in die Luft zu strecken. Heißt: Nicht zu resignieren und vielleicht auch ein stückweit aufzubegehren. Das kann man vielleicht durchaus als Parallele zu der LP sehen.
Im Pressetext ist davon die Rede, dass „der Sprung ins kalte Wasser und das anschließende Schütteln“ in einer Platte münden, die „radikaler nicht sein könnte“. Inwiefern ist eure Musik radikal geworden?
Joe: Ohje…
Jennifer: Wir sollten darauf verweisen, dass wir uns diese Pressetexte nicht selber ausdenken… (lacht)
Joe: … ja, im Prinzip ist radikal vielleicht nicht der treffende Ausdruck, aber vieles ist eben neu entstanden und aus der Platte spricht ein gewisser Hunger, eine gewisse Wut. Wir haben ja unser Umfeld ein wenig verändert und wollten nach einer letzten etwas verkopfteren, lyrischeren LP [„Schlaflos“, erschienen 2014] wieder aufmüpfiger und direkter werden. Das meint radikal.
Ihr habt mit FOUR Music ja auch ein neues Label im Rücken. Wie kam es dazu?
Jennifer: Ach, wir wollten das ganz ursprünglich ja eigentlich selbst aufziehen und machen, aber haben einfach gemerkt, was für ein Rattenschwanz da dran hängt und wie viele Leute im Vorfeld von so einer CD-Veröffentlichung beteiligt sind und Dinge organisieren. Das wäre anders gar nicht möglich gewesen. Zudem haben wir uns bei FOUR sofort sehr wohl gefühlt, das sind allesamt gute Leute, die hart arbeiten und mit denen wir uns auch zwischenmenschlich verstehen.
Auf der Single zählt ihr Alltagsbanalitäten auf, die sich im Alltag eines Menschen summieren, und kommt zum Schluss: „Irgendwas ist immer“. Wie ist das gemeint?
Joe: Naja, im Prinzip ist das ein Song, der sich darüber aufregt, dass sich Leute über Dinge aufregen.
Jennifer: Genau, im Prinzip gibt es nämlich immer irgendwas, über das man meckern kann. Ob bei Flügen nach Abu Dhabi, Modetrends, Essen oder Partys: Die Leute finden immer einen Grund, sich aufzuregen und abzufucken. Wir schieben dem so ein bisschen einen Riegel vor. Man findet immer einen Grund, sich über Ereignisse aufzuregen, weshalb deshalb die Laune vermiesen?
Nochmal zurück zur Politik: Wie nehmt ihr das insgesamt bei jungen Wählern und der nachwachsenden Generation wahr? Meint ihr, dass Politikverdrossenheit und fehlende Bildung ein Problem sein könnten?
Joe: Ich glaube, dass die Generation der Jugendlichen heute gar nicht zwangsläufig politikverdrossen ist. Aber die ticken halt einfach nicht alles, heute geht alles viel schneller bei denen.
Christoph: Es wird ja oft darüber geredet, welche Verantwortung Musiker, Künstler, Schauspieler – also insgesamt die Popkultur – tragen, aber was man dabei halt wirklich auch sagen muss: Was ist zum Beispiel mit diesen ganzen Youtube-Stars, die Millionen Follower haben? Was kommt von denen? Die werden nur bezahlt, um Produkte zu vermarkten, erreichen unfassbar viele Menschen und sind sich keinerlei Verantwortung bewusst.
Jennifer: Ich denke auch nicht, dass die Jugendlichen von heute unpolitisch oder desinteressiert sind. Aber sie sind halt von vielen Dingen frustriert und oft muss man diesen konstruktiven Beitrag leisten, damit jemand zunächst einmal beginnt, sich überhaupt für bestimme Sachverhalte zu interessieren.
Und wie habt ihr die anschließende Wahl wahrgenommen, bei der in Mecklenburg-Vorpommern schließlich doch mehr als 21% AfD wählten?
Jennifer: Das war abzusehen und hat uns auch nicht überrascht. Wir kennen die Gegend, weil wir ja selbst aus Usedom kommen.
Joe: Natürlich ist es krass, denn man kennt ja verschiedene Bezirke und gerade in Usedom war der Anteil der AfD-Wähler noch höher. Aber was man nicht vergessen darf: Wenn in manchen Gegenden 20% der Menschen AfD wählen, heißt das ja im Umkehrschluss auch, dass 80% nicht die AfD wählen. Es wäre also die falsche Reaktion, Mecklenburg-Vorpommern jetzt abzustempeln und aufzugeben.