Vier junge Menschen tragen Corona-Masken aus seltsamen Materialien, beispielsweise eine Plastikflasche, über dem Kopf

Wer sind eigentlich die Querdenker?

Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem uns der Name dieser Gruppierung nicht irgendwo begegnet: Die Storys über die sogenannten „Querdenker“ sind seit Wochen Dauerthema in Fernsehen und Tageszeitungen. Doch wer steckt eigentlich hinter der Truppe, die sich klar gegen die Corona-Beschränkungen ausspricht und regelmäßig Events organisiert, bei denen mal eben Zehntausend Menschen auflaufen?

Bis die Querdenken-Bewegung zu dem wurde, was sie heute ist, hat sich viel getan. Den Anfang machte die im April 2020 aufgebaute „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“, die seit den Anfängen der Pandemie sogenannte „Hygienedemos“ organisiert. Während diese zunächst nur von maximal 1000 Menschen besucht wurden, gewannen die Proteste gegen die Corona-Auflagen mit der Zeit immer mehr an Popularität. Es formten sich weitere Verbände, unter anderem die Stuttgarter Gruppierung „Querdenken 711“, deren Name später zum Deonym für Corona-Gegner in ganz Deutschland wurde. Die Zahl 711 leitet sich hierbei von der Telefonvorwahl der Stadt Stuttgart (0711) ab. Gegründet wurde die Initiative von Michael Ballweg, einem Softwareunternehmer, der zuletzt auch für das Amt des Oberbürgermeisters seiner Stadt kandidierte. Er selbst beschreibt sich als Aktivisten für Selbstbestimmung, Frieden und Freiheit. Die Idee dazu, gegen die angeblichen Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsrechte auf die Straße zu gehen, kam Ballweg aufgrund seiner persönlichen Geschichte: Statt eines geplanten Sabbaticals in Asien musste er den Großteil des Jahres 2020 in seinen eigenen vier Wänden verbringen. Er begann, vermehrt zu recherchieren und entschied sich dazu, sich selbst aktiv für die Einschränkung der Corona-Verordnungen einzusetzen. Dass es ihm dabei allerdings nicht nur um die Erhaltung der „Freiheit“ geht, zeigt Michael Ballweg durch entsprechende Aktionen regelmäßig selbst: Zuletzt machte er durch ein Treffen mit Peter Fitzek, einem ranghohen Mitglied der Reichsbürgerszene, auf sich aufmerksam. Einige Querdenker*innen distanzierten sich daraufhin von der Bewegung – der Großteil scheint solche Maßnahmen jedoch gutzuheißen oder sogar zu unterstützen. Michael Ballweg schreckt zudem auch nicht davor zurück, seine Anhänger*innen durch emotional aufgeladene Botschaften zu verunsichern und von seinen Ansichten zu überzeugen. Dies spiegelt sich auch in dem Video wider, welches er anlässlich seiner OB-Kandidatur auf YouTube veröffentlichte:

https://www.youtube.com/watch?v=e9eaD-8OI6Q

Mit zunehmender Bekanntheit des Querdenken-Netzwerks schlossen sich im Frühling des Jahres 2020 auch einige Prominente der Anti-Corona-Bewegung an: Der bekannteste von ihnen ist sicherlich der Kochbuchautor Attila Hildmann, der in den sozialen Netzwerken regelmäßig Verschwörungstheorien über die Pandemie verbreitet. Am 1. August 2020 fand schließlich die erste länderübergreifende Corona-Demo statt, an deren Organisation und Durchführung die Initiative „Querdenken 711“ maßgeblich beteiligt war. Etwa 30.000 Menschen protestierten hier gegen die verschärften Maßnahmen der Bundesregierung, darunter auch eine Vielzahl rechtspopulistischer und rechtsextremer Teilnehmer*innen. Zwar schreibt die Gruppierung auf ihrer Website klar und deutlich, dass „rechtsextremes, linksextremes, faschistisches, menschenverachtendes Gedankengut“ in ihrer Bewegung keinen Platz hätte, größere Teilnehmerzahlen und damit eine höhere mediale Aufmerksamkeit scheinen ihnen dann allerdings doch wichtiger zu sein als demokratische Werte und Normen.

Im Rahmen der nächsten großen Querdenker-Proteste am 29. August 2020 versuchten mehrere Hundert Rechtsextremist*innen, sich Zutritt zum Reichstag zu verschaffen. Von dieser Aktion distanzierten sich die Organisator*innen der Demo im Nachhinein, sie zeigte allerdings nur ein weiteres Mal, wie heterogen die Zusammensetzung der Querdenker*innen bereits zu diesem Zeitpunkt war: Die Spanne reichte von verärgerten Bürger*innen, die aufgrund der Einschränkungen ihren Job verloren hatten, über esoterische Impfgegner*innen bis hin zu radikalen Rechten und Verschwörungstheoretiker*innen, die auch nicht davor zurückschreckten, mit Reichsflaggen und Nazi-Parolen aufzulaufen. Zudem haben verschiedene AfD-Politiker, unter anderem Björn Höcke und Alice Weidel, die Bewegung offen befürwortet und zu einer Teilnahme an den Demos aufgerufen.

Auch die folgenden Großdemonstrationen im Oktober und November standen unter der Schirmherrschaft der Querdenken-Bewegung. Damit wurde sie offiziell zu einer der wichtigsten Gruppierungen in der Anti-Corona-Szene. Neben der ursprünglichen, aus Stuttgart stammenden Initiative „Querdenken 711“ hatte sich eine Vielzahl von Ortsgruppen gebildet, die ebenfalls nach den Vorwahlen der jeweiligen Städte benannt wurden. Hauptorganisator der meisten Kundgebungen und Proteste sind jedoch noch immer die Stuttgarter Querdenker*innen. Auf ihrer Website findet man unter anderem einen Kalender mit anstehenden Terminen: So gut wie jeden Tag findet irgendwo in Deutschland eine Demo gegen die Corona-Auflagen statt, die von der Initiative unterstützt wird.

Viele kritisieren, dass gegen die Demonstrationen, die häufig ohne Einhaltung der Abstandsregeln sowie der Maskenpflicht stattfinden, nicht genügend vorgegangen wird. Obwohl die Teilnehmer*innen sich so gut wie nie an die behördlichen Absprachen halten, werden die Proteste oft erst dann aufgelöst, wenn es bereits mehrfach zu Verstößen gekommen ist. Eine der Demos war im Vorfeld sogar verboten worden, diese Anordnung wurde jedoch am Tag davor kurzfristig außer Kraft gesetzt. Die Querdenker*innen stellen das Thema der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland auf die Probe – man wird sehen, wie sich diese Spannungen in den kommenden Monaten entwickeln werden.

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Bildquelle: Pexels; CCO-Lizenz