Stromae: „Ihr wollt Blut, ich gebe euch Blut!“

Von Iseult Grandjean

Bei den meisten Rappern geht es um blonde Bitches und Champagner. Stromae singt über Arbeitslosigkeit, Armut, Einsamkeit. Unterlegt mit Beats, die durch den ganzen Körper gehen und Einflüsse aus verschiedensten Sparten von Hip Hop bis Salsa verbinden, werden aus vertonten Chroniken der Krise jedoch extrem tanzbare Dinger, sein erster Hit „Alors on danse“ wurde in den Clubs rauf und runter gespielt. Ich treffe Paul Van Haver, wie der 29-jährige mit bürgerlichem Namen heißt, vor seinem Auftritt in München. Der belgisch-ruandische Maestro ist gefühlte vier Meter groß und nippt so professionell wie stilvoll an einem Pappbecher mit heißem Ingwer. Mit mir muss er aber was anderes trinken.

Pfeffi ist Tradition. Ich knalle die Flasche mit dem giftgrünen Likör auf den Tisch. Jetzt wird erstmal gestamperlt! Stromae: Cheers! (schluckt.) Ach, das geht ja.

ZEITjUNG: Ja, alles im grünen Bereich (haha…). Wo wir gerade bei Alkohol sind: Warst du beim Videodreh zu Formidable, bei dem du mit versteckter Kamera und gespielt betrunken auf den Straßen Brüssels herumpöbelst, wirklich nüchtern? Sah ziemlich authentisch aus…

Komplett nüchtern. Ich habe nur einen kleinen Schluck getrunken, damit ich auch eine Fahne habe. Aber das war alles.

Das heißt, du kannst einfach nur richtig gut Besoffenheit faken…

Oh, danke! (lacht.) Auch dank meines Regisseurs, er hat mir immer gesagt, wann ich es übertrieben oder zu wenig gemacht habe.

Du hattest während des Drehs einen Knopf im Ohr?

Nein, ich sah ihn nur gegenüber auf der Straße und er gab hin und wieder Zeichen. Aber er hat eher mit den Kameraleuten kommuniziert, nicht mit mir. Ich hatte nur den Track auf meinen Ohrstöpseln.

In diesem Song sprichst du ja davon, dass es in der Welt nicht nur schwarz oder weiß gibt. Welche Reaktion auf dein betrunkenes Ich hat dich denn am meisten überrascht?

Ich wurde ja von einem Typen inspiriert, der beschlossen hatte, mich zu filmen und ein bisschen zu nerven, als er mich letztes Jahr beim Essen in meinem Auto sah. Er fand die Tatsache, dass ich ein kleines Auto habe, wohl sehr witzig (lacht). Zu der Zeit haben wir gerade das Video zu „Tous les mêmes“ rausgebracht, und wirklich unser Bestes reingesteckt, aber anstatt sich diesen mit Herzblut produzierten Film anzuschauen, stürzte sich jeder nur auf das lächerliche Video von mir in meinem Auto. Und ich dachte mir nur, wahrscheinlich ist es das, was die Leute wollen. Ihr wollt Blut, ich gebe euch Blut.

Wegen dieses Videos hatte ich eigentlich erwartet, dass die Leute voyeuristischer sind, als sie es dann tatsächlich waren. Es waren eher 30 Prozent Mitgefühl, 30 Prozent Voyeurismus und 30 Prozent Ignoranz.

In „Tous les mêmes“ singst du davon, wie gleich alle Männer sind, vor allem in einer Beziehung. Ist das nicht auch bei Frauen so?

Ja, der Typ in dem Song ist lächerlich, aber die Frau ist es auch. Ich wollte eine andere Seite der Liebe zeigen – die Frau in dem Song ist bescheuert zu sagen, sie will die Beziehung beenden, und als er dann mit ihr Schluss macht, ist sie empört. Aber es sind genau diese lächerlichen Situationen, die beweisen, dass man sich trotz alledem liebt. Ich wollte einfach zeigen, wie schön es sein kann, auch wenn wir uns dabei komplett zum Affen machen. Das ist eine Seite der Liebe, die wir gerne versuchen zu verstecken, aber eigentlich… (lacht.)

…eigentlich ist das ist ein sehr großer Teil der Liebe! Mit diesem Song dekonstruierst du aber auch konventionelle Genderrollen. Du erfüllst mit deinem androgynen Style nicht das Klischee vom harten Rapper mit Baggys und Eiern aus Stahl.

Ja, das war auch mein großes Problem, als ich gerappt habe. Ich habe ständig das Klischee der HipHop-Kultur kritisiert. Und ich glaube, das ist ein ähnliches Klischee wie das der Lovestorys, die wir in vielen Songs zu hören bekommen. Wenn es zu… pink ist, weißt du was meine? (lacht.)

Für mich ist es einfach an der Zeit, ehrlich zu sein. Mein Leben ist nicht bling-bling, Limousinen und nackte Frauen – und das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist meine Arbeit und bei meiner Familie zu sein; das sind die Werte, die meine Mutter mir gegeben hat. Geld ist natürlich auch wichtig, aber es ist nicht, was mich antreibt. Wir wollen einfach nur Dinge kreieren, die wir lieben. Etwas Eigenes zu schaffen.

Was deiner Musik sicher sehr eigen ist, ist der ungewöhnliche Kontrast zwischen tanzbaren Beats auf der einen, und sehr ernsten, gesellschaftskritischen Lyrics auf der anderen Seite. Was ist das für ein Gefühl, wenn du merkst, dass Leute im Club zu deiner Musik tanzen und gar nicht verstehen, worum es geht?

Weißt du was: Es macht mich glücklich. Ich mache Musik, aber in dem Moment, in dem ich das Album veröffentliche, ist es nicht mehr meines. Also wer bin ich, darüber zu urteilen, ob du meine Stücke auf diese oder jene Art hörst? Sei es nur für die Musik, nur für den Groove oder nur für den Sinn des Textes. Einmal kam jemand zu mir und sagte: Es sind jetzt drei Jahre, dass ich zu deiner Musik tanze, und ich habe eben erst kapiert, dass du in „Alors on danse“ über Probleme sprichst. Ich war zuerst geschockt, er war sogar Muttersprachler, aber er wurde eben von dem Gefühl des Songs mehr berührt als von seiner Bedeutung. Ich schreibe keine Bücher, ich mache nur Musik. Ich versuche zwar gleichzeitig, dabei eine Geschichte zu erzählen, aber am Ende kann jeder daraus ziehen, was er möchte.

Manche nennen dich auch den „Chronisten einer europäischen Post-Krisen Generation“…

Ja, das ist die amerikanische Vision (lacht.)

Bedeutet dir das etwas?

Ich bin nicht zynisch, nur ironisch. Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass ich gerne gleichzeitig lieben und weinen würde – das Wort dafür ist Melancholie. Ich bin nicht die Stimme einer krisengebeutelten Generation oder so, das ist nur eine Sichtweise.

Wie politisch ist Musik? Ich habe gehört, der belgische Prime Minister hat Barack Obama dein Album geschenkt.

Oh ja, das war schön. Ich bin nur nicht sicher, ob er Zeit hat, es anzuhören (lacht). Es ist ein großes Kompliment, er ist der Präsident der Vereinigten Staaten, aber am Ende ist er auch nur ein Mensch. Aber manchmal höre ich, dass einige wegen meiner Musik stolz sind, aus Belgien zu kommen und das ist das schönste Kompliment, das ich bekommen kann.

Aber es hat keine politische Bedeutung?

Ich glaube, wir Musiker haben eines mit Journalisten oder Politikern gemeinsam: wir lieben es, geliebt zu werden. Aber Obama macht seinen Job, und ich mache meinen. Ich respektiere ihn, aber ich weiß nicht mal so genau, was sein Parteiprogramm ist oder so (lacht.)

Du betonst oft, dass du nicht als Star, nicht mal als Künstler bezeichnet werden willst und bevorzugst den Ausdruck Handwerker. Ist das bloße Bescheidenheit oder ein Konzept?

Manchmal wollen wir unsere Arbeit auf ein bestimmtes Level überhöhen – aber das ist eine Lüge, denn letztlich ist es nur ein Job. Natürlich hatte „Racine carée“ großen Erfolg, aber am Ende des Tages bin ich nur ein Typ, der mit anderen Typen Musik komponiert. Es ist ein Beruf, wie ein Bäcker, ein Koch oder ein Journalist. Und vor allem begründen die Fans den Erfolg eines Albums, nicht ich oder jemand anderes im Team. Das Publikum  entscheidet, was es hören will. Das Album an sich ist immer dasselbe, jetzt wie vor einem Jahr.

Ist das auch der Grund, weshalb du die Youtube Music Lessons machst – um zu zeigen, dass es jeder schaffen könnte und damit sozusagen den Mythos vom Starkult zu entmystifizieren?

Genau, ich will zeigen, dass es wirklich simpel ist. Ich bin kein Komponist, ich komponiere meistens nur mit zwei Fingern, bin auch kein echter Pianist. Demystifizieren trifft es sehr gut. Manche sagen, es wäre besser, nicht alles von sich zu zeigen, aber das glaube ich nicht. An dem Tag, an dem du anfängst, etwas zu verstecken, beginnst du, dich zu mystifizieren. Aber eigentlich ist da nichts.

Was ist der größte Unterschied zwischen Paul und Stromae?

Stromae ist mehr ein Charakter, eine Kunstfigur. Eigentlich sind sie fast dieselbe Person. Aber Paul ist etwas schüchterner.

Und mit wem von den beiden habe ich gerade geredet?

(überlegt kurz.) Hm, mehr mit Stromae, glaube ich. (lacht.)

 

Auf der Bühne, einige Stunden später, schillert die Kunstfigur Stromae dann in allen Farben: dandy wie immer, im steifen Hemd mit schwarzer Fliege, schält sich Paul mal aus diesem, mal in jenen Blazer, er singt, schreit, zappelt, tanzt, zuckt. Und dass für viele Franzosen Stromae eine Art Gott ist, bestätigt sich auch an diesem Abend: Wir sind Teil von gefühlt nicht mehr als zehn anderen Deutschen in einer Halle, die wahrscheinlich soeben die ganze Underground-Community einer Stadt zusammengerottet hat. Teilweise fühlt man sich, als wäre man bei einem Gottesdienst, von dem man keine Ahnung hat, um welche Religion es eigentlich geht. Mitbeten kann man trotzdem: Incroyable!